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Gesellschaft: in Drive

Layne Mosler vertraut auf Taxifahrer. Von ihnen lässt sie sich Restaurants empfehlen. So hat die Amerikanerin Buenos Aires und New York erkundet. Jetzt ist Berlin dran. Eine Stadtführung

Dass einer, ohne ein Ziel zu haben, ins Taxi steigt, macht ungefähr so viel Sinn wie ein eine Leine ohne Hund daran spazieren zu führen. Entsprechend verblüfft ist Thomas Allerdt, als die dunkelhaarige Frau, die an diesem Vormittag in Berlin-Friedrichshain in sein Taxi steigt, ihm mitteilt, sie selbst wisse nicht wohin, das müsse er entscheiden. „Bringen Sie mich in Ihr Lieblingsrestaurant“, sagt sie und lächelt so gewinnend, dass man ihr auch den Gefallen täte, einen nichtexistenten Hund an einer leeren Leine zu streicheln. Na gut, murmelt der Taxifahrer, da gebe es ein Restaurant in Weißensee, wo er gern mit seiner Frau esse. Layne Mosler nickt. Da wolle sie hin.

Seit mehr als drei Jahren verwirrt Layne Mosler Taxifahrer derart, zunächst in Buenos Aires und New York und jetzt in Berlin. Hunderte Restaurants hat sie so getestet, ungefähr die Hälfte war gut, über ihre Erlebnisse schreibt sie in ihrem Blog „Taxigourmet“. In Berlin ist die 36-jährige US-Amerikanerin seit drei Monaten und man könnte sie bereits überall in der Stadt aussetzen, und sie wüsste, wo sie die nächste Mahlzeit her bekommt. Sie hat in Wilmersdorf Fischsuppe, in Kreuzberg Huhn mit Zitronengras und in Mitte Sauerkraut probiert. Das Geld für den Berlin-Aufenthalt bekam sie von begeisterten Lesern ihres Blogs. Es ginge ihm bei der Lektüre wie einem Pawlowschen Hund, schrieb einer: Er sondere Speichel ab und wolle unverzüglich essen.

Taxi und Gourmet – das passt auf den ersten Blick so wenig zusammen wie Austern in Ketchupsauce. Aber Layne Mosler ist fest überzeugt: „Taxifahrer kennen die Geheimnisse einer Stadt.“

Doch wie es so ist mit Geheimnissen: Man findet sie nicht leicht heraus. An diesem Morgen bestand der erste Taxifahrer darauf, dass er nur zu Hause esse, der zweite verstand kein Englisch, und der dritte schlief. Doch mit Allerdt hat sie Glück. Da seine Frau tagsüber von Berufs wegen kocht, ist er abends dran. Und wenn er keine Lust hat, gehen sie in das Restaurant, in das er Mosler bringt. „Dort gibt es tolles Steak“, sagt er.

Eine größere Freude hätte er ihr nicht machen können. Auch auf der ersten Taxitour ihres Lebens, im Mai 2007 in Buenos Aires, landete sie in einem Steakhaus – vorne ein drei Meter langer Grill, dahinter Männer vor Steaks in der Größe von Lenkrädern. Mosler setzte sich dazu und erhielt ihre fleischliche Initiation. Der eine empfahl ihr Filet Mignon, der andere malte eine Kuh auf und erklärte ihr die cortes argentinos, die 27 Schnitte, mit denen man in Argentinien ein Rind zerteilt.

In den folgenden zwei Jahren avancierte die zierliche Frau, deren Körper so aussieht, als habe er nie ein Gramm Fett gesehen, zur Steak-Expertin. Sie aß das Fleisch in einem Restaurant mit 24-Stunden-Grill ebenso wie in einem holzgetäfelten Salon. Und als ihr die Ideen ausgingen, auf welche Weisen man Steak beschreiben kann, ging sie nach New York City. Dort wurde das Essen abwechslungsreicher und internationaler: In einem indischen Restaurant fand sie Naan-Brot, weicher als ein Kopfkissen, in einem jamaikanischen Restaurant aß sie das erste Mal Ziegencurry.

„Fahren Sie doch mit dem Taxi durch die Gegend und gehen gut essen“ – diesen Tipp bekommt man als ratloser Studienabsolvent sicherlich nicht im Berufsinformationszentrum. Die Anthropologin hat sich ihren Job deshalb selbst erfunden, als sie in Buenos Aires war, wo sie Tango lernte. Mehrmals die Woche ging sie tanzen, am liebsten nach Mitternacht, wenn die meisten Amateure und Touristen schon im Bett lagen, und bewegte sich dabei immer mit dem Taxi durch die Stadt. „Die Fahrer erzählten mir so viel über Tango und Politik, dass mein anthropologisches Hirn zu arbeiten anfing“, sagt Mosler. Könnte es einen besseren, intimeren Zugang zu einem Land und den Bewohnern geben als diese Form des Speeddating? Man steigt ein, sitzt auf engem Raum, hat einen gemeinsamen Weg vor sich, steigt schließlich wieder aus - und musste sich beim Sprechen nicht einmal in die Augen sehen.

Eine britische Untersuchung hat ergeben, dass die meisten über das Wetter reden, um mit einem Fremden ins Gespräch zu kommen. Für Mosler muss es dagegen um Essen gehen. „Da habe ich keine Wahl mit meinem Hintergrund“, sagt sie und meint damit: Einen Großvater, der in seiner Metzgerei Sandwiches machte, von denen man in den Schnellimbissen heute träumt – frisches Brot, daumendick belegt mit selbst geräuchertem Schinken. Einen Vater, der unter der Woche gesundes Fünfkornbrot und samstags Sandwichbrot mit viel Milch buk, und eine Mutter, die schon im Sommer wegen Weihnachten anruft, aber nicht wegen der Geschenke, sondern um zu fragen, unter welches Motto man das Essen stellt. Vergangenes Jahr kochte die Familie mexikanisch, dieses Jahr wird es italienisch sein. Das Ergebnis der kulinarischen Erziehung: ein Mädchen, das im Restaurant nie die Kindergerichte bestellte, mit sechs Jahren Vitello alla Marsala aß und heute glaubt, dass man die Menschen am besten kennenlernt, wenn man mit ihnen übers Essen redet.

Tatsächlich gelingen Layne Mosler die anthropologischen Betrachtungen über den kulinarischen Umweg immer wieder. In Buenos Aires brachte ein protestantischer Pastor, der es in dem katholischen Land so schwer hatte, dass er sich als Taxifahrer verdingte, Layne Mosler in das beste Restaurant für Empanadas, in New York fuhr sie ein Mann namens Mohammed, der nach rassistischen Übergriffen auf muslimische Taxifahrer seinen Vornamen auf dem Pass im Fenster in MD abkürzte, in ein indisches Restaurant in Manhattan. Auch an diesem verregneten Tag in Berlin glückt es wieder: Nachdem Thomas Allerdt und Layne Mosler sich gegenseitig ihrer Zuneigung zum Steak versichert haben, erzählt der gebürtige Ost-Berliner, wie er 1987, damals in der DDR, nebenberuflich Taxifahrer wurde. Und wie froh er über dieses zweite Standbein war, als das Geschäft in Ost-Berlin, in dem er Fernseher reparierte, nach der Wende pleite ging.

Warum dahin, Deutsche können doch nicht kochen, sagten die Freunde, als Layne Mosler sagte, sie wolle nach Berlin gehen. Eben drum, erwiderte Mosler. Gerade weil Deutschland als kulinarisches Entwicklungsland gilt, war sie neugierig, in welchen Restaurants sie in Berlin landen würde. Vor ihrem geistigen Auge sah sie viele Würstchen und Döner, tatsächlich hatten die Taxifahrer, die freundlicher waren als man ihnen nachsagt, anderes parat. Eine der wenigen Frauen in diesem Beruf brachte sie ins Schöneberger Trattoria á Muntagnola, wo es mit Rosinen gefüllte Spinatnocken gibt, und ein brasilianischer Maler, der zeichnet, während er auf Fahrgäste wartet, in ein vietnamesisches Restaurant in Kreuzberg. Aber besonders angetan hat es ihr am Ende der Döner, den ihr ein türkischer Taxifahrer empfahl. Bei Mustafa’s Gemüsekebap am Mehringdamm in Kreuzberg aß sie Hühnchendöner, mit gerösteten Kartoffeln, Karotten, Tomaten, Gurke, Zimt und Kreuzkümmel, Petersilie und Dill.

Trotz der guten Restaurants geht sie in Berlin nur einmal die Woche auf Taxitour, ansonsten schreibt sie an einem Buch, das auf dem Blog basiert, und kocht viel selbst. Ihre Spezialität: Pizza, deren Teig sie vorher mit trockenem Wermut bestreicht.

Im Bandida, dem Steakhaus in Weißensee, angekommen bestellt Layne Mosler, was Thomas Allerdt ihr geraten hat: ein Entrecôte, eine Ofenkartoffel und Kidneybohnen. Manchmal begleiten die Taxifahrer sie, meist muss sie allein essen, aber das scheint sie nicht zu stören, sie ist ganz im Arbeitsmodus und begutachtet die Karte. Ein bisschen zu umfangreich, sagt sie, das sei meist kein gutes Zeichen. Auch auffällig: Es gibt Saucen, auf Pfeffersahnebasis etwa. In Argentinien wäre so eine Sauce, welche die Fleischschönheit bedeckt, undenkbar. Dort dürfe höchstens ein Salatblatt neben dem Steak liegen. Trotzdem ist Layne Mosler dann sehr angetan von dem zu rot-rosa Perfektion gebratenen Entrecôte, das ihr serviert wird. Nach dem Essen wird sie nach Hause laufen, ihre Form der körperlichen Ertüchtigung, manchmal nimmt sie auch Bus oder Bahn. Nur mit dem Taxi würde sie niemals nach Hause fahren, das ist und bleibt vorbehalten für die Fahrten ins Ungewisse.

Layne Moslers Erlebnisse auf ihren Taxitouren und die dazu gehörigen Restaurantkritiken kann man nachlesen auf www.taxigourmet.com

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