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Der Fillipino Garry Ortiz kocht in seiner über 40 Quadratmeter großen Schiffsküche sieben Tage die Woche – meist Tiefkühlkost, aber es gibt auch frisches Obst und Gemüse.

© Roland Brockmann

Käpt’n Cook: Wie ein Schiffskoch 22 Mann bei Kräften hält

Im Containerschiff „Hanjin Taipei“ steht Garry Ortiz am Herd: Er muss 22 Mann unterschiedlicher Herkunft bei Laune halten. Fürs Essen einkaufen kann er nur alle paar Wochen.

Garry Ortiz steht in seinem Reich aus Edelstahl und rührt schnell noch mal um. Was da im Topf schmort, riecht eher exotisch, jedenfalls nicht nach deutscher Seemannskost à la Labskaus. Steuerbords, in der Mannschaftsmesse, gibt es heute Fisch und Hühnchen – natürlich mit Reis. Die Crew der Hanjn Taipei besteht vor allem aus Filipinos, die draußen an Deck gerade das Laden und Löschen überwachen.

„Bei uns geht nichts ohne Reis“, erzählt Schiffskoch Ortiz, selbst auch von den Philippinen. Die Kombüse auf der Hanjin Taipei ist so groß wie seine ganze Wohnung daheim (über 40 Quadratmeter) und ausgestattet wie die Küche eines Restaurants an Land. Nur dass der 42-jährige Garry elektrisch kocht, Gas wäre an Bord zu gefährlich, und Töpfe und Pfannen so gelagert sind, dass sie sich bei Seegang nicht gleich selbständig machen.

In der Pfanne neben dem Topf brutzeln gerade Frühlingsrollen als Vorgericht. Nein, nicht handgemacht, Garrys Bordküche basiert wesentlich auf Tiefkühlkost – dazu gibt es aber genug Obst und frisches Gemüse. Sein Messer saust auf Kohl und Karotten nieder, schnell noch einen Salat zaubern.

Kartoffeln serviert Garry Ortiz höchstens an Backbord, in der Messe der Offiziere, die meist aus Deutschland oder Polen stammen. Aber sonntagabends genügt dort traditionell kaltes Büfett: geräucherter Heilbutt oder eingelegte Heringe, Aufschnitt, Salat – und dazu Brot.

Das Sonntagsbüfett kommt dem Schiffskoch gerade recht. Denn seine Proviantvorräte sind nach einigen Wochen ohne Hafen ziemlich ausgeschöpft. Nicht dass auf dem Trip von Singapur durch den Suezkanal bis nach Hamburg jemand an Skorbut gelitten hätte, aber frisches Gemüse oder Obst sind doch rar; Garry Ortiz’ Stahlregale wie leergefegt. Gut also, dass die Hanjin Taipei im Heimathafen Hamburg endlich Proviant bunkern kann.

Während die Gentry-Anlage am Eurokai im Minutentakt die Ladung löscht, hievt ein Kran palettenweise Nachschub an Bord des 275 Meter langen und 40 Meter breiten Frachters: Konserven, Saucen, Ketchup, Marmelade, Salz, Milch, Öl und tiefgefroren: Fleisch, Wurst oder auch ganze Torten. Frisch landen Kohl, Lauch oder Karotten an Deck. Schiffszwieback scheint keiner dabei zu sein. Dafür viel Müsli. Moderne Zeiten. Alles in allem genug Nahrung, um 22 Mann über Wochen auf See bei Kräften zu halten. Das gängige Seemannsgericht Labskaus allerdings gehört eben nicht dazu.

Die erste Palette, die Garry in Empfang nimmt, enthält Bier. Okay, auch der Durst an Bord muss gelöscht werden. Die Ausgabe von Alkoholika allerdings kontrolliert der Kapitän. Schiffskoch Garry Ortiz muss die Mannschaft allein mit seiner Kochkunst bei Laune halten.

Grundsätzlich gibt es viel Fisch, ansonsten unterteilt der Koch in philippinische und internationale Küche: „Lammbraten zum Beispiel mögen fast alle Europäer, aber nur wenige Filipinos, also kann ich Lamm in der Mannschaftsmesse nicht servieren. Umgekehrt probieren manche Europäer aber gerne die philippinische Küche.“ Ganz persönliche Vorlieben organisieren sich die Besatzungsmitglieder selber: Ein polnischer Ingenieur, der heute in Hamburg seinen Dienst antritt, hat sich von zu Hause eingelegte Gurken mitgebracht.

Philippinische Offiziere, und davon gibt es längst sehr viele, speisen meist lieber mit ihren Landsleuten der Mannschaftsgrade an Steuerbordseite. Nicht nur wegen des Essens (geschmorte Hühnerfüße werden in der Offiziersmesse selten serviert), sondern schon der Geselligkeit wegen. Am Ende verbindet die Heimatkultur eben doch mehr als die goldenen Streifen auf der Schulter. Manche Kapitäne erwarten von ihren Offizieren zwar strikt, nur unter ihresgleichen zu speisen, aber auf der Hanjin Taipei sieht man das entspannter.

Drei warme Gerichte – jeweils für Offiziere und Crew – bringt Garry jeden Tag auf den Tisch. Da bleibt natürlich wenig Zeit für Extrawünsche. Auch wenn Garry will, dass sein Essen die Crew „glücklich macht“, wie er sagt: À la carte geht es nicht zu auf der Hanjin Taipei. Und der Griff in den Kühlschrank der Kombüse für den kleinen Hunger zwischendurch ist für alle Dienstgrade absolut tabu. Die Kombüse ist Garrys Reich, hier hat er das Sagen. „Daran“, erklärt Garry Ortiz, „hält sich auch der Kapitän.“

Dem ist der Koch eines Frachtschiffes direkt unterstellt. Mit ihm stimmt er die Menüplanung ab und das Budget für die Einkäufe. Garrys exakte Position in der Bordhierarchie ist schwer zu bestimmen – er ist weder Offizier noch einfaches Mannschaftsmitglied, sondern Chiefcook, obwohl einziger Koch an Bord. Zur Hand geht ihm der Stewart, der in der Offiziersmesse auch serviert und die Kabinen der Offiziere sauber hält. Gemüseputzen muss Garry in der Regel selbst. Wellengang bereitet ihm dabei kaum Probleme: „Ich werde einfach nicht seekrank.“ Töpfe und Pfannen hält er auch bei zehn Windstärken stabil, indem er sie auf dem Elektroherd geschickt gegen die Schwell ausrichtet oder mit Hilfe von Alufolie festsetzt. Geschirr und Gewürze lagern ohnehin sicher im Schapp; gegen das Rutschen von Tellern oder Tassen hilft die sogenannte Elefantenhaut: ein flexibles Plastikgitter, das auf glatten Flächen der Kombüse für sicheren Halt sorgt.

Garry selbst empfindet sich als eine Art Mutter der Besatzung – „eine sehr wichtige Position“, wie er meint. Liebe geht auch auf einem Frachter durch den Magen. Im Grunde schlägt in der Kombüse das heimliche Herz des Schiffs. Auf der Brücke mag der Kurs, im Maschinenraum der Rhythmus des Schiffes bestimmt werden, in Garrys kleinem Reich aus Edelstahl aber treffen sich alle. Hier kommt man ins Gespräch.

Bereits räumlich verbindet die Kombüse Backbord- mit Steuerbordmesse. Egal ob Chief Ingenieur oder Ordinary Seaman: Alle reden mit Garry Ortiz. Wer sich also auf dem Laufenden halten will, fragt am besten ihn. Und wer den Ersten Offizier nach dem Koch fragt, hört viel Lob: „Der arbeitet nicht nur einfach seinen Monatsplan ab. Guter Mann, dieser Mr. Ortiz.“

Seit zehn Jahren kocht der nun auf Frachtschiffen, und noch nie kam es seinetwegen zur Meuterei. Oder wie er selbst es ausdrückt: „Noch nie wurde ich nach Hause geschickt.“ 1990 begann er als Küchenhelfer in einem kleinen philippinischen Restaurant. Aber er wollte unbedingt selbst an den Herd, also schaute er den Chefs über die Schulter. Bereits nach drei Monaten hatte er sein Ziel erreicht, jedenfalls in der lokalen Küche. 1998 heuerte er als Helfer auf einem Kreuzfahrtschiff an, lernte so internationale Gerichte kennen. 2000 bewarb er sich für den Posten eines Chefkochs auf einem Frachtschiff.

Sein Spezialrezept: Fischroulade in leichter Tomatencremesauce mit Spaghetti (siehe Kochtrick unten) – nebenbei auch das Lieblingsgericht des deutschen Kapitäns. Überhaupt hat Garry sich die westliche Küche zu Eigen gemacht: Er selbst bevorzugt inzwischen eher die Kost der Offiziere.

Aber wo und wann isst er selbst? Typisch Koch – nebenbei in der Kombüse, direkt aus dem Topf. Nur morgens nimmt er sich Zeit für Kaffee, steht dafür eine halbe Stunde vor Dienstbeginn in der Pantry. Ab halb acht verlangt die Crew ihr Frühstück: An Steuerbord natürlich Reis gar mit Trockenfisch – oder Porridge. Und auch die europäischen Offiziere mögen es so früh bereits deftig: neben Omelette auch gerne mal Strammen Max.

Von 11.30 Uhr bis halb eins ist Lunchtime. Anschließend heißt es: Pantry putzen. Dann legt Garry sich auf die Couch seiner Kabine. Aber nur bis drei, denn um halb sechs ist Dinner und vor 18.30 Uhr kein Feierabend in Sicht. So geht es Tag für Tag, während das Schiff einsam über die Weltmeere dampft. Ein Koch lässt auch am siebenten Tag seine Arbeit nicht ruhen. Essen tut not, in der Seefahrt. Und für die meisten an Bord bildet das Schiff das Zuhause. Garry jedenfalls bezeichnet sein eigenes Haus auf den Philippinen scherzhaft als Feriendomizil. Rund sechs Monate verbringt er auf dem Schiff, anschließend zwei, drei Monate daheim, bevor er wieder ablegt.

Die Erinnerung an die Familie halten unterwegs Fotos an der Kabinenwand wach. Zwei Jungs hat Garry Ortiz. Doch, natürlich kennen die ihren Vater. Aber er selbst verfolgt ihre Entwicklung vor allem über Home-Videos auf seinem tragbaren DVD-Player.

Drei bis vier Wochen lang wird das Schiff ab morgen wieder auf See sein, bis nach Singapur, ohne dazwischen je anzulegen. Vom Chefkoch verlangt das perfekte Planung, er kann nicht einfach mal zum Supermarkt um die Ecke laufen, nur weil ihm das Salz ausgeht. Dem Familienvater aber verschafft der kurze Aufenthalt in Hamburg für lange Zeit die einzige Gelegenheit, in der Heimat anzurufen - noch gibt es kein freies W-Lan auf Frachtschiffen und Anrufe via Satellit sind teuer. Aber um die Ecke vom Eurokai bietet ein Seemannsheim Internet für die Sehnsucht der Seeleute. Für einen amourösen Abstecher nach St. Pauli würde die Liegezeit der Hanjin Taipei ohnehin kaum reichen.

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