zum Hauptinhalt

Küche in der Bar: Rosmarin on the Rocks

Kräuter und Gemüse taugen für die Küche – aber jetzt gibt es die auch in der Cocktail-Bar. Liquid Kitchen, heißt der Trend, der Gin und Gurke mixt. Und statt Chin Chin heißt es: Guten Appetit.

Thomas Altenberger weiß genau, was man jetzt braucht: Safrangin, Rosenblätter und Cocktailtomaten. Noch einen Rosmarinzweig ins Glas, voilà.

„Liquid Kitchen“ oder auch „Cuisine Style“ heißt die neue Art des Cocktailmixens. Obst, Gemüse, Kräuter und Gewürze werden mit Wodka, Gin oder Rum gemischt. Der Witz sind die frischen Zutaten und ungewöhnlichen Gewürze. Der Saft ist à la minute gepresst, das Gemüse eben erst püriert, die Kräuter gerade gehackt. Die Zubereitung der „Liquid Kitchen“ entspricht der Sterneküche. Nur dass das Ergebnis in ein Glas geschüttet wird. So ungewöhnlich die Kombinationen klingen mögen, Tomate, Rosenblätter und Ingwer zum Beispiel – es schmeckt.

„Wichtig ist, dass am Ende nichts dominiert“, sagt Thomas Altenberger; auch wenn man jede einzelne Zutat herausschmecke, müsse der Drink doch ein harmonisches Ganzes ergeben. Der 38-Jährige, vom Gault Millau zum „Barkeeper des Jahres 2008“ gewählt, steht hinter der Bristol-Bar im Kempinski Hotel in Berlin. Das Licht ist gedimmt, der Holztresen poliert, die Gläser blitzen. Blind zieht Altenberger die vor ihm versenkten Flaschen an den Hälsen hinaus, ein Schwung hier, ein Schwung dort, zack ein bisschen Eis, schakaschaka in den Shaker, da schschscht hinein ins Glas, noch einen Kräuterzweig dazu und plum auf den Holztresen. Es ist wie ein Tanz. Und dabei kann der Barkeeper noch einer Dame zulächeln, den Stammgast begrüßen, good to see you! und die neusten Fußballergebnisse kommentieren. Bartender sind Multitasker. Und wendig. Gelernt hat Thomas Altenberger an der Hotelfachhochschule und merkte schon dort, die Arbeit hinter der Bar gefällt ihm. Seine Gäste merkten das auch, er geriet von einer Bar in die bessere, die „Jimmy’s Bar“ im Hotel Hessischer Hof und die „Harry’s New York Bar“ in Frankfurt sind zwei davon. Seit drei Jahren ist er jetzt im Bristol in Berlin und geht immer öfter zum Einkaufen in die Lebensmittelabteilung des KaDeWe: an die Gemüsetheke.

Auch die Küchenarbeit ist dazugekommen. Das Zerstoßen der Kräuter, das Zweigerupfen und Gemüseschnippeln. Neben dem Shaker steht jetzt ein Pürierer, die meisten Gin- und Wodka- Infusionen sind selbst zubereitet. Ein bisschen Chili klein gehackt in den Wodka, und es bleibt ein feines Aroma zurück. Nur zuviel darf es nicht sein. Der Bartender von heute muss sich mit seinen Zutaten mindestens genauso gut auskennen wie ein Koch.

Angefangen hat die Entwicklung in Deutschland vor ein paar Jahren, als der Caipirinha kam, eigentlich nur eine Limette und ein bisschen Rohrzucker mit Rum, und doch waren alle plötzlich verrückt danach. Es war der Geschmack, dieses süßliche Zitrusaroma, das so ganz anders war als der Zitronenmix. Ein Drink, bei dem man sah, was im Glas war, kein verpanschter Tropicamix mit Schirmchen oben drauf. Denn während Cocktails mit der Zeit zu klebrigem Zuckerwasser verkamen, die in Strandbars oder Ferienclubs durch Strohhalme gesogen wurden, hat der Cuisine Style noch etwas Exklusives. Mit der asiatischen Küchenwelle kam das Zitronengras, je mehr Gewürze und Kräuter auf dem Markt erhältlich waren, desto exotischer wurde die Küche. Und irgendwann mischten sich auch die Bartender ein.

„Eigentlich lag das nahe“, sagt Günter Windhorst. Er sitzt vor seiner Bar, dem „Windhorst“, in der Dorotheenstraße in Berlin-Mitte, ein paar Terracottatöpfe mit Rosmarin und Minze stehen neben der Tür, die Luft ist lau. Er habe schon immer gern mit Kräutern gearbeitet. Der 41-Jährige ist gelernter Koch, diese Erfahrung hat von Anfang an auch seine Arbeit in der Bar geprägt. Auch für die Drinks suchte er nach frischen Zutaten. Saftflaschen standen bei ihm nie im Regal, dafür türmten sich die Orangen hinter dem Tresen, die Kräuter wuchsen in den Töpfen auf dem Bürgersteig, und in der Schublade lag der Kardamom. Die Freude an den Zutaten und der Umgang mit Mengen, das habe er in der Küche gelernt.

Seine Einkaufsliste ist mit den Jahren immer länger geworden, selbst im Supermarkt kriegt Windhorst jetzt jederzeit frische Minze. Dass der „Cuisine Style“ erst jetzt so richtig in Berlin angekommen ist, liegt am Preis, glaubt Windhorst. In London gebe es diese Art des frischen Cocktailmixens schon seit ein paar Jahren, aber dort zahle man auch schon mal 14 Pfund für einen Drink. Hier finden die Leute mehr als zehn Euro schon zu viel.

Als es in Berlin in den 90er Jahren mit den Bars losging, gab es plötzlich so viele, dass bald jeder Kellner hinter der Theke stand und schnell mal einen Cocktail zusammenmixte. Inzwischen hat sich das ein wenig sortiert, beruhigt, etabliert. Eine richtige Aperitifkultur gebe es damit noch nicht. Die Gäste, die am frühen Abend auf einen Drink vorbeikommen, bevor sie zum Essen nach Hause gehen, sind oft aus der amerikanischen Botschaft nebenan. Aber immerhin, es tut sich was. Und es gibt eine Szene von jungen Bartendern in Berlin, die wieder richtig Lust am Experimentieren haben.

Nico Wieduwilt von der Lutèce Bar im Hotel Concorde am Kurfürstendamm ist einer von ihnen. Der 27-Jährige probiert wild herum. Er kommt aus dem Hotelfach, aber Spaß am Kochen hat er schon immer gehabt. Und jetzt hat er freie Hand. Damit man das auch sieht, gibt es die Cocktails in kleinen Schnapsgläschen zum Probieren. Den „Magic Terragon“ zum Beispiel, Licor 43, Linie Aquavit, Limettensaft, Ginger Ale und Estragon, dazwischen so ein bisschen zerstampftes Eis, sehr grün und glasig, hmm gut, gar nicht so sauer, da kommt etwas Süßes, nur ein bisschen ungewohnt dieser Estragon am Ende, von dem wusste man ja kaum, wie er schmeckt. Nummer zwei ist ein „Basil Grand“, mit Grand Marnier, Rouyer frambroise, Cranberrynektar, frischen Erdbeeren und Basilikum, süß, aber nicht klebrig, wie ein Dessert, einfach herrlich. Am Ende Nummer drei „Concumbre“, das ist Hendrick’s Gin, Zitronensaft, Kamillentee, Rohrzuckersirup und grüne Gurke, sieht fast milchig aus, schmeckt leicht, erst merkt man die Gurke und dann die Kamille, vielleicht ein bisschen zu gesund. Die Bio-Welle hat die Bar erreicht, frisch ist gleich gesund, das gilt auch hier. Selbst wenn Nico Wieduwilt da schmunzeln muss: Na ja, am Ende ist natürlich doch Alkohol drin, da kann das Gemüse drum herum noch so öko sein.

Stellt sich als Nächstes die Frage: Darf man dazu etwas essen oder muss man das pur genießen? Aber sicher darf man. Denn jetzt wollen sich Liquid Kitchen und Kitchen vereinen. Nüsse, Oliven, kleine Tapas gibt es schon lange als Begleitung, der nächste Schritt wäre es, ganze Gerichte und Drink abzustimmen. Es gibt schon erste Bars, die das Gemüse hinter der Theke angrillen, bevor es ins Glas kommt. Tomate-Mozzarella mit Basilikum im Drink oder Erdbeer-Rosmarin-Cocktail zum Fleisch, das Getränk zum Gericht, das soll es jetzt nicht mehr nur beim Wein geben. Noch ist das vor allem eine Frage der Logistik. Die Hotelbars haben es da gut, weil sie die Küche gleich im Haus haben. Und so sind es bislang auch noch oft die internationalen Gäste, die sich an der Hotelbar an die neuen Kreationen herantrauen.

Ein anderer Küchentrend, der auch an den Bars nicht spurlos vorbeigegangen ist: Das wissenschaftliche Spielen mit den Zutaten wie es der spanische Starkoch Ferran Adrià vormachte. Molekulare Mixology nennt man das, und dabei geht es vor allem um die Konsistenz der Flüssigkeiten. So kann man einen Cocktail zu Geleeperlen werden lassen, die dann im Drink herumschweben, bevor sie sich auflösen. Ästhetisch anzusehen ist auch ein Gin Tonic, der in Form eines Geleequaders auf einer gerösteten Limettenscheibe liegt und langsam hinunter ins Glas tropft. Eine andere Möglichkeit, die man auch schon von Suppen kennt, sind Schäume, Cocktailschäume, die auf die Oberfläche der Drinks schwimmen. Da hat man zum Beispiel einen feinen Erdbeerespuma auf dem Champagner, beim ersten Schluck schmeckt man die Erdbeere und dann spürt man den Champagner.

Solche Kreationen brauchen Zeit. So wie im Kempinksi, wo Thomas Altenberger ein Glas für den „Greek Sense“ mit Safran ausreibt, später kommen da noch Himbeerwodka, Himbeeren, Apfel- Cranberrysaft und Thymian hinein. Mit Schwung stellt er das Glas auf den Tresen. So einen Drink stürze man ja auch nicht in Minuten hinunter, sagt er. Erst sieht man ihn an, dann füllt man das Glas und schließlich kommt der erste Schluck.

Es gebe nur eine Sache an der Bar, die noch wichtiger als der Drink sei, sagt Thomas Altenberger: die Kommunikation. Man müsse spüren, was der Gast braucht. Wie viel Aufmerksamkeit, wie viel Schweigen und nicht zuletzt welchen Drink. Dafür gibt es in der „Liquid Kitchen“ jetzt genug Möglichkeiten.

Johanna Lühr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false