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Farmer John

© kinostar

Landwirtschaft: Die Rübe rollt

Man nennt ihn den "Al Gore der Landwirtschaft". Dabei fährt er mit Federboa Traktor und war früher Hippie. Wie der amerikanische Bio-Farmer John Peterson ein Filmstar wurde.

Bauer John Peterson hockt auf seinem Feld in Caledonia, Illinois, und schiebt sich ein großes Stück schwarzer Erde in den Mund. Er rollt den feuchten Klumpen auf der Zunge, schmeckt, schmatzt, schluckt runter. „Der Boden ist gut“, sagt er. Eine Kamera hält alles fest: Es ist die erste Szene in dem Dokumentarfilm, der ihn berühmt machen wird.

Ein Jahr später sitzt der Farmer auf einer roten Ledercouch in einem Berliner Hotel und schaut an die Decke. Wonach die Erde geschmeckt hat, damals? „Süß war sie“, sagt er und seufzt, „meine Erde schmeckte reich und süß.“ John Peterson ist schon lange nicht mehr zu Hause gewesen, er vermisst seinen Hof, sein Gemüse, seinen Boden. Der Dreck unter den Fingernägeln ist verschwunden, die sonst so sonnengegerbte Haut wirkt blass im Grau des regnerischen Morgens. Deutschland, Schweden, Neuseeland stehen auf dem Tourplan. „Mit Mistgabel und Federboa – Farmer John“ heißt die Dokumentation, die den Farmer jetzt zum Popstar macht. Sie erzählt die Lebensgeschichte eines exzentrischen Bauern, sie erzählt von Drogenpartys und Traktorfahrten im Glitzerkostüm, von „Verlust und Wiederauferstehung“, sagt Peterson. Seit Donnerstag läuft der Film auch in deutschen Kinos, unterstützt von Slow Food und Biofirmen wie Rapunzel oder Demeter.

Längst wird der Bauer als „Al Gore der Landwirtschaft“ gefeiert. Und das nur, weil er eine Idee hatte.

Sechs Millionen Farmer gab es 1950 in den USA, 1994 waren es nicht einmal mehr zwei Millionen. Als das große Farmsterben Mitte der Achtziger seinen Höhepunkt erreichte, als der rote Lack abblätterte von den Scheunen seiner Nachbarn, und auch sein eigenes Erbe vor dem Aus stand, beschloss Bauer Peterson seinen Neuanfang: Er stellte den Hof auf biologischen Landbau um – und teilte fortan seine Familien-Farm mit 1200 Menschen. Das Prinzip: Teilhaber investieren in sein Land und sichern so das Überleben der Farm. Im Gegenzug bekommen sie biologisch angebautes Gemüse, Obst und Eier von glücklichen Hühnern. Einmal die Woche. In einer „Grünen Kiste“.

John Peterson ist ein kräftiger Mann mit großen Händen. Lach- und Sorgenfalten überschneiden sich in seinem Gesicht, er ist 58 Jahre alt. „Viele der Gemüsesorten hatte ich noch nie gesehen“, sagt er und rutscht ein Stück höher auf dem Berliner Hotelsofa. Schließlich hatten die Petersons seit drei Generationen nur Heu, Mais und Bohnen produziert. Und plötzlich wuchsen da Kohlrabi und Radieschen, Spinat und Rote Bete. Da waren Würmer, Schnecken, Käfer, gegen die er kämpfen musste. Ohne Chemie. Menschen aus der Stadt besuchten ihn auf der Farm, die nun irgendwie auch ihnen gehörte – und erstmals sahen sie, woher ihre Nahrung eigentlich kam.

„Die Leute wissen ja längst nicht mehr, dass es Wachstum gibt“, sagt Peterson, „Wachstum ist für die meisten nur noch eine Abstraktion.“

Heute reisen Familien mit Kindern an und besuchen „Angelic Organics“. Sie lernen, wie das Wetter die Ernte beeinflusst, wie lang eine Zwiebel zum Wachsen braucht und wie sich zerriebene Erde anfühlt auf der nackten Haut. Und das gefällt John Peterson. Der Hof ist ein erfolgreiches Bio-Unternehmen geworden. „Der Weg dahin war lang, steinig und zum Verzweifeln“, sagt er. Peterson und sein modernes Hofkonzept – das waren Kuriositäten im Mittleren Westen der 80er Jahre. Er gestikuliert. Sein lilakariertes Holzfällerhemd legt sich mit der Bewegung des Oberkörpers in Falten. Es ist dasselbe Hemd, das er in einer Filmszene trägt: Da sitzt er mit seiner alten Mutter am Küchentisch in Caledonia, ein Fotoalbum mit vergilbten Kinderbildern liegt vor ihnen und sie sprechen darüber, wie alles begann.

Schon als Kind arbeitet John auf dem Hof der Familie. Der Großvater hatte das Land gekauft, während der großen Rezession, Ende der 20er Jahre. John liebt das Leben in der Natur. „Und ich liebte es zu sehen, wie die Dinge wuchsen.“ Der Vater stirbt früh. Der Sohn, gerade 20 Jahre alt, übernimmt den Hof. Gleichzeitig geht er aufs College: frühmorgens Kühe melken, tagsüber lernen, abends pflügen. Doch im Studium lernt er noch ein anderes Leben kennen. Und eine andere Seite an sich selbst – John wird zum Hippie, John wird zum Exzentriker.

Die Haare lässt er sich wachsen. Freunde ziehen auf den Hof. Sie machen Kunst, Liebe, feiern Partys, nehmen Drogen. Nachbarn sehen den jungen Bauern mit wehender Federboa auf dem Traktor sitzen. „Schwule, Satanisten“, mutmaßen sie und fangen an, Peterson zu meiden. Schnell wird er zum Außenseiter. Anfang der 80er Jahre ist er pleite.

„Ich hatte schlimme Depressionen“, sagt Peterson heute. Zwei Jahre habe er im Bett gelegen, sich kaum bewegen können. Aber er fühlte diese Verantwortung für sein Land, sagt er. Also zog er los, ein halbes Jahr lang stiefelte er durch Mexiko, las die Agrar-Theorien von Rudolf Steiner und beschloss, es noch einmal zu versuchen. Aber diesmal anders.

Peterson hält inne. Er nestelt an seinem Gürtel herum. Daran hängt eine kleine grüne Tasche mit Reißverschluss. Er öffnet sie, es klimpert. Der Farmer holt vier Buttons heraus: Auf dem einen sieht man ihn in blauen Latzhosen, Strohhut auf dem Kopf, Mistgabel in der Hand. Um seinen Hals hängt eine orangefarbenene Federboa. Auf dem nächsten trägt er ein Elton-John-Outfit, Zebramantel, Zigarre im Mund, er sitzt auf dem Traktor. Das dritte zeigt ihn mit Freundin und „Muse“ Lesley im Bienenkostüm. Der vierte Button ist rosa. „I love Farmer John“, steht darauf. „Wenn ich mir die Welt aussuchen könnte, würden alle auf der Farm in Kostümen arbeiten“, sagt er und verzieht keine Miene. „So ein Leben auf der Farm ist eine Explosion des Lebens, und das muss ich manchmal einfach ausdrücken.“

Die Entscheidung, biologisch anzubauen habe vor allem mit seinen Drogenerfahrungen zu tun. „Ich kannte so viele Menschen, die, sobald sie high waren, ihren Charakter verloren, die zu etwas anderem mutierten. Etwas, das ich nicht mehr kannte.“ Und genauso sei es doch mit dem Gemüse, wenn man es mit Chemikalien vollpumpe. „Das Gemüse ist high und charakterlos“, sagt er. So etwas wolle er nicht züchten auf seinem Hof. „Ich will authentisches Gemüse!“

John Peterson glaubt, dass jeder Boden, jede Gurke, jede Möhre einen individuellen Charakter hat. Ob man das schmecken könne? „Vielleicht nicht ganz so wie bei Wein“, sagt er, „aber biologisch angebaute Feldfrüchte sind definitiv geschmackvoller.“ Wenn sie von seiner Farm nach Chicago geliefert werden, seien sie außerdem besonders frisch – wegen der kurzen Wege.

Trotzdem hat es Jahre gedauert, die Leute aus der Stadt zu überzeugen. „Ich war zu früh dran mit meiner Idee“, sagt John. Die Kunden konnten nichts anfangen mit den unbekannten Saisongemüsen. Wie bereitet man einen Rettich zu? Was macht man mit Roter Bete? Mit Thymian? Sie waren überfordert. Also lieferte John ihnen Kochvorschläge, in ihren „Grünen Kisten". Erst kürzlich erschien ein Kochbuch mit den gesammelten Rezepten. „Farmer John’s Cookbook“, heißt es. Und es erklärt, nach Erntesaisons unterteilt, welches Gemüse wann zu haben ist, welche Eigenschaften es hat und wie man es zubereitet. Johns Lieblingsrezept ist auch darin: Der „Chocolate Beet Cake“, ein Kuchen aus Schokolade, Rüben und Eiern. Der sei besonders saftig.

Heute spürt man eine starke Bewegung Richtung Slow Food und bewusstem Essen, auch in den USA, sagt er. „Es wird leichter, die Leute von einer Gemüse-Partnerschaft zu überzeugen.“ Mittlerweile gibt es rund 2000 biologisch wirtschaftende Teilhaber-Höfe in den USA – nach dem Vorbild von Petersons „Angelic Organics“.

Dass die Leute ihn mit Al Gore vergleichen, findet Peterson zum Lachen. Und ja, irgendwie passend. Und rührend. „Wussten Sie, dass Al Gore starke Bauern-Wurzeln hat?“, sagt er. Ein bisschen kenne er den Mann, weil sie mal ein Wochenende zusammen verbracht hätten: Gore habe ihn über die Familien-Farm in Tennessee geführt. „Er hat meinen Film gemocht.“ Schließlich seien sie ja beide irgendwie Umwelt-Aktivisten.

„Nur die Nachbarn in Caledonia, Illinois, die halten mich noch immer für einen Spinner“, sagt John Peterson. Die schauen argwöhnisch über den Zaun, wenn er auf seinem Traktor sitzt. Weil er Glitzer mag, und Federboas. Weil er im Fernsehen war und Kochbücher schreibt.

Lesley, die Muse, kommt herein in die Lobby des Berliner Hotels. Sie trägt einen Gitarrenkoffer, darauf ein gelber Aufkleber: „Atomkraft? Nein danke!“ „Hast du Spaß?“, fragt sie den Farmer. Der nickt. Am meisten Spaß hätte er, sagt Peterson nach einer kurzen Pause, wenn er endlich wieder auf seinem Traktor sitzen könnte. Daheim in Caledonia.

Kuriosität im Mittleren Westen. Farmer John war einer der ersten, der in den USA „drogenfreies“ Gemüse pflanzte. Fotos: kinostar

Dialika Krahe

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