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In den USA wird im Diner Kaffee ohne Ende serviert.

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Lifestyle: Die besten Ess- und Trinkgewohnheiten rund um die Welt

Focaccia zum Prosecco, Dessert-Häppchen zum Café, zweites Frühstück, nach dem Mittagessen direkt ins Bett: Im Urlaub erleben wir neiderfüllt anderer Länder Sitten.

APERITIVO

Zum Aperitivo muss man nicht hingehen, der passiert einem einfach. Und zwar täglich. Mit der Regelmäßigkeit, mit der abends die Sonne untergeht. Doch beendet er nichts, er ist eher ein Auftakt. Zumindest in Mailand war das so, im Dezember 1999, wir wollten zur Feier der Jahrtausendwende noch weiter zum aktiven Stromboli-Vulkan. Die Natur, so dachten wir, liefere zu diesem Anlass das beste aller Feuerwerke. Doch wir hatten nicht mit dem Feuerwerk der Urbanität gerechnet, das jeden Abend in den Bars der Stadt zündete. Niemand hat etwas bestellt, bezahlen muss man auch nicht, der Aperitivo erscheint einfach am frühen Abend als märchenhaftes Tischleindeckdich. Zum Sundowner pflückt man unwiderstehliche Arancini, eingelegte Antipasti, Frittata, Oliven, Focaccia und Schinken von den kühlen Marmortresen. Dabei ist das nur die kurze erste Pause beim Drink, bevor die Mailänder zum eigentlichen Essen aufbrechen. Aus Gründen, die hier nichts zu suchen haben, sind wir nie auf Stromboli angekommen.

CAFÉ GOURMAND
Mousse au chocolat – Crème Brûlée – Éclair – Sorbet – Himbeertörtchen. Es klingt doch jedes so verlockend, wie soll ein Mensch sich da entscheiden! Am liebsten einmal alles. Und den Kaffee, nach deutscher Sitte, gleich dazu. Das hätte man sich vor zehn Jahren noch kaum in Frankreich getraut zu bestellen. Jetzt schon: Beim Café Gourmand bekommt man einen Nachtischteller mit drei, vier Probierportiönchen, der Espresso steht auch mit drauf. Sieht hübsch aus, ist nicht zu schwer und gar nicht teuer. Vor zehn Jahren soll der Café Gourmand in Paris erfunden worden sein, inzwischen findet man ihn im ganzen Land. In New York ist er auch schon angekommen. Und in Berlin? Steht es in den ersten Lokalen auf der Karte, im Schöneberger "Lenzig" zum Beispiel oder im "Domaines" am Müggelsee. Mehr! Mehr!

ELEVENSES
Die Zeit zwischen Frühstück und Mittagessen kann ganz schön lang werden. Pünktlich um elf fällt der Blutzuckerspiegel in den Keller. Da braucht man eine kleine Stärkung: Das „Elevenses“, wie es in Großbritannien heißt (in Spanien nennt man es „la once“), meist eine Tasse Tee oder Kaffee und dazu ein süßes Schmankerl, und sei es nur ein Keks. Das Elf-Uhr-Häppchen ist sogar schon literarisch verewigt worden, bei den Hobbits, die das Ritual jeden Tag genießen, auch in „Pu der Bär“ (der steht auf Honigbrot mit Kondensmilch) und in „Paddington“. „Es geht doch nichts über ein nettes Pläuschchen bei einer Tasse Kakao und einem Stückchen Kuchen“, sagt Mr. Gruber, der Antiquitätenhändler, und zelebriert die gute Sitte jeden Vormittag mit seinem Bärenfreund Paddington. Der Londoner Meisterkoch Fergus Henderson (ein echter, keine Fiktion) ist ein Advokat der, wie er findet, besonders zivilisierten Form der morgendlichen Pause. Allerdings spült er seinen Kuchen statt mit Kakao mit einem Glas Madeira runter.

MEDITERRANE MITTAGSPAUSE

Auf Sardinien und in der Toskana sitzt man mit Freunden und Kollegen an einem reich mit Antipasti gedeckten Tisch. Aus der Küche strömt der Duft nach angebratenem Knoblauch und Kräutern, alle reden durcheinander, schenken sich Wein ein – besser einen leichten –, Salute! Die Pasta wird gebracht, alle Augen leuchten. Wasser- und Saucenpfützen bilden sich auf der groben Tischdecke, Krümel überall, was soll’s, Salute! Nachher helfen alle beim Abräumen und Saubermachen, das geht schneller. Auf dem Weg zurück ins Hamsterrad bloß nicht hetzen, man ist doch nicht Arzt oder Feuerwehrmann. Das Leben beginnt nicht erst mit 67 Jahren, und die besten Ideen findet man sowieso dort, wo man nicht danach sucht, Salute!

THE COUNTER

Auch wer noch nie an so einer Theke gesessen hat, kennt sie genau: Was wäre der amerikanische Film ohne Counter. Ursprünglich vor allem in Kaufhaus-Cafeterien (da haben sie Bürgerrechtsgeschichte geschrieben) und Dinern zu finden, gibt es sie inzwischen auch in Cafés und besseren Lokalen. Denn es soll ja mal vorkommen, dass Menschen alleine essen gehen, und sei es nur auf Reisen. Auf dem Barhocker am Tresen sitzt es sich garantiert gemütlicher als am Katzentisch neben dem Klo. Das hat was sehr Familiäres, fast so, als würde man zu Hause in der Küche sitzen. Man kann ein bisschen mit den Kellnern plaudern, ihnen bei der Arbeit zusehen, oder lesen, ohne schlechtes Gewissen, weil man einen ganzen Tisch für sich in Beschlag hält. Als Lektüre empfiehlt sich Richard Russos Roman „Diese gottverdammten Träume“, endlich auch auf Deutsch zu haben, dessen Hauptschauplatz der Tresen im neuenglischen Diner „Empire Falls“ ist. Fast so gut wie Urlaub.

In Japan trinken alle aus der Dose

In Italien gibt’s Schinkenbrot zum Aperitivo.
In Italien gibt’s Schinkenbrot zum Aperitivo.

© M. Galan Still/Alamy Stock

WASSER AUF DEM TISCH

Wirkt da der Limes nach, die alte Kulturgrenze, die einst die Römer von den Barbaren trennte? Wer in Frankreich essen geht, bekommt eine Karaffe mit Leitungswasser gereicht, und wer in Italien einen Kaffee trinkt, dem stellt der Ober ein Glas Wasser dazu. Eine Selbstverständlichkeit, ein Gebot guter Gastgeber. In Deutschland gehört schon Glück dazu, Leitungswasser zu bekommen, wenn man nett danach fragt. Hierzulande macht man sich damit des Schmarotzens verdächtig: Da will einer trinken, ohne dafür zu bezahlen! Dabei ist es so: Wer in Südeuropa sein Wasser bekommt, bestellt meist trotzdem ein Getränk. Denn mit dem Wasser stillt man den Durst, Kaffee oder Wein genießt man.

PAPIER UND FROTTEE

Kleckern die Russen besonders viel? Schneuzen sich die Armenier häufiger als andere? Oder liegt es am blättrigen Baklava, dass in arabischen und manchen osteuropäischen Ländern noch in der kleinsten Bude und in der schäbigsten Mensa Papiertücher zum Herauszupfen auf den Tischen stehen. Und zwar so viele, dass sich damit locker pro Restaurant ein Wasserschaden aufsaugen ließe.

Wo immer man sich in diesen Ländern niederlässt, stehen die Tüchlein in schnöden Pappschachteln oder schmuckbesetzten Schatullen kaum eine Armlänge entfernt zwischen Platten voller Vorspeisen und Karaffen mit Hochprozentigem zur Rettung bereit: damit man sich an diesem hitzigen Abend den Schweiß von den Schläfen tupfen kann, den Hummus aus den Mundwinkeln rubbeln, damit man seinen Lippenstift vom Glas entfernen oder die Lachtränen von der Wange wischen kann. Noch wunderbarer sind nur die heißen, manchmal gar duftenden Frotteetücher, die sie einem beim Asiaten oder im Flugzeug reichen, damit man sich den Alltag von den Handflächen wäscht. Bevor die – und sei es nur eine kulinarische – Reise beginnt.

JAPANISCHE GETRÄNKEAUTOMATEN

Man kann in Japan hinkommen, wo man will, ob nach Tokio oder in die tiefste Provinz, einer ist immer schon da: der Getränkeautomat. Er ist ein klobiger Geselle, der am Straßenrand, in den Gängen von Bürobauten oder in der Lobby des Hotels auf einen wartet. Praktisch ist das vor allem überall dort, wo es keinen der ebenfalls landestypischen 24-Stunden-Supermärkte in der Nähe gibt. Morgens versorgt einen der Automat mit heißem Kaffee aus der Dose (leider meist ungenießbar), während der schwülen japanischen Sommertage mit gekühltem Grüntee in der Plastikflasche (süchtigmachend) und nachts – da leuchtet er einen schon aus der Ferne an – mit Bier der Marken Asahi oder Kirin (tiptop). Es braucht nicht lange, und man will die allgegenwärtigen Durstlöscher nicht mehr missen. Klar, das Konzept wird sich kaum auf Deutschland übertragen lassen: Der Energieverbrauch! Der Jugendschutz! Das Dosenpfand! Wenn es der ungesüßte(!) Grüntee mal in die Spätis Berlins schaffen würde, wäre schon viel gewonnen.

BOTTOMLESS COFFEE

Noch einen? Gerne! Der amerikanische Kaffee hat hart an seinem miesen Ruf gearbeitet. Wahrhaft grausig war diese Brühe, die einem im Land der unbegrenzten Möglichkeiten in der Prä-Starbucks-Ära serviert wurde. Dünn. Wässrig. Lauwarm. Wenn man also auch sonst nicht viel von dem Konzern mit dem grünen Logo hält, dass er seinen Landsleuten beigebracht hat, was Kaffee ist, dafür muss man ihm danken. Noch einen? Ja, bitte. Was unsere Freunde jenseits des Atlantiks allerdings schon immer instinktiv verstanden haben, ist, dass Kaffee ein Getränk ist, das nach Gemütlichkeit verlangt. Solange man was Süßes aus der Vitrine bestellt, schenken einem die uniformierten Kellnerinnen in amerikanischen Highwaydinern ohne mit der falschen Wimper zu zucken nach. Stundenlang. One more, honey? Immer und immer wieder, bis man vor lauter Koffein und Käsekuchen das Zeit- und Raumgefühl verloren hat und die Weiterreise in einem Zustand der überdrehten Glückseligkeit begehen darf. Zeit, dass der Free Refill auch an hiesigen Autobahntankstellen behandelt wird wie ein verfassungsmäßiges Grundrecht! Noch einen! Sure!

HOLLÄNDISCHE KEKSKULTUR

Sie schweben auf einem ovalen Silbertablett herbei: Mini-Stropwafels, Pindakaas-Rondos, Abrikozen-Koekjes. Jeder Koffiehuisbesucher darf sich ein Plätzchen nehmen und muss das Tablett zum nächsten Tisch weiterreichen. So lautet die Regel. Nur ein Keks! Sonst strenger Blick! Den wirft der Kellner, der das Tablett regelmäßig auffüllt, den maßlosen Deutschen zu. Koekjes sind viel besser als das Stück Fabrikkeks in Plastik, das deutsche Gastronomen auf die Untertasse legen. Hup, Holland, hup.

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