zum Hauptinhalt
Doughnut

© Promo

Löchriges Essen: Nichts schmeckt

Ohne das ganze Drumherum wäre das Loch nicht existent. Doch was ist sein tiefer Sinn in Doughnuts, Drops und Käse? Einige substanzielle Betrachtungen zur Luft.

Armer Homer. Da liebt er seine Doughnuts so sehr, dass er eine ganze Stadt dafür ins Verderben stürzt. Nicht irgendeine, sondern seine: Springfield, USA. Aber zu essen kriegt Homer Simpson keinen einzigen Kringel, im ganzen Film nicht, der gerade im Kino läuft. Auch wenn auf allen Plakaten ein großer rosa Doughnut lockt.

Wesen, die etwas klüger als Homer sind, könnten sich natürlich fragen, was das überhaupt soll: ein Krapfen mit Loch in der Mitte. Ist es nicht der Sinn von Essen, Substanz zu sein – das Loch im Bauch zu füllen? Nicht umsonst spricht man von Lebens-mitteln. Wer kann schon leben von Luft?

Aber Sein und Nichtssein trennt – zumindest in der Sprache Homer Simpsons – nur ein einziger Buchstabe. Whole, das Ganze, und hole, das Loch, sind sich so nah, dass es da doch eine Verbindung geben muss. Und tatsächlich: Auch das Nichts hat seinen Sinn. Selbst beim Doughnut. Der Legende nach wurde das Loch in das Fettgebäck gebohrt, weil dessen innerstes Inneres nie richtig durchgebacken war – innendrin war der Krapfen am Ende immer klitschig. Beim Berliner Pfannkuchen löste man das Problem einfach, indem man die Mitte von vornherein mit Pflaumenmus füllte. In Amerika soll es, so eine Legende, eine Hausfrau gewesen sein, die in die Mitte des Teigs (dough) eine Nuss (nut) setzte, die ihr Mann aber hartnäckig rauspulte.

Richtig populär wurden die ausgebackenen Kringel erst im Ersten Weltkrieg, als die Heilsarmee amerikanische Soldaten mit Doughnuts versorgten. So erzählt es zumindest Don Voorhees in seinem Buch „Why do Donuts have Holes?“: Die Kringel ließen sich beim Marschieren praktischerweise auf den Gewehren aufspießen – so wie es der Polizist im Film „Die Simpsons“ macht: Er nutzt den Lauf seiner Pistole als Gebäckhalter, ja, zieht sich zusätzlich noch Doughnuts wie Ringe über die Finger. Aus ähnlichen Überlegungen soll übrigens auch der Bagel entstanden sein (sagt zumindest eine Legende): Aus Hygienegründen sei es im polnischen Bialytok verboten gewesen, die Brötchen anzufassen. Durchlöchert dagegen konnten sie auf Stöcken angeboten und herumgetragen werden.

Wer sich erst mal umguckt, entdeckt überall im Essen Löcher und Blasen – die ja nichts anderes als geschlossene Löcher sind, so wie Löcher in Käse- und Brotscheiben aufgeschnittene Blasen sind: in Cola und Champagner findet man sie, im Emmentaler und im Krondamer, im Ciabatta und im Spritzgebäck. Ja, zumindest im Westen gäbe es praktisch keine Küche ohne Luft – im Kuchenteig ist sie als Zutat so wichtig wie Eier, Butter und Mehl. Auch der Doughnut hat ja neben dem dicken Loch in der Mitte noch viele kleine Bläschen, die – mit Hilfe von Backpulver oder Hefe, von geschlagenem Ei und Hitze – den Teig aufgehen lassen zu einem lockeren Gebäck.

Es gibt sogar Speisen, bei denen das Loch noch größer ist als das Drumherum, beim Frankfurter Kranz zum Beispiel oder beim türkischen Sesamkringel. Da liegt der Vorteil auf der Hand: So hat man mehr Oberfläche im Verhältnis zur Masse. Mehr Kruste, mehr Buttercreme und Krokant. Auch Brot und Bier, die ältesten Lebensmittel der westlichen Welt, sind berühmt für ihre Luftbläschen, die durch Fermentierung entstehen.

Und wo kommen die Löcher im Käse her? Eine äußerst knifflige Frage, wie Kurt Tucholsky in seiner gleichnamigen Erzählung aufs Anschaulichste vorgeführt hat. Die harmlose Frage des kleinen Tobby beim Abendbrot führt zu wilden Theorien von Papa, Onkel Adolf, Onkel Siegismund, Dr. Guggenheimer und Direktor Flackeland, mal dehnt der Käse sich aus, mal zieht er sich zusammen, dann zerfällt er wieder oder wird feucht, bis die Debattanten sich fast die Köpfe einschlagen. Die Gesamtbilanz:

„4 Privatbeleidungsklagen. 2 umgestoßene Testamente. 1 aufgelöster Soziusvertrag. 3 gekündigte Hypotheken. 3 Klagen um bewegliche Vermögensobjekte: ein gemeinsames Theaterabonnement, einen Schaukelstuhl, ein elektrisch heizbares Bidet. 1 Räumungsklage des Wirts.

Auf dem Schauplatz bleiben zurück ein trauriger Emmentaler und ein kleiner Junge, der die dicken Arme zum Himmel hebt und, den Kosmos anklagend, weithinhallend ruft: ,Mama! Wo kommen die Löcher im Käse her-?’“

Armer Tobby: Damals gab’s noch keine „Sendung mit der Maus“. Die hat das Phänomen nämlich kurz und bündig erklärt: Das Loch ist ein Pups, ein Rülpser. „Ein Bakterienfurz.“ Die speziellen Bakterien, die beim Emmentaler zum Beispiel der Milch hinzugefügt werden, verursachen Kohlesäurebläschen. Um diese wieder loszuwerden, stoßen die Bakterien Gase aus. Durch die Rinde können diese nicht nach draußen entweichen, sodass sie sich stattdessen in Hohlräumen sammeln, die sich bei der Reifung im Lagerraum noch weiter verändern.

Kenner können an deren Form einiges ablesen: „Ovale, zu große oder zu viele Löcher sind ein ungünstiges Zeichen“, hat Elisabeth Eugster von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Milchwirtschaft in der „Zeit“ erklärt. „Da ist die Gärung zu intensiv gelaufen.“ Dabei gibt es offenbar nationale Vorlieben: Die Deutschen, so Eugster, mögen ihre Löcher gern klein (höchstens zwei Zentimeter Durchmesser), die Italiener möglichst groß (bis zu vier Zentimetern), und die Schweizer lieben die Mitte: ein bis drei Zentimeter.

Don Voorhees erzählt im Buch „Why Do Donuts Have Holes?“, dass das amerikanische Landwirtschaftsministerium die erlaubte Größe der Käselöcher für die USA um die Hälfte herabgesetzt habe. Mögliche Gründe, so Voorhees: Großlöchriger Käse bröckelt in den Schneidemaschinen der Lebensmittelindustrie leichter – und amerikanische Käsehersteller mit ihren traditionell kleineren Blasen können so die Schweizer Konkurrenz verscheuchen.

Dabei lieben Kenner Löcher. Ins französische Landbrot gehören sie unbedingt rein. Auch wenn das Brot mit den riesigen Poren sich nicht unbedingt für eine Marmeladenstulle eignet – zum Reißen ist es ideal. So wie der Yorkshire Pudding, der kein Pudding ist, sondern ein besonders luftiger herzhafter Windbeutel.

Dass sie nicht nahrhaft, sondern der pure Luxus sind: Gerade das erklärt den Reiz von Löchern und Blasen im Essen, glaubt Grant Campbell von der Universität von Manchester. Es ist kaum Zufall, dass der Experte für luftiges Essen ein Angelsachse ist. Zweimal schon hat der Chemie-Ingenieur einen Kongress zum Thema „Bubbles in Food“ organisiert, einen gleichnamigen Band mit Aufsätzen herausgegeben, Vorträge gehalten. Bubbles, das klingt so viel sympathischer, lustiger als die deutschen „Blasen“, die eher an wunde Füße denken lassen. Selbst Bläschen haben ja etwas Unappetitliches.

Das lautmalerische bubbles ist viel passender, bringen Löcher und Blasen doch Leichtigkeit, etwas Spielerisches ins Essen. Wer schiebt nicht mit Lust seine Zungenspitze durch die leere Mitte des britischen Polo-Bonbons („The Mint with a Hole“), bläst nicht gern mit dem Strohhalm in die Cola. Man muss sich nur mal ein Stück Luftschokolade in den Mund schieben, die mit Hilfe von Treibgas aufgeschäumt wird – besonders gute Erfahrungen, hat eine Studie der Universität Reading ergeben, werden dabei mit Lachgas gemacht – und saugen daran, schon ist man zurück in der Kindheit. Dabei kann man selbst erleben, was, wie Grant Campbell meint, oft unterschätzt wird: dass die Struktur einer Speise, das mouthfeel, so wichtig ist wie ihr Geschmack. Warum sonst hätte Ferran Adrià, der wohl berühmteste Koch der Welt, mit seinem Espuma eine ganze Welle von Schaumgerichten auslösen können.

Es gibt schon noch einen Grund: Luftige Speisen sind ein süßes Nichts. Luftlöcher sorgen für mehr Masse, aber nicht für mehr Kalorien. Eiweiß zum Beispiel kann auf das Achtfache seines eigentlichen Volumens wachsen, wenn man es zu Schnee schlägt. Und was dabei besonders schön ist: Luft kostet nichts – außer Arbeit: Mit der Hand schlägt man sie unter den Teig, mit dem Mixer unter die Sahne. Was das Reizvolle an Bläschen ist, dass sie wachsen und schrumpfen, glitzern und platzen können, ist allerdings auch ihr Problem: Es sind zerbrechliche Wesen. Sie brauchen Halt. In der Sahne gibt die das Fett, beim Eischnee Protein und Zucker, in der Mousse die Gelatine, in industriell hergestellten Lebensmitteln Stabilisatoren.

Das, was das Loch nahrungstechnisch so unsinnig erscheinen lässt, macht es kulinarisch gerade attraktiv: Leere kann man füllen, Paprikaschoten zum Beispiel oder Cannelloni. Hohle Penne saugen die Tomatensauce besonders gut auf, Kolja Kleeberg vom Berliner Restaurant „Vau“ spritzt in die Makkaroni eine mit Kräutern und Zitrone gewürzte Mozzarella-Ricotta-Mischung. „Die fließt zwar wieder raus, macht die Nudel aber besonders cremig.“ Manche Köche bohren sogar selber Löcher – in den Apfel, um ihn mit Marzipan zu füllen, in den Rehrücken, um ihn mit Speck zu spicken. Kleeberg höhlt eine Zwiebel aus, die er mit Bulgur füllt: So bekommt der lockere Weizen Halt, ohne dass er mit Eigelb oder Stärke zementiert werden muss.

Und auch Löcher kann man essen, wie Dunkin’ Dounut beweist: Bei dem Fast-Food-Bäcker wird die aus dem Teig gestanzte Mitte frittiert und als Munchkin verkauft. Ein halbes Dutzend für 1,99 Euro. Wie hat die Französin Claire Didier ihr Kindersachbuch genannt, das im September bei Oetinger erscheint: „Die Welt ist voller Löcher.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false