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Maultaschen: Ravioli, die am Boden bleiben

Unsere Probierrunde testete Maultaschen aus dem Berliner Handel - und lobt die Werke der Kleinhersteller.

Italien ist nicht nur das Stammland der europäischen Nudeln, sondern auch das ihrer Formen. Von Bigoli, groben Landnudeln, über haarfeine Spaghetti, Öhrchen und Schmetterlingen bis hin zu bizarren Konstruktionen reicht das Spektrum. Der Eindruck drängt sich auf, dass diese Vielfalt nicht allein regionale Unterschiede spiegelt, sondern eine gemeinsame Haltung. Sie scheint sich die Welt vor allem mit Hilfe von Analogien zu erschließen – und so werden aus Ähnlichkeiten im Lauf der Zeit Varianten, die sich wiederum verzweigen.

Schwaben sind in dieser Hinsicht wesentlich nüchterner, obwohl ihre Küche der italienischen hierzulande wohl am nächsten kommt. Trotz der vielen Mehlspeisen, die zum Teil von den Originalen jenseits der Alpen kaum zu unterscheiden sind, fehlt schwäbischen Gerichten das, was man als Rhythmus bezeichnen könnte. Man bleibt lieber am Boden, selbst wenn etwa die sogenannten Bubespitzle den Gnocchi oder die Maultaschen den Ravioli nachgebildet wirken.

Das gilt in besonderem Maße für die Maultasche. Sie wird mit Sinn für Portion hergestellt und kann bisweilen derart mächtig sein, dass bereits ein Exemplar mit einem Hieb Kartoffelsalat dem Appetit den Garaus bereitet. Es enthält gewöhnlich Hackfleisch oder Brät, Speck, Spinat, Semmelbrösel und Zwiebel und wird entweder in Brühe genossen oder „geschmälzt“, also angebraten. Zwei Typen lassen sich ausmachen: In der Gegend um Heilbronn wird die Füllung in Teig eingerollt, während man sie auf der Alb einschlägt und an den Kanten schließt.

In jüngerer Zeit erfreut sich die Maultasche auch in Berlin einiger Beliebtheit. Das hängt nicht unbedingt nur mit dem Zuzug aus Süddeutschland zusammen, sondern ganz allgemein mit dem wachsenden Interesse an regionalen Spezialitäten. Zu den angenehmen Seiten der Hauptstädter zählt nämlich ein recht vorurteilsloser Umgang mit Dingen, die Behagen versprechen. Ob das tatsächlich auch auf Maultaschen zutrifft, die im hiesigen Handel angeboten werden, das wollte die monatliche Tafelrunde heraus finden. dass als Gastgeber ein echter Schwabe gewonnen werden musste, versteht sich von selbst. Niemand bot sich da mehr an als Peter Frühsammer.

Der Maître des gleichnamigen Grunewalder Villa-Restaurants hatte gleich tüchtig zu schlucken an den Taschen von „Zimmermann“ aus der Galeria Kaufhof. Denn deren Füllung erinnert an Fleischkäse, dem man mit Brühwürfel, stellenweise ungarer Zwiebel und Muskat tüchtig zugesetzt hat. Auch bei „Die Maultasche“ aus dem Metzgereibetrieb Treuter in Stuttgart, die als großformatige Wan-Tan daher kam, muss wohl Pökelsalz verwendet worden sein – dafür spricht das Rosa des mit Petersilienstengeln gelockerten Bräts. Zudem irritierte Säure, und der bleiche Teig zeigt, dass man in der Landeshauptstadt am Neckar sparsam mit Eiern umzugehen versteht.

Als wieder einmal ziemlich kläglich erwies sich die Ware aus dem Biomarkt. Für die Handy-große „Pasta Nuova“ gibt es nur ein Wort: katastrophal. Und was „Biolance“ von Zimmermann aus der Galeria am Alex betrifft – Frühsammer wusste gar nicht recht, mit welchem Einwand er beginnen sollte. Dem Leberknödel-Duft? Der unangebrachten Süße? Dem bitteren Muskat? Dem pampfigen Inhalt oder dem faden Umschlag? Zumindest interessant wirkten die nach EG-Ökoverordnung angefertigten, verschwenderisch gesalzenen Maultaschen „Tante Martha“ von Fresh’N’Friends. Dort bekommt man es mit einer Art fleischigem Spinat-Pesto zu tun, das mit Krümeln, Trockenkräutern und Knoblauch in Fasson gebracht wurde. „Oder haben die Strohblumen reingemixt?“ fragte ein sarkastischer Frühsammer.

Kleinhersteller werden dem Begriff manchmal auf andere Weise gerecht, als sie sich das vorstellen. Weder die als Nachkriegsmaultaschen anzusprechenden Produkte der „Fleischerei Bengelmann“ in Ellwangen, die in der Theke des Tante-Emma-Ladens Lisa Rothenberger liegen, noch die von „Rickerts Bauernlädle“ aus dem Hohenlohischen, die Ebbes führt, kommen wirklich vom Fettig-Wurstigen weg. Was die Würzung betrifft, so ist man beinahe gewillt, an eine Pfeffer-Muskat-Verschwörung im Ländle zu glauben – jedenfalls geizt man nicht mit diesen beiden Komponenten.

Wird Fabrikware mit Niveau wie die vom weit verbreiteten „Bürger“ dagegen gehalten, fallen die Manufaktur-Mängel noch mehr auf. Die voluminösen Wickel als Kantinenmaultasche abzutun, wäre ungerecht. Nach den auf der Packung empfohlenen 15 Minuten in Brühe haben sie ordentlich Hitze gespeichert, der Teig behält Biss und die fluffige Textur der vielleicht ein wenig zu herzhaften Farce verlangt geradezu nach gerösteten Zwiebeln und brauner Butter. „Bürger kann man guten Gewissens seinen Kindern mittags hinstellen“, bemerkte Chefköchin Sonja Frühsammer. Wer zwei Euro mehr ausgeben will, kauft dasselbe Fabrikat halt im delikatessigeren Schlemmermeyer-Outfit.

Am Ende waren es doch Maultaschen aus Kleinserie, die siegten. Einen ungefährdeten dritten Platz machte „Nudel & Co.“, weil da Charakter vorhanden ist, ohne dass er gleich eigenwillig sein wollte. Die gelbliche Nudelhülle ist mäßig dick, bleibt fest und fühlt sich am Gaumen gleichwohl seidig an. Die lockere Füllung ist so harmonisch abgerundet, dass sie manchem womöglich gar zu mild vorkommt. „Wie die meiner Mutter, schneiden sich schon hervorragend!“ rief der Prüfungsvorsitzende, als er die dicken Kerle aus der „Maultaschen-Manufaktur“ probierte.

Ausnehmend gut gefiel Frühsammer die dahinter steckende Idee (und hier darf man endlich einmal von einer solchen sprechen): Gehackter Spinat, denkbar frisch, untermischt mit Lauch sowie ein kaum gebundenes Hackfleisch, das trotzdem den Zusammenhalt nicht verliert, fügen sich willig in einen Teig von Graden. Nur mit dem Pfeffer ist der Hersteller und Maultaschen-Wirt Ulrich Morof ein bisschen zu übermotiviert umgegangen.

In dieser Hinsicht hat ihm Barbara Kappel-Weber etwas voraus. Bereits der Anblick der zierlichen Rollen von „Barbara’s Kaffeetafel“ verrät, dass sie mit jener Mischung aus Kompetenz und Liebe gemacht sind, die gerade einfachen, volkstümlichen Speisen soviel Würde verleihen können. Im Unterschied zu allen anderen Probanden bekam es die Runde hier mit einem wahrhaftigen Solitär zu tun. Man merkt sofort: Enorme Erfahrung ging in diese perfekte Einheit aus Teig, Hack, Spinat, Zwiebel und Würze ein. Nichts sticht hervor, keine Zutat geht unter. Ein Zuviel von irgend etwas gibt es nicht, denn Stil fordert Opfer.

Barbara’s Kaffeetafel, Schöneberg/Friedenau, Mi und Sa Wochenmarkt Winterfeldtplatz, Do und Sa Wochenmarkt Breslauer Platz. www.barbaraskaffeetafel.de

Die Maultasche. Schwäbische Feinkost, Mitte, Charlottenstr. 35/36, Tel. 310 11 686

Ebbes, Schöneberg, Crellestraße 2, Tel: 70 09 48 13. www.ebbes-in-berlin.de

Fresh’N’Friends, Prenzlauer Berg, Kastanienallee 26

Lina Rothenberger, Schöneberg, Habsburger Str. 4, Tel. 6954 3414. www.rothenbergerfeinkost.de

Maultaschen Manufaktur, Tiergarten, Lützowstr. 22, Tel. 0178-5647 645. www.maultaschen-manufaktur.de

Nudel & Co., Dallgow-Döberitz, Seegefelder Str. 6c. Donnerstag auf dem Hackeschen Markt, Freitag in der Preußenallee, Sonnabend auf dem Kollwitzplatz, dem Karl-August-Platz und dem Breslauer Platz. www.nudel-und-co.de

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