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Gesellschaft: Mein kulinarisches

Dieter Kosslick ist Berlinale-Chef – und ein begeisterter Koch und Esser. Hier stellt er seine appetitliche Weltanschauung vor: von A wie Amerika bis Z wie Ziege. Teil III einer Serie.

AMERIKA

Ein Kontinent des kulinarischen Widerspruchs. Der Chemie- und Saatgutkonzern Monsanto und andere Industriegiganten in den USA manipulieren das Erbgut von Pflanzen und Tieren und können so die Nahrungsvielfalt der Erde zerstören. Andererseits hat Amerika der Welt die größten kulinarischen Genüsse beschert. Was wäre die Küche ohne Kartoffeln, Topinambur oder Tomaten, die ihre Heimat in Südamerika haben?

BAGEL

Zuerst war der Bagel Teil der europäischen Kultur, dann wurde er vergessen, und jetzt kommt er nach seiner Erfolgsgeschichte in den USA zu uns zurück. Gute Bagels gab es auch im jüdischen Viertel in Berlin – heute bekommt man sie wieder in Mitte. Peter Körte und ich haben ein Büchlein über den Kringel geschrieben: „Das Buch Bagel“ (Fischer), das es leider nur noch antiquarisch gibt. Der Film „Extremly Loud and Incredibly Close“ mit Tom Hanks und Sandra Bullock, der auf der Berlinale läuft, startet übrigens wie mein Buch im beliebtesten Bagelladen von New York. Dort, auf der Upper West Side, habe auch ich den Bagel entdeckt (barneygreengrass.com).

CHEF

Das Schild „Hier kocht der Chef selber“ suggeriert handgemachte Autorenküche. Doch die gibt es in Wirklichkeit nur zu Hause. In den modernen Profiküchen herrscht Arbeitsteilung und Teamgeist; der Chef koordiniert seine Souschefs, und der Gast ist König. So versuchen wir es auch bei der Berlinale.

DAMPF

Dampf zu machen oder abzulassen ist ein wichtiger Vorgang beim Kochen. Wer ihn beherrscht, wird keinen Kohldampf schieben. Coledampf am Moritzplatz (Prinzenstraße 85d) ist übrigens einer der schönsten Küchenbedarfs- und Kochbuchläden Berlins. Und sehr gut essen kann man dort auch.

ESSEN

„Das Essen war schlecht, und auch noch so wenig“, heißt es in einem WoodyAllen-Film. Das trifft auch für viele Deutsche zu, die wie die Engländer unter zehn Prozent ihres Einkommens für Nahrung ausgeben. Im Unterschied zu Woody Allen gibt es bei uns nicht wenig, sondern ziemlich viel für wenig Geld, etwa einen Liter Olivenöl schon ab 2 Euro. Ein Liter Motoröl kostet leicht das Zehnfache.

FEUER

Beim Kochen geht es um die Hitze. Früher war das Feuer die einzige Energiequelle, heute gibt es E-Herde, Mikrowellen und Induktionsplatten, mit denen man viel Strom sparen kann. Wie auch immer, die wichtigste Energiequelle ist die Leidenschaft, mit der gekocht wird.

GESCHMACK

Jedes Kind nimmt erstmal alles in den Mund und lernt, was es mag und was es lieber nicht hätte probieren sollen. Geschmack bedeutet Wissen. Das erkannten schon die Römer: „Homo sapiens“ heißt nicht nur weiser, sondern auch schmeckender Mensch.

HUHN

Ich liebe Hühner, nicht zum Essen, sondern weil sie so schön aussehen und uns mit leckeren Eiern versorgen. Was ihnen allerdings in den Hühnerfarmen, egal ob bio oder konventionell, angetan wird, kann ich nur als Sauerei bezeichnen. Wenigstens versucht Frau Aigner gerade, den Antibiotika-Einsatz in den Hühnerställen zu verbieten.

INGWER

Ein dicker Ingwerfinger, klein gehackt, etwas Zitrone, in heißem Wasser sieben Minuten gezogen, das ist mein Starter am Morgen, und ich gehe beschwingt los, als würde Ginger Rogers mit mir und nicht mit Fred Astaire tanzen.

JAHRESZEITEN

Schön, dass wir vier davon haben. Bauern und Winzer wissen es: Kein Jahr ist wie das vorherige. Die Schräglage der Erdachse verursacht die Jahreszeiten. Alles würde präzise wie ein Uhrwerk ablaufen, wären da nicht die Kräfte anderer Himmelskörper, die die Rotationen ganz leicht beeinflussen und für Überraschungen sorgen. Es ist wie im Film, alles dreht sich ums Licht und auch noch um sich selbst. Doch erst die Exzentrik sorgt für den richtigen Dreh.

KOCHEN

Manchmal komme ich auf einem heißen Reifen nach Hause, weil ich versprochen habe, zu kochen. Auf dem Weg denke ich: Vielleicht hätte ich heute doch besser eine Pizza kaufen sollen. Aber spätestens, wenn wir bei einer Pasta mit Pesto sitzen, weiß ich es wieder: Kochen erdet und kann himmlisch sein.

LEBENSMITTEL

Es ist heute nicht einfach, Lebensmittel zu finden, die wirklich Mittel sind, die das Leben erhalten. Ich empfehle das Buch „Lebens-Mittel“ (Goldmann Arkana Verlag) von Bestsellerautor Michael Pollan als Kompass für den Einkauf.

MARKT

In einer Athener Marktgasse vor über 2400 Jahren fragte Sokrates die Besucher, wo man hier denn gut einkaufen könne und machte sie auf die Zusammenhänge zwischen den Mitteln zum Leben und der Ethik aufmerksam. Meine Lieblingsmärkte sind samstags am Chamissoplatz, die neue Markthalle 9 in Kreuzberg (Freitag und Samstag) und der Ökomarkt am Hansaplatz (ab Freitagmittag).

NUDELN

Am besten sind die selbst gemachten, das habe ich von meiner Mutter gelernt. In Süddeutschland kriegt man gute Fertignudeln und guten Teig sogar beim Bäcker, in Berlin bei Südwind (Akazienstraße 7, Schöneberg) – ich empfehle „Il Pastaio di Gragnano“ (3,50 Euro, 500g verschiedene Sorten). Wenn ich Pasta kaufe, achte ich immer darauf, dass sie durch Bronzeformen gepresst (trafilata al bronzo) und langsam getrocknet (essicazione lenta) wurde. Dadurch wird die Oberfläche des Spaghettos rauer, und er kann mehr Soße aufnehmen.

OH

Oh und Ah sind die schönsten Komplimente für den Koch, denken Sie an Meg Ryan in „When Harry Met Sally“. Darauf eine Eau-de-vie, Ugami oder so...

PIZZA

Mein Erweckungserlebnis hatte ich als Student bei einem Italiener in München: Da gab es eine Margherita mit Oregano, und die ist meine Lieblingspizza bis heute. Gute Pizzerien: „Tre“ (Giesebrechtstr. 3, Charlottenburg) und „Osteria dell’ Arte“ (Bochumer Str. 26, Moabit).

QUALITÄT

Qualitätswein ist die gesetzliche Bezeichnung für die einfachen Weine eines bestimmten Anbaugebiets, abgekürzt Q.b.A. Ich trinke diese Weine gerne, denn sie geben Auskunft über die Sorgfalt, mit der ein Winzer arbeitet. Wenn der schmeckt, dann schmecken auch die sogenannten „großen Gewächse“.

ROHSTOFF

Möhrenscheiben, mit dem Sparschäler geschnitten, geben köstliche Rohkost. Gute Rohkost gibt es bei „Detox Delight“ (Kaiserdamm 87, detox-delight.com).

SLOW FOOD

„Gut, sauber und fair“ soll unser Essen produziert und gehandelt werden, sagt Slow-Food-Gründer Carlo Petrini. Mit dieser genial einfachen Formel erfasst er alle Dimensionen des Essens: Geschmack, Ökologie und die wirtschaftliche Produktionsweise. Ich gehöre zu den mehr als 100 000 Mitgliedern weltweit.

TINTENFISCH

Tintenfisch wird nach einem Rezept von Giorgio Locatelli mit etwas Öl in einem Topf mit Deckel und ohne Korken gegart. Gelingt immer. Nachdem Paul so schön die WM-Spiele vorausgesagt hat, habe ich allerdings Probleme, seinesgleichen in den Topf zu stecken.

URGROSSMUTTER

„Essen Sie nichts, was nicht auch Ihre Großmutter als Lebensmittel erkannt hätte“, schreibt der US-amerikanische Autor Michael Pollan (siehe Lebensmittel) in „64 Grundregeln Essen“ (Goldmann Arkana Verlag) und erinnert daran, wie viele seltsam kombinierte und mit erstaunlichen Zusätzen gemixte Esswaren in den Supermärkten auf uns lauern.

VEGETARIER

Einem Vegetarier geht es heute in Restaurants etwas besser als noch vor wenigen Jahren (empfehlenswert: „Cookies Cream“, eines der besten vegetarischen Restaurants, Behrenstraße 55). Das Bewusstsein dafür steigt, dass übermäßiger Fleischkonsum ein Problem für die Gesundheit und Ursache von Umweltkatastrophen ist. Doch erst die Ächtung der industriellen Nahrungsproduktion und die Achtung vor Bauern und Erzeugern wird das Gleichgewicht bei der Lebensmittelerzeugung wieder herstellen.

WASSER

Wir trinken das gleiche Wasser wie die Dinosaurier, und die Wassermenge hat sich seit ihrer Zeit nicht verändert. Trotzdem säuft ein Teil der Erde ab, während der andere verdorrt. Patentlösungen gibt es nicht, aber Vorschläge: etwa in dem Film „Last Call At The Oasis“, den wir während der Berlinale zeigen.

XANTHAN

Xanthan ist ein Verdickungsmittel und als Zusatzstoff E415 auch in Biokost zugelassen. In größeren Mengen verdickt Xanthan allerdings nicht, sondern wirkt als Abführmittel. Es kommt halt immer auf die Dosis an.

YQUEM

Château d’Yquem ist ein legendärer Schlotzer (Süßwein) aus dem französischen Anbaugebiet Sauternes. Thomas Jefferson, dritter Präsident der USA, bestellte einst 250 Flaschen des 1784er Jahrgangs. Jefferson ist ein Vorkämpfer für biologische Vielfalt, für die Agri- und Gartenkultur. Seine Saat geht auf in Michelle Obamas White House Garden und der modernen Schulgarten-Bewegung der amerikanischen Starköchin Alice Waters. Über Waters erfährt man viel Interessantes in Susanne Kippenbergers Buch „Zu Tisch“ (Berlin Verlag).

ZIEGE

Meine Familie liebt Ziegenkäse, leicht angewärmt auf frischem Salat, mit Pinienkernen und einem Tropfen Akazienhonig. Mein Lieblingsziegenkäse kommt vom Gut Ogrosen in der Lausitz – gibt es auf Berliner Wochenmärkten.

Das Kulinarische Kino der Berlinale zeigt vom 12. bis 17. Februar 15 Filme über Essen und Umwelt: www.berlinale.de

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