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Gesellschaft: Neue Etikette

Sie sind Visitenkarte und informieren über den Inhalt der Flasche. Doch neuerdings sollen Weinetiketten auch noch total originell sein. Eine Designprobe.

Mutig könnte man es nennen – modern und revolutionär. „Affig“ dagegen fand es ein Kunde. Ein anderer schrieb: „Durch diese deutsche Kehle wird kein Tesch-Wein mehr rinnen!“ Das, erinnert sich Martin Tesch, war die böseste Reaktion auf den Auftritt seines neuen Weins, an dem eigentlich alles provokant war. Schon die Flasche: Schwarz für einen Weißwein! Darauf das schwarz-weiße, strenge und schnörkellose Etikett, angelehnt an die Bauhausästhetik, aber gekrönt mit einem Porträt des Ur-ur-ur-ur-ur-Großvaters, der schon seit 150 Jahren Tesch-Flaschen schmückt. Der Schraubverschluss. Der Name: „Riesling-Unplugged.“ Und, nicht zu vergessen, der Inhalt. „Ein Konzeptwein gegen die Versüßlichung und die immer weiter um sich greifende Verniedlichung des Rieslings.“ Die Botschaft des Auftritts: ein starker Wein in starker Verpackung. Form follows function.

Der „Riesling-Unplugged“ kommt nicht aus Australien, sondern von der Nahe. Von einem Weingut, das seit Generationen in Familienbesitz ist. Aber als Martin Tesch das Gut zur Jahrtausendwende von seinem Vater übernahm, wollte der promovierte Biologe neue Wege gehen. Und ruinierte fast den Betrieb. 40 Prozent der Kunden blieben erst mal weg. „Das Image der heilen deutschen Weinwelt war zerstört.“

Am Ende hat sich der riskante Einsatz gelohnt, verhalfen ihm gerade Name und Etikett zu Designpreisen, zur Aufmerksamkeit für den viel gelobten Wein, zum internationalen Erfolg – und einem neuen Publikum. Wer zur MTV-Generation gehört, weiß, was mit „Unplugged“ gemeint ist: ohne Verstärker. Etwas Intimes, Entspanntes. „Ein Wein, der leiser ist, Ecken und Kanten hat, mit der Hand gemacht ist“, so der Winzer.

Als Visitenkarte des Weins werden Etikette bezeichnet. Dabei gleichen sie in ihrer plakativen Gestaltung eher dem Umschlag eines Buchs. Das verrät auch die wichtigsten Informationen, Autor, Titel, Verlag, Preis, ist aber zugleich ein ganz entscheidendes Marketinginstrument. So wie man einen Diogenes-Roman oder ein Suhrkamp-Bändchen schon aus fünf Metern Entfernung erkennt, sieht man von ferne, am himmelblauen Erscheinungsbild, dass da beim Händler ein Robert Weil steht und, am schrägen schwarzen Etikett, dass dort im Restaurant jemand Heymann-Löwenstein trinkt. Den beiden Winzern ist, ebenso wie Tesch, gelungen, wovon heute alle träumen: ihren Wein zur Marke zu machen. Der Wiedererkennungseffekt, das ist für den Weinautor Stuart Pigott denn auch das Wichtigste am Etikett.

Noch nie war es so wichtig wie heute. Denn noch nie war die Konkurrenz so groß. Merlot aus Chile, Sauvignon aus Südafrika, Shiraz aus Australien – was vor 20 Jahren noch exotisch klang, steht heute in jedem Supermarkt; gleichzeitig ist der innerdeutsche Wettbewerb enorm, die Qualität so hoch wie nie. Da muss man auf sich aufmerksam machen – möglichst ohne schrill, gewollt originell zu wirken.

Gerade jüngere Kunden wissen mit Angaben wie „Kabinett“ wenig anzufangen; sie lassen sich, hat Georg Mauer vom Berliner Laden „Wein & Glas“ beobachtet, eher von der Ästhetik leiten, fühlen sich angesprochen von Markus Schneiders Label, die der Pfälzer Winzer selber am Computer entwirft, und die nur aus Schrift bestehen. Dahin geht der Trend: hin zum Grafischen, weg von der Malerei, weg von reich verzierten Bildern mit abenteuerlichen Motiven (Mönche, nackte Frauen, Sonnenhüte, Leuchttürme, Turnvater Jahn, Kröten, Kinder, Krokodile…) – hin zu Buchstaben.

Was nicht heißt, dass man mehr zu lesen hätte. Wie viele seiner Generation setzt Martin Tesch mehr auf Emotion als Information. Die hat der 40-Jährige auf das gesetzlich vorgeschriebene Minimum reduziert und auf die Rückseite geklebt: Jahrgang, Menge, Alkoholgehalt, amtliche Prüfnummer, Rebsorte, Region, Qualitätsstufe, Erzeuger, die Bemerkung „enthält Sulfite“. Und ein kleiner Adler, der ästhetisch aus dem Rahmen fällt. Er ist das Zeichen des VdP, des renommierten Verband deutscher Prädikatsweingüter, dessen Mitglied Tesch ist und der in der kommenden Woche wieder seine GutsWein in Berlin veranstaltet.

Auf der Messe wie bei den begleitenden Weinproben wird man allerdings viele traditionelle Etiketten sehen. Ein altes Weingut wie Prüm von der Mosel, dessen Erscheinungsbild bekannt ist auf der ganzen Welt, kann es sich nicht leisten, dieses einfach abzulegen. Und so stammen noch immer viele Etikette der großen Winzer aus der Zeit des Jugendstils, selbst wenn der Inhalt ganz modern ist. Newcomer wie Schneider oder Heymann-Löwenstein haben es da einfacher – „müssen aber auch Geschichten zu den neuen Weinen erzählen“, wie Mauer sagt.

Die Angabe „enthält Sulfite“ ist erst seit ein paar Jahren Pflicht, mit Rücksicht auf die Allergiker. Dabei verwirrt es vielleicht mehr, als dass es aufklärt. Denn Schwefel enthält jeder Wein. Für Heymann-Löwenstein ist das „ein Relikt des Mittelalters, als der Teufel noch nach Schwefel stank. Es ist ein Nebenkriegsschauplatz. Das Giftige am Wein ist der Alkohol.“ Weswegen darüber debattiert wird, ob auf die Flaschen nicht eine ähnliche Warnung wie auf Zigarettenpackungen gedruckt werden soll.

Wem allein bei dem Wort „Sulfite“ mulmig wird, dem würde wahrscheinlich schlecht, wenn er wüsste, was der Pinot Noir aus der Neuen Welt alles enthält und wie er fabriziert wird. Denn dort ist alles erlaubt, was technisch möglich ist, ohne dass es für den Kunden dokumentiert werden muss. Ausländische Weinetikette muss man wie Fremdsprachen lesen lernen, jedes Land hat seine eigenen Regeln. Oder eben keine.

Das deutsche Weingesetz gilt als besonders streng, wird inzwischen aber auch etwas lockerer gehandhabt. Die alte Faustregel, „was an Angaben auf dem Etikett nicht ausdrücklich erlaubt ist, ist verboten“ gilt so nicht mehr. Früher durfte nicht mit Eigenschaften geworben werde. Heute schreiben manche Winzer ganze Aufsätze in Werbeprosa hintendrauf. Oder der Hirschhorner Hof aus der Pfalz weist ausdrücklich darauf hin, dass sein Pinot Noir „ohne Zuhilfenahme moderner oenologischer Hilfsmittel“ ausgebaut wurde und fügt eine Art Gebrauchsanweisung hinzu, beste Trinktemperatur und Essensempfehlungen.

Bei der Debatte um die zentrale Frage: Wie viel Klarheit ist möglich, wie viel Information nötig?, gehen die Meinungen allerdings weit auseinander. Für Heymann-Löwenstein etwa ist nicht die Rebsorte, sondern das Terroir das Entscheidende. Für Stuart Pigott ist der Erzeuger die wichtigste Information auf dem Etikett, den Jahrgang dagegen hält er für ziemlich irrelevant, „da gibt es heute nur noch wenig Schwankungen“. Ein Gebietsname sagt ihm mehr als das Erzeugerland. „Den italienischen Weißwein gibt es nicht.“ Wofür er allerdings kämpft, ist eine genaue Liste der Inhaltsstoffe, „wie beim Joghurt. Dafür hassen die Winzer mich“.

Ein weiterer Grund, warum das Etikett in den letzten Jahren so an Bedeutung gewonnen hat, sind die Cuvées, die immer mehr Winzer produzieren, eine (qualitativ hochwertige) eigene Mischung aus verschiedenen Trauben. Da kann – und muss – man nicht mehr einfach drauf schreiben: Scheurebe Spätlese oder Riesling halbtrocken. Stattdessen stehen Fantasienamen auf den Flaschen, so eigenwillige Kreationen wie der Wein selbst: „Ursprung“ von Schneider, „Schieferterrassen“ von Heymann-Löwenstein.

Noch weiter geht das Restaurant Weinstein in Prenzlauer Berg, das sich für seine Hausweine von Henning Wagenbreth, Kunstprofessor an der UdK, eigene Etiketten hat entwerfen lassen: „Fett im Bett“ heißt der Rote, „Schlank im Schrank“ der Weiße, „Schwul am Pool“ der Rosé. Name und Kunst, findet Stuart Pigott, „passen auf skurrile Weise zum Wein“. Für den Briten ist es der eher „seltene Fall, wo Name, Optik und Geschmack übereinstimmen.“

Ein anderes Beispiel heißt „Fabelhaft“: So hat Dirk Niepoort seinen vielfach preisgekrönten Rotwein genannt, der für jedes Export-Land ein eigenes Label bekommt. Das deutsche wurde prompt von der Fachzeitschrift „Vinum“ 2007 zum „Etikett des Jahres“ ernannt. Um die ganze Flasche gewickelt ist eine Bildergeschichte von Wilhelm Busch, aus der man sich die Informationen etwas mühsam rauspicken muss. Die Kunden scheint das nicht zu stören, der Rotwein wurde sofort ein Bestseller.

Das Label war, so Pigott, eine Reaktion auf die Klagen, die viele Winzer von älteren Kunden über den neuen Minimalismus zu hören kriegten: „,Da gibt’s nichts mehr zu lesen!’ Da hat Niepoort gesagt, wenn schon, denn schon.“ Und hat Buschs Geschichte vom Raben Hans Huckebein abgedruckt, den dürstet sehr nach Wein. „Ei, ei! Ihm wird so wunderlich,/So leicht und doch absunderlich.“ Humor auf einer guten Flasche Wein, das wäre vor zehn Jahren in Deutschland noch undenkbar gewesen.

Mehr über die GutsWein Berlin am kommenden Wochenende unter www.vdp.de

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