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In dubio Prosecco.

© StockFood

Prosecco: Ein Traum vom Schaum

Er wird auf Partys und Vernissagen serviert, er ist zum klassischen Aperitif geworden. Zum Berliner Sommer gehört Prosecco wie die Wespen. Was ist das für ein Getränk?

Es gibt nur einen Wein, den man schon am Morgen trinken möchte, so wie es die venezianischen Signori vor der Bar Marcà nahe des Rialto-Marktes tun. Das erste Korkenknallen des Tages hallt gegen 9 Uhr über den Campo, Tauben fliegen auf, und in die Gläser ergießt sich schäumend Prosecco. Hier wird er nie in fragilen Sektkelchen ausgeschenkt, sondern in bodenständigen Weingläsern. In die kann man auch viel besser seine Nase stecken und ihn einsaugen: den zarten Duft von weißen Blüten und Birnen, die noch vor ihrer Reife stehen. Ein seidiges Bitzeln lässt den Wein über den Gaumen gleiten, füllt den Mund mit kurz aufwallender Süße und hinterlässt ihn erfrischt, im besten Fall mit leicht salzigem Nachhall. Der nach dem nächsten Schluck ruft. Die Signori lächeln.

Der Name Prosecco zaubert auch auf das Gesicht von Wirten in Berlin ein Lächeln – vor allem im Sommer. Denn bei kaum einem alkoholischen Getränk fällt ihr Gewinn höher aus. Zwei-Euro-Flaschen gehen in kleinen Kelchen zu knackigen Preisen über den Tresen und sichern Gewinne bis zum Zehnfachen des Einkaufspreises. Und ob in modischen Mixgetränken wie Hugo, Aperol Spritz oder Inge tatsächlich Prosecco steckt oder nur ein mit Kohlensäure versetzter Landwein, ist selbst für geübte Zungen schwer zu erkennen.

Seit in den 90er Jahren der Siegeszug des Prosecco hierzulande begann, ist der Konsum zwar Jahr für Jahr gewachsen, nicht aber das Wissen über die urvenezianische Variante des Schaumweins. Das verleitet zu Täuschung und der billigen Herstellung von seichter Plörre. Denn kaum jemand kennt guten Prosecco.

Eine Autostunde entfernt von Venedig liegt Prosecco-Herzland. Auf dem Weg dorthin durchquert man die nördliche Po-Ebene, in der Industrie und Weinproduzenten um die Vormacht konkurrieren und sich dabei immer ähnlicher werden. Was heißt hier überhaupt Weinberge. Die Rebzeilen ziehen sich in endlosen, exakt ausgerichteten Reihen dahin. Der kräftige Wuchs auf den fruchtbaren Schwemmlandböden wird mit Hilfe gewaltiger Maschinen zurechtgestutzt. Oft steht Feuchtigkeit in der Ebene – ein Feind, selbst für die recht robusten Prosecco-Trauben.

Bis 2009 hießen sie noch so wie der aus ihnen gewonnene Wein. Dann machte die italienische Regierung die Rettung des Prosecco zur nationalen Aufgabe. Der Exportschlager war zum Inbegriff des leichten Lebens italienischer Art avanciert und sollte vor Nachahmern aus Apulien, Sizilien oder gar dem Ausland geschützt werden. Dafür war es nötig, ihm einen klar definierten Ursprung zuzuweisen und damit ein kontrollierbares Produktionsgebiet zu schaffen. Bis dahin hätte Prosecco von überallher kommen können, solange er aus Prosecco-Trauben gekeltert war.

Also erhielt die Traube den alten Namen Glera und die Anbauregion den Namen Prosecco, benannt nach einem Dorf bei Treviso. Seitdem darf nur Wein als Prosecco verkauft werden, der zu mindestens 85 Prozent aus Glera besteht und im Prosecco-Gebiet erzeugt wird. Als im Juni auf der Fachmesse Vinexpo in Bordeaux ein Prosecco aus Brasilien ausgestellt wurde, der zuvor einen französischen Preis gewonnen hatte, tobten die Italiener vor Wut. Entgegen allen europäischen Regeln hätten die Veranstalter einen Wein legitimiert, „der sich widerrechtlich die Rechte unserer Denomination angeeignet hat“, kommentierte Konsortium-Präsident Stefano Zanette.

Zwei Welten, die beide mit Prosecco beginnen

In dubio Prosecco.
In dubio Prosecco.

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So einig das klingt, Prosecco-Land besteht aus zwei völlig unterschiedlichen Teilen: Im Flachland werden die meisten Flaschen gefüllt, aktuell gut 306 Millionen pro Jahr, zwei Drittel davon gehen in den Export. Der Weinbau ist hier stark mechanisiert, die Kellereien gleichen Hightech- Raffinerien. Dieser Teil heißt Prosecco DOC (Denominazione di Origine Controllata) und unterliegt strengeren Weinkontrollen. Das Herzland des Prosecco aber beginnt, wo die Ebene endet: Bei Conegliano, wo die Landschaft sich Richtung Voralpen in Hügel aufwirft, die sich hinüber nach Valdobbiadene ziehen und immer steiler werden, bis sie in winzigen Terrassen enden. Keine Maschine kommt da rein, und Menschen müssen bei der Arbeit in diesen Steillagen höllisch aufpassen.

Das Hügelland von Conegliano und Valdobbiadene ist das traditionelle Zentrum des Prosecco, und als das Flachland zur DOC aufgewertet wurde, erhielt es zum Ausgleich den Ritterschlag: den DOCG- Status (Denominazione di Origine Controllata e Garantita), den die prestigeträchtigsten Weine Italiens tragen. Nur ein Buchstabe liegt zwischen zwei Welten, die beide mit Prosecco beginnen. Leicht zu verstehen ist das nicht – schon gar nicht, wenn es um den Preis geht.

Die Fahrt geht durch Conegliano hindurch, in dem die erste italienische Schule für Weinbau gegründet wurde, die noch heute Triebkraft technischer Innovationen ist. Ernesto Cattel steht in seinem Weinberg auf 450 Metern über dem Meer, blickt in die Ebene, Richtung Lagune – und sieht, was die Hügel alles zurückhalten: die Industrie, die endlosen LKW-Schlangen, die Hektik.

Cattel stammt aus dem Hügelland, ging als Erwachsener weg und arbeitete im Tourismus, „bis ich dumm wurde“, wie er sagt. Da besann er sich darauf, wie er aufgewachsen ist, in einer Landwirtschaft mit Tieren und einem Großvater, der natürlich auch Wein machte. Prosecco in schweren Bierflaschen mit Bügelverschlüssen. Was Cattel wollte? Einen Prosecco ohne jeden Zusatz, der sich seiner bäuerlichen Art nicht schämt. Doch die Umsetzung seines Traums im DOCG-Gebiet ist schwer. Die Preise für Weinberge sind in astronomische Höhen geschnellt, unter 300 000 Euro ist kein Hektar zu haben, in der Spitzenlage Cartizze sollen es mehr als eine Million sein.

Dennoch hat Cattel es geschafft. Seine nach dem Landgut Costadilà benannten Weine tragen ein Labyrinth als Etikett. Auch zu den Weinen muss man sich seinen Weg bahnen: Sie sind nicht strahlend klar und fast farblos wie Prosecco gemeinhin, sondern trüb und von kräftigem Honiggelb bis hin zu Orange. Die zweite Gärung, die den stillen Grundwein zum Schäumen bringt, findet in der Flasche statt. Nach Abschluss wird die Hefe nicht wie bei traditioneller Flaschengärung aus der Flasche entfernt, sie sinkt ab und verbleibt am Boden, „con fondo“.

Es gibt wieder Winzer, die für kleine Stückzahlen zu diesem Verfahren zurückkehren, das vom modernen Prosecco-Stil überholt wurde. Zartblütige Duftigkeit steht heute an erster Stelle für einen DOCG-Wein, während diese Noten bei der „con fondo“-Methode in den Hintergrund treten. Dort rücken Würze und Hefenoten nach vorn. Cattel extrahiert für seine Weine zusätzlich Gerbstoffe mit Maischegärung aus den Traubenhäuten. Das Ergebnis: ein leicht schäumender Wein von erfrischender Herbe, handwerklich hergestellt – und mit den DOCG-Statuten nicht vereinbar. Die Bezeichnung „Prosecco“ sucht man vergebens auf dem Labyrinth-Etikett.

Prosecco, wie wir ihn kennen, wird beinahe ausschließlich im Tankgärverfahren hergestellt, das Eugène Charmat 1907 zur industriellen Perfektion weiterentwickelte und damit eine Revolution auslöste. Plötzlich war es möglich, in einem druckfesten Gärbehälter, gefüllt mit stillem Grundwein, Hefe und Zucker, große Mengen Schaumwein von gleichbleibender Qualität zu erzeugen. Ohne Charmat hätte es keinen Siegeszug des Sekts gegeben. Und auch keine Sektsteuer, die in Deutschland dem kaiserlichen Flottenaufbau zufloss.

Nur die Briten haben mehr Prosecco-Durst

In dubio Prosecco.
In dubio Prosecco.

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Die Schiffe sind längst versunken, die Abgabe aber gibt es noch heute. Sie beträgt 1,02 Euro pro Flasche und wurde zuletzt für 429 Millionen Flaschen fällig. Die Sektsteuer prägt auch das Verhältnis der Deutschen zum Prosecco. Sie lieben ihn, schauen aber genau aufs Geld, wenn es ums Trinken geht. Aktuell gehen 42 Millionen Flaschen DOC und 6,5 Millionen Flaschen DOCG im Jahr nach Deutschland. Nur die Briten haben mehr Prosecco-Durst, der Konsum legte aktuell um 60 Prozent zu. Nirgendwo aber wird mehr Prosecco Frizzante getrunken als in Deutschland – und daran haben der Kaiser und seine Erben Schuld.

Frizzante bezeichnet im Gegensatz zum Spumante die nur leicht schäumende Variante des Prosecco, die nach deutschem Weinrecht einen Perlwein darstellt. Er enthält weniger Kohlensäure und bedarf keiner speziellen Sicherung des Korkens mittels Metallkörbchen wie beim Schaumwein. Und vor allem: Frizzante unterliegt nicht der Sektsteuer. Ein erheblicher Kostenfaktor, wenn man bedenkt, dass Supermarktware ab 1,99 Euro im Regal steht. Durch eine schlechte Ernte 2014 gerät vor allem das untere Preissegment unter Druck. Schreckensmeldungen sagen gar eine Prosecco- Flaute bei den Discountern voraus, während das DOC-Präsidium erklärt, sich bei der Anbaufläche verrechnet zu haben. Flugs gibt man zusätzliche Volumen für 30 Millionen Flaschen frei. Die Discounter haben längst auf ihre Art vorgesorgt und Eigenmarken kreiert, die zum Verwechseln einladen wie „Piu Secco“, der auch schäumt, aber keinen Prosecco enthält. „Secco“ ist kein geschützter Begriff und wird weltweit für meist billige Perlweine benutzt. Manchmal ist er aber auch auf guter Winzerware zu finden. Verwirrend für die Käufer.

Günstigtrinker werden sich wundern, dass ein guter DOCG-Spumante 15 Euro kostet, Weintrinker dagegen Entdeckungen machen. Denn die Spitze dessen, was Prosecco sein kann, ist hierzulande kaum bekannt. Nur 106 Hektar umfasst die Toplage Cartizze nahe Valdobbiadene, eine Leuchtboje im Prosecco-Meer. Steil ist es hier, von den Bergen fährt kühlender Wind herab durch die kleinen Terrassen, auf denen die Glera-Reben wachsen. Der Boden aus maritimem Sandstein lässt die Weine hier noch etwas duftiger werden als die rund um Conegliano, und Winzer reagieren darauf mit einem eigenen Weinstil. Cartizze-Weine werden „Dry“ ausgebaut, sie dürfen bis zu 32 Gramm Restzucker enthalten. Das entspräche einem lieblichen Stillwein.

Der Eindruck, den ein Cartizze in Nase und Mund hinterlässt, ist ein anderer: Die Süße transportiert feinstes Pfirsicharoma und reife Birne, doch klebrig wird es nie, da sich Säure und mineralische Salzigkeit zu einem Finale verbinden, das harmonisch und anregend zugleich sein kann. Dieses Erlebnis hat seinen Preis: Geerntet wird nur per Hand, das bedeutet viermal so viel Arbeitsaufwand wie für Prosecco aus dem Flachland. Die Erträge sind niedrig, die Flasche kostet gut 20 Euro.

Roberto De Lucchi, der Weinmacher von Canevel (im Dialekt „kleines Weingut“), sitzt unter einer riesigen Zeder inmitten der Cartizze-Lagen. Italien versucht seit Jahren, diese herrliche Weinlandschaft als Unesco-Welterbe anerkennen lassen, so, wie es gerade der Champagne gelang. De Lucchi, sanft lächelnder Herr über 800 000 Flaschen im Jahr, kostet gern die Vielfalt aus, die hochwertiger Prosecco bieten kann: vom knochentrockenen Dosaggio Zero, über Brut con Fondo und Extra Dry bis hin zu Cartizze.

Leichtigkeit ohne Banalität – das ist das Wesen eines guten Prosecco.

Weine von Costadilà nimmt Divinum, Schützenstr. 50, ins Programm. Dort ist auch der blitzblanke, seinen Preis werte DOC-Prosecco von Le Contesse erhältlich. Canavel-Prosecco gibt es bei Il Calice, Walter-Benjamin-Platz 4. Ebenfalls zu empfehlen: Spumanti von Col Vetoraz, erhältlich bei Hauser Weine, Kopenhagener Str 6.

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