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Rezepte: Mission Wurstsalat

Wir wollen doch alle nur das Beste. Das führt unseren kulinarischen Detektiv nach Straßburg – auf der Suche nach dem ultimativen Rezept

Kann das Leben schön sein! Dachte ich anfangs. Ein sonniger Tag, am Horizont die verschneiten Kappen der Alpen, unter mir zwei blaue Seen, vor mir ein Weißbier und: der beste Wurstsalat meines Lebens – samt krossem Bauernbrot. Wie in Trance führte ich Gabel für Gabel zu meinen Lippen. Leib und Gemüt waren satt und selig.

Mein Freund Fips schob unterdessen seinen Teller beiseite: „Das ist kein Wurstsalat, kein bayrischer jedenfalls! Hier, bittschön, Käse drin, pfui Deifi. Sie, Fräulein, kommen S’ mal bitte her.“

Trotzdem ging mir dieser Salat fortan nicht mehr aus dem Kopf. Wo immer ich mich aufhielt, im Süden Deutschlands, im Elsass, in der Schweiz oder in Österreich, ich probierte sie alle. Und wusste am Schluss: Jener mit dem Alpenpanorama als Kulisse war in der Tat der beste. Nur: Die Berge, die passten nicht dazu.

Denn dem Studium einschlägiger Rezepte zufolge bekamen wir damals zweifelsfrei einen „Straßburger“ vorgesetzt. Ohne Paprikastreifen, wie sie der Österreicher untermischt. Ohne Schwarzwurst und Regensburger, die in Bayern und Schwaben gern im Salat gesehen werden. Dafür mit Käsestreifen, welche im Elsass und in der Schweiz als Zutat auftauchen.

Ich wollte diesen fabelhaften Salat wiederfinden – und beschloss also, in der Hauptstadt des Elsass’ nach dem besten Straßburger in authentischer Umgebung zu fahnden. Als Unterkunft wählte ich das Hotel „Beaucour“, strategisch günstig gelegen – nur einen Froschschenkelwurf vom Stadtteil „Petit France“, einem Wirtshaus-Ballungsraum, entfernt.

Ein schneller Blick ins Internet: „Beim Wurstsalat hört der Spaß auf!“, poltert da Polt. Recht hat er. Auf Plattformen wie „chefkoch.de“ prügeln sich Fundamentalisten nicht nur um die einzig wahre Zubereitungsart. Auch über die Herkunft des Erfinders wird heftig gestritten.

Da stellt sich die Frage: Essen Straßburger denn überhaupt Wurstsalat? Und wenn, wie lassen sich unter ihnen Gourmets finden, die sich dieser kulinarischen Lächerlichkeit gewidmet haben?

Erst einmal die nähere Umgebung unter die Lupe nehmen. Schon ein paar hundert Meter hinter meinem Hotel tauche ich ein in die Fachwerkidylle an der Ill. Es ist jetzt später Nachmittag, die Luft streicht lau durch die gepflasterten Gassen und muntert auf der Place Benjamin Zix müde Städteurlauber auf, die sich bei Bier und Gewürztraminer die Waden reiben. Nicht aber bei Wurstsalat. Nach zwei Stunden kenne ich jeden Balken im mittelalterlichen Gerberviertel. Mein Tag im Weltkulturerbe endet mit einem Riesenschnaps – nach einem Berg Wurststreifen, vermischt mit geraspeltem Industriekäse und gehobelten Zwiebelringen. Auf sein Rezept angesprochen, lächelt der von vertrauenswürdiger Seite empfohlene Koch: „Ein paar Spritzer Maggi dazu – et voilà.“ Maggi, aha! Jetzt weiß ich schon mal, wo es den schlechtesten Wurstsalat der Stadt gibt.

Am nächsten Morgen: Ich treffe Madame Dumoulin, Chefin im „Office de Tourisme“. Ein kurzes Gespräch, Achselzucken, Schweigen, dann doch noch eine Verlegenheitsadresse. Schon eile ich der Rue Dentelles entgegen. Frühe Einkäufer huschen mit Baguettes unterm Arm vorbei, und von den Biberschwanzdächern melden sich erste muntere Spatzen. Madame Oster weiß bereits von meinem Besuch und öffnet die Tür zu ihrem – Lebkuchenladen! Wenn schon. Die Bäckerin beliefert die prominentesten Restaurants und Hotels der Stadt, müsste sich also in Sachen Qualität auskennen.

„Sie suchen nach dem besten Salat, nicht wahr?“ Seltsam, Madame schmunzelt nicht, sie nimmt mein absonderliches Anliegen ernst, als hätte ich sie um die Adresse eines guten Kardiologen gebeten. „Kommen Sie mit, wir gehen ein paar Schritte. Als erstes sollten Sie wissen, wie die Wurst zum Salat schmecken muss.“

Küsschen rechts, Küsschen links, und Madame Oster reicht mich weiter an Madame Kirn. Die Seniorchefin des ältesten und größten Metzger- und Feinkostladens der Stadt trägt Kostüm und Seidenschal. Nach einer einstündigen Führung durch die Abteilungen Charcuterie, Boucherie, Boulangerie und Patisserie zählt sie die Hauptzutaten für die Kirnsche Salatwurst auf: „47 Prozent Rind- und 30 Prozent Schweinefleisch, dazu kommen Salz, Petersilie und Knoblauch.“ Und die Gewürzmischung? „Die bleibt Betriebsgeheimnis, was denken Sie!“ Jetzt weiß ich immerhin, wie das Pendant zur deutschen Fleisch- oder Lyonerwurst auf Elsässisch heißt: Cervelat.

Zurück im Lebkuchenladen sehe ich Madame Oster in schneeweißer Arbeitsschürze am fein gedeckten Mittagstisch. Darauf sechs Silberbestecke samt Stoffservietten (für Mitarbeiter, Ehegatten und mich), eine Flasche Bordeaux und frisches Brot. Sie kommt mit Schälchen an unseren Tisch. Als amuse bouche serviert Madame: winzige Portionen Wurstsalat mit halbierten Wachteleiern garniert. Hübsch! Und köstlich obendrein.

Madame rutscht mit ihrem Stuhl jetzt näher zu mir: Sie habe sich Gedanken gemacht, wohin mich mein Weg noch führen könnte. Und dabei sind ihr zwei Adressen eingefallen. Zum einen das „L’Atelier des Chefs“, eine neue Kochschule im Norden der Stadt. Geleitet wird es vom früheren Direktor des lokalen „Hilton“, Yves Karcher, und von Marc Weibel, ehemals Held am Herd bei Dreisternekoch Alain Ducasse: „Zwei Lokalpatrioten mit großem kulinarischem Wissen.“ Am Abend dann stünde noch Thierry Schwaller zur Verfügung, der Wirt der benachbarten Winstub „Fink’stübel“. Ihn schätzt Madam Oster besonders wegen seiner herzhaften, regionalen Gerichte. Sie habe mich bereits avisiert.

Vergnügt lasse ich mich von der Straßenbahn Richtung Norden schaukeln. Dorthin, wo die Straßen breiter und die Häuser höher werden. Das Atelier liegt im Erdgeschoss. Marc Weibel und Yves Karcher warten schon. „Wir haben alles vorbereitet“, sagt Karcher. „Sie werden mit unserer Hilfe lernen, den original Straßburger Wurstsalat zuzubereiten, die Ingredienzien dafür stehen bereit.“ Karcher deutet auf einen blank polierten Edelstahltisch, auf dem drei knackwurstdicke Cervelats (je 20 Zentimeter lang), ein Block Schweizer Emmentaler, zwei Schalotten, zwei „nicht zu hart gekochte“ Eier und zwei Bund Kerbel liegen.

Und schon geht es los: Cervelats häuten und in zentimeterdicke Scheiben schneiden, Käse in Stifte säbeln, Zwiebeln und Schalotten fein würfeln („...nein, noch feiner, wir sind hier nicht im Gerberviertel!“), Kerbel hacken. Weibel braucht dazu ein paar Sekunden, ich ein paar Minuten. Schließlich drapieren wir die Zutaten zu Gemälden. Erst Kreise aus Cervelat-Scheiben auf die Teller geben. In die Mitte hinein kommt dann der Käse und darüber die Sauce, viel Sauce. Aus: 2 Eigelb, 3 EL Sonnenblumenöl, 1 EL Essig (Marke „Melfor“), Schalottenwürfel, Salz und Pfeffer aus der Mühle.

Wie das schmeckt? Fantastisch. Trotzdem bleiben Fragen. Erstens: Wird die Wurst tatsächlich in Scheiben geschnitten? Zweitens: Kommt denn kein Senf zur Vinaigrette? Und schließlich: Die Teller sehen ohne Salatgarnitur für meinen Geschmack zu nüchtern aus!

Aber aufpassen! „Falls Sie bei Ihrer weiteren Suche auf Köche stoßen, die Würste nur halbieren und oben einritzen oder gar in Streifen schneiden, dazu vielleicht noch französischen statt Schweizer Emmentaler nehmen oder Senf für die Vinaigrette verwenden“, sagt Ducasse-Koch Weibel und hebt den Zeigefinger: „dann befinden Sie sich in Gesellschaft von Betrügern an unserer Tradition.“ Monsieur Weibel hält sich streng an das Originalrezept des „Salade alsacienne de Cervelas et Emmental“. Er verfüge über einen der ältesten Aufschriebe, von seiner Urgroßmutter persönlich verfasst: „Frühere Dokumente existieren leider nicht. Wenn Sie mir nicht glauben, suchen Sie in der Bibliothek danach!“

Jetzt ist es vier Uhr nachmittags. Ich muss mich beeilen. Der Tisch im Fink’stübel ist auf acht Uhr reserviert.

Die „Mediatheque André Malraux“ am ehemaligen Binnenhafen „Môle Seegmuller“ ist ein modernistischer Komplex aus Glas und Beton. Er liegt im Süden der Stadt und ist mit 280 000 Werken ab dem neunten Jahrhundert bestückt. Kochbücher finden sich in der dritten Etage. Die nächsten zwei Stunden verbringe ich allein mit zwei flüsternden Bibliothekarinnen. Ab und an taucht ein blasser, dünner Mann um die 40 an meiner Tischflucht auf und bedient mich mit auf Wattekissen gebetteten Zeugnissen elsässischer Kochkunst. Band für Band.

Ich suche und finde im „La Cuisinière du Haut Rhin“, verfasst anno 1842 von Madame Spoerlin – keinen Wurstsalat. Georg Spitz lässt sich in seinem „L’Alsace Gourmande“ von 1922 zwar über „Nonnenpferz“ und „Jungfrauenkiechle“ aus, aber auch er erwähnt die regionale Spezialität mit keinem Wort. Ebenso wenig wie die allseits geschätzte Kochbuchautorin Marguerite Hinkel-Rudrauf in ihrem „Elsässischem Kochbuch“ von 1926.

Jetzt hat der dünne Mann noch eine Idee. Und schleppt eines der Werke des verstorbenen Notars und Kunstsammlers Francois Lotz herbei. Darin erinnert sich der Jurist an die alten Rezepte seiner Urgroßmutter (!), die um 1860 geboren sein muss. Demnach hat die Dame ihre Cervelat für ihren elsässischen Salat nicht in Scheiben geschnitten, sondern lediglich „halbiert und angeritzt“. Immerhin etwas entdeckt.

Gegen 20 Uhr drücke ich die Klinke zur Winstub „Fink’stübel“. Die Tür ist verschlossen. Nichts als Pech und Pannen.

Da klopft es von innen an ein Fenster. Ein blonder Hüne reißt den Verschlag auf und ruft mir nach: „Monsieur, wollten Sie zu mir – wegen des Salats? Sie müssen entschuldigen, wir haben heute Ruhetag. Moment, ich öffne Ihnen.“

Eine Viertelstunde später sitze ich vor dem besten „Straßburger Wurstsalat“ weltweit – in der authentischsten Weinstube der Stadt. Während ich Gabel für Gabel genieße und mir dazu einen Pinot blanc gönne, wettert Thierry Schwaller, früher Koch in zwei elsässischen Sterne-Restaurants, gegen Kollegen, die „die Cervela in Ringe schneiden und damit vielleicht Pariser oder Deutsche beeindrucken, einen Elsässer aber nicht.“ Auch er bereitet den Salat nach „uraltem Rezept“ zu. Im Gegensatz zum Ducasse-Helden Weibel jedoch mit halbierten Würsten, französischem Emmentaler, mit Salatblättern zur Dekoration und Senf zur Vinaigrette.

Bin ich somit einem Betrüger aufgesessen? Satt und selig ist mir ist das nun ziemlich wurscht.

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