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In dem kulinarischen Theaterstück "Dinner at the Twits"  nach Roald Dahl kommt Vogel-Pie des Duos Bompas & Parr auf den Tisch.

© Addie Chinn

Roald Dahl zum 100. Geburtstag: Wo Kinder im Schokoladenfluss ertrinken

Das Rhinozeros verspeist Eltern, die Lammkeule wird zum Mordwerkzeug: Der Schriftsteller Roald Dahl kochte so gruselig, wie er schrieb. Ein Rundgang durch seine literarische Speisekammer – zum 100. Geburtstag.

Zum Nachtisch gab’s immer Schokolade. Nach Hummer, Austern und Roastbeef, die Gläser waren noch mit gutem Bordeaux gefüllt, reichte der Hausherr, am Kopf der Tafel thronend, die kleine rote Plastikdose mit seinen Lieblingen herum: Mars, Snickers, Milky Way, Quality Street, Kit Kat, Twix... Was Schokoriegel anging, war Roald Dahl nicht nur Fan, er war Experte.

Die 1930er, so schwärmte der vor 100 Jahren in Wales geborene Sohn norwegischer Eltern gern, waren für Schokolade das, was die Renaissance für die italienische Malerei war: das goldene Zeitalter. Ein Schokoriegel-Klassiker nach dem anderen wurde damals erfunden, während er selbst als Halbwaise im englischen Internat darbte und litt, unter Heimweh, Schlägen und grässlicher Kost. Einziger Lichtblick: die Pakete der Firma Cadbury, die die Schüler als willige Versuchskaninchen für neue Schoko-Kreationen nutzte. Kein Wunder, dass Dahl später eine Schoko-Fabrik erfand.

Schimmelverfaulte Kotzgurke

Es gibt kaum eine Geschichte von ihm, in der Essen nicht eine gewaltige Rolle spielt. Und oft eine ziemlich eklige: Kotzgurke gefällig? Oder lieber Menschenfleisch? In „Sophiechen und der Riese“ verschlingen Knochenknacker, Kinderkauer, Mädchenmanscher und wie die bösen Riesen alle heißen, Kinder im Dutzend. Nur der gute Riese verzichtet auf zartes Menschenfleisch und begnügt sich mit schimmelverfaulter, stinkschleimverwester Kotzgurke. Kurz vor seinem Tod hat Dahl noch sämtliche Speisen aus seinen Büchern aufgelistet (der leidenschaftliche Spieler iebte Listen), aber er starb, bevor er ein Kochbuch daraus machen konnte. Das hat seine Witwe veröffentlicht: „Revolting Recipes“ (auf Deutsch verharmlost zu „Rotzfreche Rezepte“).

Die Lust am Tabubruch

Ein Schriftsteller nach heutigem Geschmack: Noch nie war Dahl so erfolgreich wie ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod. Seine Bücher sind Millionenbestseller, Steven Spielbergs „Sophiechen und der Riese“ lief gerade im Kino an, Tim Burtons Verfilmung von „Charlie und die Schokoladenfabrik“ mit Johnny Depp und Wes Andersons „Der fantastische Mr. Fox“, bei dem George Clooney und Meryl Streep den Tieren ihre Stimmen gaben, sind bereits Klassiker, das Musical „Matilda“ läuft seit Jahren mit riesigem Erfolg in London und New York. Das politisch Unkorrekte, Subversive, Groteske, der tiefschwarze Humor passen zu unserer Zeit.

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In seinen Kindergeschichten werden Ekel und Tabubruch mit fantasievoller Lust zelebriert, hat das Fressen und Gefressenwerden immer etwas Lustig-Spielerisches. Etwa wenn die Eltern des kleinen James von einem Londoner Rhinozeros verspeist werden, er aber Zuflucht im saftigen Riesenpfirsich findet, der seine bösen Tanten plattwalzt. Wie eine englische Kritikerin einmal sagte: Die kleinen Leser können bei Dahl durch sehr finstere Orte streifen und trotzdem noch rechtzeitig zum Abendbrot zu Hause zu sein.

Erfinder des perfekten Mords

Johnny Depp als gruseliger Mr. Wonka in Tim Burtons Film "Charlie und die Schokoladenfabrik".
Johnny Depp als gruseliger Mr. Wonka in Tim Burtons Film "Charlie und die Schokoladenfabrik".

© imago stock & people/United Archives

Kinder haben ihn, der selber ein Riese war, immer geliebt, er ist ihr Verbündeter. Bei ihm sind die Erwachsenen grundsätzlich die Bösen. Der Liebhaber von Weingummi und Lakritz war selbst noch aus vollem Herzen Kind. Wenn er sich in seiner Gartenlaube zum Schreiben in den Ohrensessel setzte, konnte er sich austoben.

Für seine großen Leser hatte er weniger Erbarmen. Der „New Yorker“ lehnte einige Erzählungen wegen zu großer Grausamkeit ab. In Dahls berühmtester Kurzgeschichte erschlägt eine Frau ihren Ehemann mit einer tiefgefrorenen Lammkeule, bevor sie die Tatwaffe, herzhaft geschmort, den ermittelnden Polizisten vorsetzt. Denen schmeckt’s. Ein andermal verwandelt sich ein Baby, vom Vater mit Bienenköniginnenfuttersaft gepäppelt, in eine Biene, vergiftet eine Zimmerwirtin ihre Gäste, um sie auszustopfen.

Angst vor den Dämonen

Ein Psychologe hätte zu den makabren Geschichten sicher Einiges zu sagen gehabt. Aber das wollte der Schriftsteller nicht hören. Zumindest hat das Tochter Tessa in einer bitteren Abrechnung erklärt, dass Dahl sich seinen Dämonen nicht stellen wollte. Statt sich, wie empfohlen, mit der Familie einer Therapie zu unterziehen, habe er die traumatisierte Tochter lieber mit Psychopharmaka vollgepumpt. Seine eigene Erklärung, warum er nicht zum Therapeuten wollte: aus Angst, dann nicht mehr schreiben zu können.

Tessa hatte als kleines Mädchen mit ansehen müssen, wie ihr Bruder als Baby angefahren und durch die Luft geschleudert wurde. Theo überlebte knapp, mit bleibenden Hirnschäden. Dahls erste Frau Patricia, Schauspielerin und Oscar-Preisträgerin, erlitt während ihrer Schwangerschaft mit dem fünften Kind mehrere Schlaganfälle und musste mühsam wieder Gehen und Sprechen lernen. Als Dahls geliebte Tochter Olivia an Masern starb, war sie sieben. So alt wie seine Schwester, als sie einer Blinddarmentzündung erlag. Der Vater folgte wenige Wochen darauf. Kein Wunder, dass es in Roald Dahls Büchern immer ums Ganze geht, Leben, Liebe und Tod, Einsamkeit und Grausamkeit.

Drehbuch für James Bond

Er selbst litt lebenslang unter Schmerzen. Als junger Kampfflieger war er, schwer verletzt, in der libyschen Wüste abgestürzt. Als Abenteurer, benannt nach dem Polarforscher Roald Amundsen, arbeitete er danach als Agent für den britischen Geheimdienst in den USA, schrieb Drehbücher, schrieb Drehbücher, unter anderem einen James Bond: Man lebt nur zweimal. Richtig glücklich war er wohl erst am Ende seines Lebens, als er seine langjährige Geliebte Felicity heiratete, die Liebe seines Lebens. Und kongeniale Gastgeberin. All seine Erinnerungen an Dahl, sagt dessen Biograf Donald Sturrock und lacht, sind mit Essen verbunden. Der Autor war noch ein junger Mann, als er zum ersten Mal Gipsy House betrat, ein mit Efeu bewachsenes Cottage in der Bilderbuchlandschaft von Buckinghamshire. Dort hat Sturrock seine ersten Austern probiert, bekam Kaviar aufgetischt und viele Geschichten, wahre und erfundene, mit denen Dahl seinem Gast Freude machen wollte. So wie seinen Kindern, denen er zum Frühstück schon mal rosa Milch servierte. Selbst gefärbt. „Er hat es genossen, jedes Mahl mit Fantasie in etwas Besonderes zu verwandeln.“

Er liebte zarte Saubohnen

Roald Dahl, Genießer, großzügiger Gastgeber und leidenschaftlicher Gärtner.
Roald Dahl, Genießer, großzügiger Gastgeber und leidenschaftlicher Gärtner.

© mauritius images

Die Dinnerpartys des leidenschaftlichen Gärtners, der seine Riesenzwiebeln zu landwirtschaftlichen Wettbewerben einreichte und junge, zarte Saubohnen liebte, erzählt Sturrock, waren unprätentiöse, lebhafte Vergnügen. Auf Tischdecken legte Dahl keinen Wert, wohl aber auf gutes Essen und interessante Gespräche. Dass die nie öde wurden, dafür sorgte er schon, mit Lust an der Provokation und unbritischer Direktheit. Hemmungslos wurden Gäste nach Liebesleben und Finanzen befragt. Zu allem, was auf dem Tisch stand, wusste Dahl eine Geschichte zu erzählen, von welchem Metzger das Steak kam, wie der neue Käsehändler ist. Zum großen Sonntagsessen kamen Töchter, Enkel, Schwestern und Neffen vorbei, von denen viele in der Gegend lebten. Es wurde reichlich gelacht, geneckt, manchmal auch geweint. Der großzügige Familienmensch, der sich im Laufe seines Lebens mit zahllosen Gefährten überwarf, konnte verletzend und gemein sein, vor allem nach zu viel Whiskey und Wein.

Museum mit Schokoladenduft

Noch kurz vor seinem Tod schrieb Dahl mit seiner Frau ein kulinarisches Erinnerungsbuch mit Rezepten, „Memories With Food At Gipsy House“. Heute lebt dort Enkelin Sophie, die sich als Model – und Kochbuchautorin einen Namen gemacht hat.

Zu Dahls 100. Geburtstag am 13. September wird es zahllose Feste und natürlich ein großes Bankett geben: „Dinner at the Twits“ heißt eine Inszenierung der Theatertruppe „Les Enfants Terribles“, die auf Dahls Geschichte des grässlichen Ehepaars Mr. und Mrs. Twit basiert. Das für seine spektakulären kulinarischen Kreationen bekannte Duo Bompas & Parr hat sich dazu gebührend schreckliche Speisen ausgedacht. Im Bierglas liegt Mrs. Twits Glasauge, und aus dem Vogel-Pie stechen Krallen heraus. Dazu servieren Bompas und Parr "den schärfsten Senf der Welt".

Wenn die große Party vorbei ist, kann man immer noch nach Great Missenden fahren, Dahls Heimatdorf. Im alten Gasthaus residiert heute das Dahl-Museum. Dank eines speziellen Geräts durchweht das ganze Haus ein Duft von Schokolade.

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