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Vincent Klink mit seinem Essigglas, in das verschiedene Weine fließen

© privat

Selbermachen: Do it yourself am Herd: Vincent Klinks Essig-Essenz

Der Sternekoch aus Stuttgart lässt gern mal einen Rotwein stehen. Aus den Resten macht er noch etwas Gutes. Hier erklärt er, wie die Neige zu Essig wird.

Es gibt viele Essigsorten, aber der große Klassiker ist und bleibt der Weinessig. Wobei sich zuallererst die Frage stellt, wie viel Wein im Weinessig enthalten sein kann, wenn im Supermarkt ein Dreiviertelliter gerade mal Einsfünfzig kostet, und ein halbwegs bekömmlicher Wein jedoch kaum unter vier Euro zu haben ist! Irgendwas stimmt da offensichtlich nicht, und das war womöglich zu meines Opas Zeiten schon so.

Bei ihm ging es aber um die reine Lehre, den echten Geschmack. Er machte sich seinen Stoff selbst. Und wie der Alte, so der Enkel. Auch ich kam irgendwann dahinter, dass das Leben für schlechten Wein zu kurz ist. Kurzum, vor dem Essig kommt der Wein. Dafür und für gute Qualität gibt es noch andere Argumente. Friedrich Dürrenmatt beispielsweise: Er pochte auf die unverseuchten Jahrgänge vor dem Reaktorunfall in Tschernobyl. Egal, was es noch für Gründe geben mag: Abends muss guter, kräftiger Wein auf den Tisch.

Doch der geübte Trinker weiß, wann Schluss ist. Eine Flasche kräftigen Roten schaffe ich nicht alleine, ohne Mitzecher bleibt mir jedes Mal ein Stumpen übrig. Macht nix. Die Summe dieser Stumpen haben mittlerweile mein kulinarisches Dasein erheblich verbessert. Sie vermehren meine Essigvorräte. Ein großer Glasbehälter mit Deckel ziert die Küche.

Momentan habe ich nur Rotweinessig, weil meine Frau ihre Weißweinflaschen restlos ausnuckelt. Der Rotweinessig enthält Rudimente von Côte Rotie, Sassicaia, Château Haut Brion, Figeac und sonstigen Granaten. Sehr viel ist auch von meinem Sizilianer drin, sozusagen mein Alltagsbenzin. Letzterer hat den Vorteil, dass er nur 12,5 Prozent Alkohol hat. Mit Alkoholbomben aus Napa Valley, Spanien oder Italien hat man beim Essigmachen oft wenig Glück. Essigbakterien sind Lebewesen und in starkem Alkohol nicht lebensfähig.

Es stellt sich die Frage, wie startet man seine Essigfabrikation? Was ist mit der Essigmutter los? Wo kriegt man die her? Geht es ohne diese gar nicht? Keine Angst, die Produktion kapiert sogar ein Kind: Eine Essigmutter braucht man jedenfalls nicht, denn Essigbakterien sind überall in der Luft. Deshalb den Wein getrost in das jeweilige Behältnis auf den Küchenschrank stellen und darauf vertrauen, dass den Rest die Natur besorgt. Sicherheitshalber gebe ich ein Achtel Bio-Weinessig als Starterkultur dazu. Im Essig ist Wahrheit! Mehr als im Wein. Enthalten die Weine zu viel Schwefel oder sonstige Chemie, rührt sich im Essigbehältnis gar nichts, dann ist’s Essig mit dem Essig.

Schlussendlich spannt über das Behältnis ein Tuch mit Gummiring drum herum. Ist der Essig auch recht sauer, kann man das Glas ganz verschließen. Sehr sauren Essig kann man mit viel Zucker richtig angenehm machen. Gibt man pro Liter 250 Gramm Zucker dazu und zwei Liter eingekochten roten Traubensaft (um 60 Prozent reduziert), so hat man wesentlich besseren Balsamico als das Industriezeugs. Echter Balsamico ist übrigens nahezu unbekannt und nur etwas für Freaks, die nicht arm sind. Aber das muss nun auch völlig ironiefrei gesagt werden, etwas Köstlicheres ist mir an saurer Würzung nicht bekannt und echter, alter Balsamico taugt auch sehr gut als Aperitif.

Die Zeiten werden immer süßer

Vincent Klink mit seinem Essigglas, in das verschiedene Weine fließen
Vincent Klink mit seinem Essigglas, in das verschiedene Weine fließen

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Es gibt jedoch noch jede Menge anderer Varianten an saurer Lust, beispielsweise die Fruchtessige. Man kann Früchte vergären und dann, bildlich gesprochen, der Essigfliege aussetzen. Beste Erfahrungen habe ich, wenn ich fertigem Weinessig die jeweilige Frucht beigebe. Dazu braucht es jedoch Weißweinessig. Also Weißweinreste mit etwas Bioessig versetzen, und dann läuft alles wie oben genannt beim Rotweinessig. Kommen nun pürierte Himbeeren dazu, erhält man eine herrliche Roséfarbe.

Die Zeiten werden ja immer süßer, das ist sicherlich der Fastfood-Unkultur geschuldet, und deshalb mache ich mir immer wieder einen Rosinen-Essig. Das Rezept ist leicht geschildert: Rosinen hacken und rein in den Essig. Das Verhältnis sollte bei einem Viertel Rosinen und drei Vierteln Essig sein. Süße Komponenten runden den Essig immer gut ab, man darf es nur nicht übertreiben. Ist der Essig durch lange Standzeiten scharf geworden, so erreiche ich wunderbare Ergebnisse, indem ich süßen Wermut dazukippe. Richtig spannend wird es, wenn dem Essig auch noch Gewürze beigegeben werden. Warum sollte man nicht mit Safranessig, Nelkenessig oder Estragonessig hantieren. Eines ist gewiss: Gut durchfermentiert, auf Flaschen gezogen und gut verschlossen ist Essig nahezu unbegrenzt haltbar. Leider sind meine Kreationen nie so alt geworden, dass ich Jahrgangsessige gegenseitig verkosten konnte, das wäre sicher ein sehr reizvolles Ziel.

Der Umgang mit Essig ist in hohem Maße ein Vertiefen in die Natur. Die Natur lässt sich jedoch nicht in genaue Rezepte pressen, auch wenn die Industrie das ständig anstrebt und sich dabei immer mehr von der Natur entfernt.

Deshalb ist Essigmachen, wenn man nicht in industriellen Dimensionen produziert, sehr von der eigenen Intuition und von eigenen Vorlieben geprägt. Es gibt keine Regeln, sondern eher die Empfehlung, dem eigenen Geschmackssinn folgend immer wieder zu probieren und Geduld zu haben. Mit der Herstellung des Essigs ist es wie mit der Kocherei: Man lernt mit Niederlagen zu leben und sich aus Missglücktem in neue Höhen zu schwingen.

Ist das Essigbehältnis voll und enthält fertigen, unfallfreien Essig, geht man mit einer zweiten oder dritten Charge an den Start. Wächst einem die Produktion über den Kopf, so kann ich mir kein besseres Geschenk oder Mitbringsel vorstellen als ein Fläschchen Essig, womöglich in einer Medizinflasche verkorkt.

Vincent Klink

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