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Gesellschaft: Service Room

Das ist die höchste Form des Luxus: im Hotelzimmer Champagner und Kaviar zu genießen. Doch wehe, wenn der Kellner kommt. Dann wird es im Kino manchmal erotisch und nicht selten gefährlich.

Das Hotel hat Stil, der junge Gast erkennt es sofort: „Das ist vielleicht ein Service!“ Imponierend schon der formvollendet auftretende, Leckereien im Überfluss servierende Zimmerkellner, für den Titelhelden in Chris Columbus‘ „Kevin – Allein in New York“ (1992), abgestiegen in „The Plaza“ am Südrand des Central Parks, und erst recht für den nur Popcorn knabbernden Zuschauer im abgewetzten Kinosessel. Drei, vier Torten, Desserts, Eisbehälter füllen den Servierwagen – noch im letzten Gang des fürstlichen Menüs, das sich Klein-Kevin (Macauly Culkin), so scheint es, dank der Kreditkarte des Vaters geleistet hat, offenbart sich der ganze Überfluss, zu dem eine Hotel-Legende fähig und verpflichtet ist: „Zwei Kugeln, Sir?“ – „Zwei? Lieber drei, ich muss ja nicht sparen.“ Ein Stapel Videos komplettieren das auf den jungen Gast zugeschnittene Verwöhnprogramm, später in der Stretchlimousine, einer Art Zweitappartement auf Rädern, wird er sich Käsepizza ordern, bleibt in seinen Ansprüchen auch diesmal weit unter den Möglichkeiten eines Fünf-Sterne-Hauses.

„Menschen im Hotel“ im Allgemeinen, „Room Service“ im Speziellen – für den Film war das stets ein weites, fleißig beackertes Feld, ein in unendlich vielen Variationen wiederkehrendes Motiv, sogar titelstiftend, bei dem Greta-GarboKlassiker von 1932 im ersten, bei der einzigen Kinoadaption eines Bühnenstoffes durch die Marx Brothers von 1938 im zweiten Fall. Man kann diese Vorliebe für Hotelzimmerszenen als Metapher der vom Film reflektierten Unbehaustheit des modernen Menschen deuten, dessen typisches Heim nicht länger von Dauer, vielmehr befristet ist, provisorisch gar, nichts als trügerischer Schein. Auch liegt darin für Drehbuchautor und Regisseur eine Möglichkeit, auf engem Raum ein Abbild der Gesellschaft zu entwerfen, einen Ausschnitt aus der sozialen Pyramide, was neben dem kritischen Element stets auch viel komödiantisches Potenzial in sich birgt. Allerdings gerät das Motiv des Hotels, dieser Wohnung auf Zeit, die der Gast am unmittelbarsten über den Zimmerservice erlebt, rasch auch in Bereiche des Zwielichtigen, Ungewissen, Fragwürdigen. So entstehen gerade aus dem vermeintlich unbeschwert zu genießenden Luxus plötzlich Versuchung, Bedrohung, Tod.

Zunächst aber ist das Hotel mit all seinen dienstbaren Geistern eine Möglichkeit, dem Gedanken an den Tod zu entkommen, das Leben triumphieren zu lassen, und sei es nur noch für eine kurze Weile. „Ich habe Kaviar und Sekt bestellt“ – darin manifestiert sich für den sterbenskranken Buchhalter Otto Kringelein (Lionel Barrymore) aus „Menschen im Hotel“ seine Vorstellung von einem großartigen, allseits erfüllten Leben. Das Grand Hotel – „das teuerste und beste Hotel in Berlin“ – wird so in Edmund Gouldings Verfilmung des Vicky-Baum-Romans zum langentbehrten Paradies – oder zum gefährdeten, wie für die alternde Tänzerin Grusinskaya (Greta Garbo), die sich ein Leben ohne Kofferträger, Pagen, Zimmermädchen nicht mehr vorstellen kann.

Dieses Heer der Bediensteten muss der Regisseur nicht unbedingt zeigen, die Spuren ihrer Arbeit – frische Blumenarrangements, volle Champagnerflaschen, Kaviar, Kuchen, Käsepizza – genügen, um üppigen Luxus zu suggerieren, wie in Hitchcocks „Über den Dächern von Nizza“ (1955). Doch ist Fünf-Sterne-Luxus immer auch eine Frage der Zeit. Nicht länger als 20 Minuten darf es in einem Hotel dieser Klasse dauern, einen Anzug reinigen und bügeln zu lassen – ein Qualitätsmaß, das Alfred Hitchcock 1959 in „Der unsichtbare Dritte“ ein für allemal festgelegt hat. Diese Frist wird dem New Yorker Werbefachmann Roger Thornhill alias Cary Grant im Chicagoer „Ambassador East“ garantiert, als er, dem Tod im Maisfeld entronnen, vor dem Essen mit Eva Marie Saint noch rasch den desolaten Zustand seiner Kleidung aufbessern will. Übrigens ein Hotel, das schon Frank Sinatra, Judy Garland, Liza Minelli und Richard Gere zu seinen Gästen zählte, wo Humphrey Bogart und Lauren Bacall Hochzeit feierten. Begonnen hatten seine Abenteuer wiederum im New Yorker „Plaza“, dem seither der Makel anhaftete, in seinem Luxus nicht lückenlos zu sein. Ein Telegramm durch einen Pagen aufzugeben, war Thornhill nicht möglich. Er musste sich selbst zum Telefon bemühen – und wurde prompt entführt.

In dem allerdings fiktiven „Beresford Hotel“ aus „Manhattan Love Story“ von Wayne Wang (2002) wäre ihm solche Enttäuschung wohl erspart geblieben, jedenfalls sofern er Zimmermädchen Marisa Ventura (Jennifer Lopez) um den Gefallen gebeten hätte: Ein unermüdlicher guter Geist selbst für nervende Gäste, einem weiblichen besorgt sie schon mal neue Nylons aus dem nahen Bekleidungsgeschäft und berät auch in Modefragen.

Diese Wunderwelt des Wohlbefindens hat freilich auch Schattenseiten, der Film verschweigt es nicht. Das Personal soll so tun, als bereite ihm der Dienst an den Gästen höchstes Vergnügen, diese allerdings sind mitunter des Luxus nicht würdig, plündern die Servicewagen der Zimmermädchen, schikanieren sie mit immer neuen Launen, sehen in ihnen weniger Bedienstete als Sklaven. Etwas Sozialkritisches mischt sich damit in das Sittengemälde des höheren Gastgewerbes, das aber für die emsige Marisa Ventura bald schon in rosaroter Sozialromantik mündet: vom Aschenputtel zur Königin, vom Zimmermädchen zur Senatorengattin.

Der märchenhafte Weg ins Glück führt, vom Publikum stets gern gesehen, selbstverständlich übers Liebeslager. Room Service und Erotik sind offenkundig verwandte Motive, das gilt für J. Los Heldin ebenso wie für Julia Roberts als Hollywood-Star Anna Scott in Roger Michells „Notting Hill“ (1999). Allerdings, die erste Liebesstunde im Hotel geht ihr noch gründlich daneben: Hugh Grant klopft unternehmungslustig gerade in dem Moment an Annas Tür, als ihr Freund überraschend aus Amerika eingetroffen ist. Auch aus dieser delikaten Situation hilft der Room Service spielerisch leicht heraus: Der verhinderte Loverboy gibt sich als Zimmerkellner aus, muss dann aber auch vor der Geliebten Getränke heranschleppen und das dreckige Geschirr entsorgen. Immerhin, es gibt Trinkgeld, und nicht nur einen Kaugummi. Den hatte Kevin einem Pagen in die Hand gedrückt, was gegenüber dem stillosen Verhalten von Julia Roberts in „Pretty Woman“ (1990) geradezu formvollendet ist: Sie rückte gar nichts raus.

In „Notting Hill“ dient der Zimmerservice nur als Ausrede eines Besuchers in erotisch prekärer Lage, häufig wird das Personal aber selbst initiativ, sei es, dass es sich als Objekt des Begehrens empfiehlt oder einer Liebesstunde diskret den Weg ebnet. „Soll ich dir mal meinen, äh, meinen Führerschein zeigen?“, fragt ein frühreifer Hotelboy die entrüstete Josephine (Tony Curtis) in Billy Wilders „Manche mögens heiß“ (1959), während der Aufstieg des Liftboys Felix Krull zum Oberkellner in Kurt Hoffmanns Thomas-Mann-Verfilmung (1957) für Horst Buchholz geradewegs durch das Hotelbett eines zärtlichkeitsbedürftigen weiblichen Gasts führt. Ganz zu schweigen von den Liebesdiensten des Pagen Ted (Tim Roth) im Episodenfilm „Four Rooms“, 1995 gedreht von Allison Anders, Alexandre Rockwell, Robert Rodriguez und Quentin Tarantino.

Regelmäßig fließt zu solchen Gelegenheiten Champagner in Strömen, und als Mann von besonders exquisitem Geschmack hat sich dabei ein Geheimagent mit der Dienstnummer 007 bewährt: „Ich hätte gerne eine Flasche Bollinger, gut gekühlt, und zwei Gläser“, ordert James Bond alias Roger Moore routiniert, nachdem er in Guy Hamiltons „Leben und sterben lassen“ (1969), auf Dienstreise in der Bananenrepublik St. Monique, in seiner Suite die Reizwäsche einer unerwarteten Mitbewohnerin entdeckt hat. Die landet alsbald in seinem Bett, zuvor flambiert er noch rasch eine Giftschlange, die ihm ins Badezimmer gesetzt wurde – auch solche Fehlformen des Room Service gehören zur Welt eines Agenten, aber das ist Bond gewohnt: Schon in „Liebesgrüße aus Moskau“ (1963) wurde Sean Connery von Lotte Lenya als falschem Zimmermädchen mit einem Giftdolch-Schuh attackiert.

Ohne Gift, gleichwohl wirkungsvoller kommen Messer in „Bates Motel“ zum Einsatz, womit die letzte, letale Stufe des Zimmerservice erreicht ist. Ein Restaurant gibt es dort nicht, doch ist Anthony Perkins als Muttersöhnchen Norman Bates in Hitchcocks „Psycho“ (1960) so zuvorkommend, Janet Leigh in seinem Wohnzimmer ein paar Butterbrote, ihre letzten, zu servieren. Warum auch muss sie danach unbedingt noch duschen?

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