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Die Liebe zum Spargel wächst und wächst.

© Peter Steffen/dpa

Spargel als Streetfood: Der weiße Riese

Spargel gibt es nur für wenige Wochen, das war lange akzeptiert. Nun verlängern Bauern seine Saison – trotzdem drehen die Leute durch: Beelitz ist in Gefahr! Ein Stangen-Report.

„Die ganze Welt ist wie verhext, Veronika, der Spargel wächst!“ „Veronika, der Lenz ist da“von den Comedian Harmonists

Eigentlich sollte es nur ein netter Samstagnachmittag werden. Menschen im Grünen, Sonnenschein, Musik – und Spargel. Frank Duske vom Bauprojekt Refugium Beelitz organisierte gemeinsam mit dem Berliner Contemporary Food Lab das Event „Spargel International“. Ein Streetfoodmarket, wie er in Berlin inzwischen allgegenwärtig ist. Nur mit zwei Besonderheiten: vor der romantischen Kulisse der alten Lungenheilanstalt Beelitz Heilstätten; mit dem Themenschwerpunkt Spargel. Das klassisch deutsche Gemüse, neu interpretiert von Köchen aus aller Welt.

Zwei Sehnsüchte trafen aufeinander, die nach sommerlicher Landlust und die nach diesem herrlichen Geschmack, auf den man schon wieder so lange warten musste, das Aroma von Spargel. Und so passierte es. „Am Anfang hatte unsere Facebook-Seite 300 Fans“, erzählt Frank Duske. „Am Ende hatten mehr als 20 000 ihre Teilnahme angekündigt.“ Im letzten Herbst gab es in Beelitz ein ähnliches Event, nur ohne Spargel. Da kamen 1 350 Leute. Und jetzt das?

Die Veranstalter mussten dazu übergehen, Karten im Netz zu verkaufen, um die Besuchermenge einzugrenzen. Zu groß waren die Sicherheitsbedenken. „Die Leute haben mich sogar nachts angerufen und um Karten gebettelt. Haben irgendwelche Geschichten erfunden, warum sie unbedingt kommen müssten. Es gab auch einen Schwarzmarkt für Tickets – peinlich.“ Trotz der Limitierung durch Karten auf 2 500 offizielle Besucher rechnete die Polizei mit 10 000 Gästen. Zuviel für die kleine Gemeinde Beelitz-Heilstätten. Duske musste das Event absagen. „Wir sind an unserem eigenen Erfolg gescheitert. Aber ich bin erst mal fertig mit den Nerven.“ Über den Vorschlag, es doch nochmal mit einem unbeliebteren Gemüse wie Rote Bete zu probieren, muss er dann trotzdem lachen.

Also doch kein Spargel syrischer Art? Kein iranisches Spargelgericht? Lia Henneberger vom Contemporary Food Lab gibt Entwarnung: „Spargel International lebt!“ Die Veranstaltung, deren Organisation so gut wie abgeschlossen war, wird in kleinerem Rahmen nachgeholt. Am 23. Mai, auf dem Gelände der Arena (14 bis 22 Uhr, 2 Euro Eintritt, bis 12 Jahre kostenlos). „Essen ist ein universelles Medium, um andere Kulturen zu erfahren. Spargel als königliches Gemüse der Deutschen bietet sich natürlich dafür an. Wenn man etwas schmeckt und sinnlich erfährt, wird das Fremde zum Bekannten.“

Für Lia Henneberger ist Spargel International nicht nur eine gastronomische, sondern auch eine kulturelle Veranstaltung, gerade vor dem Hintergrund der Ereignisse in der Flüchtlingspolitik. Da kocht dann ein syrischer Flüchtling, der Spargel noch nie zuvor gesehen und schon gar nicht gegessen hat, ein von seiner Heimat inspiriertes Spargelgericht und eröffnet den Berlinern eine ganz neue Facette einer ganz alten Liebe.

„Jeder legt, so viel er kann, neue Spargelbeete an. Ernten wir auch noch so viel, keine Stang' verfehlt ihr Ziel.“ Tafel-Lied der Braunschweiger Spargelbau-Gesellschaft, 1894

Die Liebe zum Spargel wächst und wächst. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Anbau eingeschränkt und das extrem kalorienarme Gemüse zugunsten sättigender Grundnahrungsmittel von den Feldern verbannt. Das Manko von gestern ist heute ein Pluspunkt: Spargel besteht zu 95 Prozent aus Wasser, hat nur 13 Kalorien pro 100 Gramm, wenig Fett und Kohlenhydrate, ist aber reich an B-Vitaminen, Vitamin C und Mineralstoffen wie Kalium, Eisen, Magnesium und Calcium. Der britische „Guardian“ schreibt, die Nachfrage nach Spargel im Vereinigten Königreich sei in wenigen Jahren um das Fünffache angestiegen. Was so gesund ist und dabei so herrlich schmeckt, wollen alle haben.

Das hat Folgen. Die hohe Nachfrage verleitet die Produzenten, die Saison künstlich zu verlängern. Längst als konventionell gilt der Folienanbau: Durchsichtige Thermofolie wird einige Wochen vor Erntebeginn über die Spargeldämme gespannt, um die Wärme am Boden zurückzuhalten. Schwarze Folie hingegen hat eine geringere wärmende Wirkung, schützt aber den Spargel vor Lichteinfall und verhindert so, dass sich die Spitzen lila verfärben. Denn alle lieben’s schneeweiß.

"Beelitzer Spargel" aus Polen

Die Liebe zum Spargel wächst und wächst.
Die Liebe zum Spargel wächst und wächst.

© Peter Steffen/dpa

Eine weitere Option, die Saison nach vorne zu verlagern, ist eine Art Freiluft-Fußbodenheizung: Durch ein Röhrensystem im Boden, nah an den Spargelwurzeln, strömt warmes Wasser. Dadurch sprießen die Sprossen früher. Das gute Gewissen beim Konsum regionaler Produkte wird so zum Selbstbetrug: Die Klimabilanz ist nicht zwingend besser als beim Erwerb peruanischen Importspargels.

„Wenn Du Kartoffeln oder Spargel isst, schmeckst du den Sand der Felder und den Wurzelsegen, des Himmels Hitze und den kühlen Regen, kühles Wasser und den warmen Mist.“ Carl Zuckmayer

1861 wurde in Beelitz erstmals Spargel angebaut, 1870 wurde der erste Spargel auf dem Markt verkauft, und nach der Jahrhundertwende gab es schon 250 Hektar Anbaufläche. Heute lassen 15 Landwirtschaftsbetriebe auf 1500 Hektar Spargel wachsen. Dennoch erscheint Stephan Hentschel, Koch im vegetarischen Gourmetrestaurant Cookies Cream, die Menge vom als „Beelitzer“ deklarierten Spargel auf dem Markt utopisch. „Da kommt sicher einiges mit dem LKW aus Polen hierher.“ Er selbst entscheidet jedes Jahr aufs Neue, wo er seinen Spargel bezieht. Denn jede Saison fällt die Qualität, je nach Witterungsbedingungen und Anbau, unterschiedlich aus. Nachdem er vor wenigen Jahren einmal vom Aroma des Beelitzer Spargels enttäuscht war, ordert er seine Stangen in Bruchsal. „Wenn mich Gäste aus Süddeutschland fragen, woher der Spargel stammt, sind sie immer ganz verdutzt. Die bestellen teilweise da unten Spargel aus Beelitz, obwohl sie tolle Produkte vor der Haustür haben.“

Dennoch bleibt Beelitz für Berlin die Spargel-Hochburg. Besonders stolz ist man dort darauf, dass sogar Staatsgäste wie Barack Obama oder Francois Hollande in Berlin mit Beelitzer Spargel verköstigt wurden. Und ja, natürlich gab es für Letzteren dazu Sauce Hollandaise.

„Es hat mich nie gestört, dass man mich manchmal mit einem Spargel verglichen hat, denn am Spargel ist der Kopf das Wichtigste.“ Charles de Gaulle

Es ist eine Charakterfrage: Wie isst man den Spargel? In Lars von Triers Meisterwerk „Nymphomaniac“ unterteilt die Hauptfigur die Menschen in zwei verschiedene Typen: Jene, die sich immer zuerst die Fingernägel der linken Hand schneiden – also erst den leichten Weg wählen. Und jene, die zuerst die Nägel der rechten Hand schneiden – also mit der schwierigen Aufgabe beginnen und sich dann mit der leichten belohnen. Letztere sind auf den Spargel bezogen eindeutig Spitzengenießer. Nicht dass es beim Verzehr vom Spargel einen schwierigen Teil gäbe, er ist von oben bis unten köstlich. Wie de Gaulle aber richtig erkannt hat, ist der Kopf der Höhepunkt. Er ist die Krone des königlichen Gemüses. Die Spitzengenießer verzehren den Spargel, sparen die Köpfe auf, reihen sie feinsäuberlich aneinander, lassen zum Abschluss des Mahls eine Spitze nach der anderen auf der Zunge zergehen – und schließen so mit dem ultimativen Aromakick ab.

„Spargel behandelt man wie eine Frau: Vorsichtig am Kopf anfassen und feinfühlig nach unten streicheln.“ Karl-Heinz Funke,

Bundesminister für Ernährung 1998-2001

Der damals noch sozialdemokratische Politiker, generell kein Freund leiser Töne, ließ sich vom Spargel zu diesem recht zotigen Gourmettipp hinreißen. Tatsächlich sollte Spargel immer von oben nach unten geschält werden, wobei der Kopf ausgespart wird. Dem einen eine Last, dem anderen ein Anreiz zu Höchstleistungen: Bei der Spargelschäl-Meisterschaft in Zerbst erschälte sich 2013 ein Herr aus Stralsund den Sieg – mit 3030 Gramm Spargel in fünf Minuten. Er durfte nicht nur Orden, Urkunde und 250 Euro mitnehmen, sondern auch die drei Kilo Spargel.

Sieben Wochen Spargel essen

Die Liebe zum Spargel wächst und wächst.
Die Liebe zum Spargel wächst und wächst.

© Peter Steffen/dpa

Nur in wenigen Restaurants wird noch selbst geschält. „Gesäuberte, abgepackte Spargel sind kaum teurer als ungeschälte“, erzählt Stephan Hentschel vom Cookies Cream. Bei ihm gebe es Handarbeit. Aber abseits der gehobenen Küche habe man nur selten Kapazitäten dafür. Je nachdem, wie lange die Packung Spargel unterwegs ist, bedeutet das natürlich einen Frischeverlust.

„Bis Johanni nicht vergessen: Sieben Wochen Spargel essen.“ Bauernweisheit

Sieben Wochen lang nichts anderes essen als Spargel – eine herrliche Vorstellung. Zumal es bei all den möglichen Varianten der Zubereitung nicht langweilig wird. Als Stephan Hentschel vom Cookies Cream im letzten Jahr keine ausgefallene Idee für einen Spargel-Hauptgang kommen wollte, nahm er ein Dessert ins Programm: Spargelspitzen, eingelegt in Holundersaft, serviert mit Luftschokolade. Auch Spargeleis wird immer beliebter. Und süße Kombinationen aus Spargelmousse und Erdbeeren sind geradezu schon ein Klassiker.

Auf die Nerven gehen könnte einem nach sieben Wochen Spargelgenuss also höchstens eines: der Geruch beim Toilettengang. Die in den Stangen enthaltene Asparagusinsäure verleiht dem Urin seinen penetranten Geruch, denn wird sie im Körper verstoffwechselt, entstehen stinkende Schwefelverbindungen. Rund eine Hälfte der Bevölkerung aber kann geruchsneutral urinieren – ihr fehlt das zur Spaltung der Aspargusinsäure nötige Gen. Es wird dominant vererbt, ähnlich wie die Fähigkeit, die Zunge einzurollen.

„Kirschen rot, Spargel tot.“ Bauernweisheit

Ja, man kann Spargel einfrieren. Ja, es gibt auch Dosenspargel. Aber manchmal ist es einfach besser, die natürlichen Gegebenheiten zu akzeptieren. Der Spargel und wir – das ist wie eine gute Fernbeziehung: Die Trennung erhöht nur den Reiz, hält die Liebe jung. Sich der Sehnsucht hinzugeben, statt sich mit mittelmäßigen Alternativen kurze Befriedigung zu verschaffen, das ist das Geheimnis. Wir haben jetzt noch ein paar schöne Wochen vor uns. Dann heißt es: Abschied nehmen. Es ist ja kein Abschied für immer.

Lydia Brakebusch

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