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Das Käsefondue ist die Urform des geselligen Essens aus dem Topf.

© Jean-Daniel Sudres/hemis.fr/laif

Essen & Trinken: Spießgesellen: Eine Fondue-Geschichte

Ob Fleisch oder Käse, man braucht nur einen Topf. Ist Fondue ein Essen? Ein lustiges Partyspiel? Streifzüge durch Berliner Restaurants.

Im Restaurant „Ming Dynastie“ wird nicht gekleckert, noch nicht. Der Kellner, ein wissendes Lächeln umspielt seinen Mund, klotzt den Gasbrenner auf den Tisch, die Warnung „Nicht in geschlossenen Räumen anwenden“ lässt Großartiges erahnen, und so ist es: Im Schatten der chinesischen Botschaft an der Jannowitzbrücke werden Pangasiusfilet und Tofu-Massen gebracht, ein Gebirge aus gerollten Lammscheibchen, eine Pyramide aus grauen, glitschigen King Prawns, ein Teller mit leuchtendem Zitronengras und knisterndem Pak Choi, ein Teller mit unsichtbaren Nudeln, duftende Dips und Saucen, Koriander, Stäbchen, kleine Körbe aus geflochtenem Stahl und ein in zwei Hälften geteilter Topf, in dem eine milde und eine sehr, sehr scharfe Brühe sieden.

Das ist kein „Liebesfondue für zwei Personen“, das reicht für eine Kommune! Sogar die jungen Russen am Nachbartisch gucken beeindruckt. Ob wir vielleicht noch Reis dazu wollen, fragt der Kellner allen Ernstes. Nein? Dann gibt er uns einen ebenso einfachen wie wertvollen Tipp: „Was oben schwimmt, ist gar.“

Fondue Chinoise erinnert an das Aquarium-Spiel, bei dem jedes Kind eine Angel mit einem Magneten als Köder in der Hand hält und versuchen muss, so viele Plastikfische wie möglich zu angeln. Auch bei der fernöstlichen Variante des Fondues kriegt jeder nur einen Käscher, und man hat so gut wie keine Kontrolle, was man da eigentlich gerade aus der Suppe zieht. (Am besten, man bestellt auch gleich ein Glas Milch zum Löschen dazu, die rote Brühe ist wirklich höllisch scharf.)

Der Reiz liegt im Ausprobieren von endlosen Varianten. Wie schmeckt Lamm mit süß-saurem Dip? Oder Pak Choi mit BBQ-Sauce? Beim Fondue Chinoise kann man es ausprobieren. Und vielleicht trägt dieses Liebesfondue ja deshalb seinen Namen: Je länger die Brühe heiß bleibt und je mehr darin ist, desto würziger wird der Geschmack. Am Ende bleibt nur eine reduzierte Pfütze mit Surf-’n’-Turf-Geschmack übrig – ein Festmahl für die ganz Harten.

Der Geselligkeitsgedanke soll beim Fondue traditionell im Vordergrund stehen, deshalb es ist ja auch gerade Weihnachten und Silvester so beliebt, wenn Familien und Freunde zusammenkommen. Die Hausfrau steht nicht mehr einsam in der Küche, jetzt werden die Speisen gemeinsam auf dem Esstisch gekocht, gebraten oder frittiert.

Die Botschaft lautet: Der Akt des Zubereitens ist sensationeller als der eigentliche Verzehr, die strenge Reihenfolge eines Menüs weicht dem Prinzip der Gleichzeitigkeit. Bei allem friedlichen Zusammensein ist das Fondue auch eine radikal individualistische Angelegenheit: Jeder am Tisch kann über die Garzeit seines Rindfleischstückchens selbst entscheiden. Dass dafür kaum etwas vorzubereiten ist, ist natürlich eine Legende – wer es ernst meint, produziert Dips und Saucen selbst, mariniert Fleisch, reibt Käse. Wer faul ist, geht ins Restaurant.

Auseinandersetzungen um farblich gekennzeichnete Spieße sind beim Fondue, das manchmal mehr an ein Gesellschaftsspiel als an ein Essen erinnert, programmiert. Auch die Brandgefahr ist beträchtlich: Man muss nur unter Freunden herumfragen, fast jeder weiß eine Feuergeschichte zu berichten. Ein Brandloch in der Tischdecke oder eine abgefackelte Hängelampe sind da noch Lappalien.

Bei einer Familie soll immer ein Eimer Wasser unter dem Esstisch stehen, wenn bei Tisch gezündelt wird. Offenes Feuer bringt die Menschen eben zusammen – im Sommer scharen sie sich um den Grill, im Winter ums Fondue. Auch von starkem Alkoholkonsum und anderen Entgleisungen wird oft berichtet. Daran sind die Trinkspiele schuld: Einmal Fleisch im Topf vergessen, einen Schnaps trinken / den Nachbarn küssen / nackt in den Schnee springen usw.

Die Urform des Fondues ist das Käsefondue aus der Schweiz. „Fondre“ heißt auf französisch „schmelzen“, „Fondue“ folglich „das Geschmolzene“. Die Schweizer haben kapiert, dass ihre regionalen Käsesorten, wenn man sie zusammen in einen Topf wirft, sanft über einer Flamme erhitzt und mit Wein und Schnaps abschmeckt, in einen köstlichen Aggregatzustand übergehen. Käsefondue ist Soul Food, in Kombination mit Weißbrot ist es so weich, sämig und zart, dass es auch die Zahnlosen lieben. Dazu passt herrlich ein Muscadet.

Doch was geschieht, wenn sich ein Punkrockrestaurant wie das Berliner „White Trash Fast Food“ des Schweizer Traditionsgerichts annimmt? Unsere Fondue-Expedition führt uns ans südliche Ende der Schönhauser Allee. Der Kellner trägt zu Ehren des 70er-Jahre-Gerichts ein ärmelloses Karo-Hemd und Schnurrbart. Er gratuliert uns zu unserer Wahl. Fünf Minuten später bringt er uns mit strahlenden Augen das brennende Réchaud, einen Brotkorb und ein Porzellanschiffchen mit Silberzwiebeln, frischer Ananas, Schinkenquadern, Paprikastreifen und Cornichons. Dann folgt der Topf mit einer fantastischen Käsemasse – nach dem ersten Bissen sind wir angenehm überrascht, nach zwei Bissen gut gelaunt, nach drei Bissen fröhlich, nach vier Bissen glücklich und nach fünf Bissen fast schon satt.

Trotzdem bestellen wir Brot nach, die mit Kirschwasser parfümierte Mischung auf Gruyere, Appenzeller und Vacharin schmeckt einfach zu gut! Beim anschließenden Espresso stellen wir uns allerdings die Hausfrauenfrage, wie lange man Käsefonduetöpfe wohl einweichen muss, bevor man sie ausspülen kann. Saubere Fonduetöpfe gibt es wahrscheinlich so selten wie saubere Geländewagen.

In seinem Buch „Noch mehr Küchenirrtümer“ beschreibt Ludger Fischer einen Flohmarkt in Brüssel, wo man an jedem Wochenende in einer speziellen Ecke gebrauchte Fonduesets kaufen kann: „Der Clou ist: Das Fett ist noch drin! Ihre Vorbesitzer haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, das Fett des letzten gemütlichen Fondueabends in den 70er Jahren zu entsorgen. Wohin auch! Wahrscheinlich haben diese Vorbesitzer irgendwann mal diese Erfahrung gemacht: Das Fleischfondue ist ein Schmarrn, ein Humbug, totaler Blödsinn – es ist die perfekte Methode, selbst bestes Fleisch ungenießbar zu machen.“

Wir versuchen es trotzdem: Im angeblich ältesten Fondue-Restaurant Berlins, Ars Vini („Fondue aus Leidenschaft“) in Prenzlauer Berg. Aufgeregt blättern wir in der dicken Speisekarte und stellen fest: Hier gibt es nichts, das es nicht gibt – sogar Schokoladenfondue! Wir entscheiden uns für den Klassiker, das Rindfleischfondue. Doch schon der Service lässt uns schnell misstrauisch werden. Weshalb sind eigentlich die Tische um uns herum alle noch nicht abgeräumt? Und warum reagiert der Kellner auf unsere Fragen so genervt?

Nach gefühlten zwei Sekunden steht vor uns bereits ein Fettnapf. Aber sollte das Fett nicht eigentlich heiß sein? Was schließlich mühsam vom Spieß gefummelt auf dem Teller landet, ist eine zähe Unverschämtheit. Dips und Saucen sind nicht selbstgemacht. Ein kulinarisches Erlebnis, das unter der Überschrift „Katastrophe“ richtig zusammengefasst ist.

An unserem Tisch sinkt die Laune. Wir bestellen ein Käsefondue, man soll ja nicht vorschnell urteilen – und erleben eine Art Weltuntergang. Die Flamme erlischt am laufenden Band. Unsere Frage nach einem neuen Réchaud quittiert der Kellner mit Augenrollen. In der Zwischenzeit erkaltet die Käsemasse zu einem derart festen Klumpen, dass man mühelos jemanden damit erschlagen könnte. Am liebsten würden wir den Kellner im Genfer See versenken, so wie es in „Asterix bei den Schweizern“ geschah.

Bleibt die rettende Variante: Fleischfondue zu Hause. Nach dem Abend im Ars Vini wollen wir noch nicht so schnell aufgeben. Das Fett ist schnell geborgt, Freunde schleppen zehn feuerrote Teller mit je fünf Vertiefungen herbei, zehn mit bunten Knöpfen verzierte Spießgabeln, Topf und Réchaud. Wir schneiden Hühnerbrüste, Rinderfilet und Schweinesteaks in mundgerechte Happen, besorgen exotische Saucen aus dem Asiamarkt. Das Fleisch ist zwar nach einer Minute im Fonduetopf etwas trocken, aber die Laune gut – zum Glück hat jemand eine große Schüssel Kartoffelsalat gemacht. Und der schmilzt auf der Zunge.

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