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Garnelen mit Knoblauch

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Tapas-Bars in Spanien locken mit Sonderangeboten: Tapas für die Seele

Für den großen Restaurantbesuch fehlt das Geld, doch das Ausgehen lassen sich die jungen Spanier nicht nehmen. Nun boomt die Häppchen-Kultur.

Die riesige Markthalle von Málaga ist verwaist. An fast allen Ständen sind die eisernen Rollläden heruntergelassen, nur ein paar verspätete Hausfrauen laufen durch die Gänge. Es ist ein Dienstag, kurz nach zwei, spanische Mittagszeit. Allein in einer Ecke herrscht Trubel. Vor zwei Verkaufsständen drängen sich Männer im Anzug, mit Aktentasche, grauhaarige Frauen mit Einkaufstüten, junge Leute mit bunten Haaren und Piercing. Als gäbe es heißbegehrte Schnäppchen zu ergattern.

Die beiden Edelstahlwürfel sind Bars, Pincho-Bars. Pinchos („Spieße“) sind eine elaborierte Variante der Tapas. Um zwei stürmen Verkäufer, Hausfrauen, Geschäftsleute an den Tresen, um bei den rotbackigen Männern zu bestellen, die auf einer herdgroßen, über 300 Grad heißen Edelstahl-Fläche Meeresfrüchte, kleine Fische, Fleischstückchen und Gemüse braten, alles auf Holzstäbchen aufgespießt.

Tapas und Pinchos sind in Spanien gerade gefragt wie nie. Allein in der Altstadt von Málaga haben in den vergangenen fünf Jahren mehr als zehn neue Tapas-Bars aufgemacht. Und an keinem Abend sind sie leer. Tapas symbolisieren die spanische Geselligkeit, Tapas teilt man, und wo sie gegessen werden, ist immer Platz für einen mehr. Mit jeder Runde kann man sich neu entscheiden, für ein Gericht, eine Bar, ein Getränk. Ihr gegenwärtiger Boom hat aber noch einen anderen Grund: Tapas sind günstig.

Die Krise in Spanien dauert fort. Andalusien ist die Region der Europäischen Union mit der höchsten Arbeitslosenquote überhaupt, im vergangenen Jahr waren mehr als 36 Prozent der Menschen ohne Job. „Die Lust am Ausgehen nimmt uns Spaniern aber keine Krise“, erklärt Sternekoch Dani García den Erfolg. Er selbst besitzt mehrere Tapas-Bars im Süden des Landes. „Wer kein Geld mehr hat, um ins Restaurant zu gehen, leistet sich immer noch eine Tapa oder einen Pincho.“

Zwischen einem und drei Euro kosten die kleinen Spieße in den Bars der Markthalle von Málaga. In Granada, Jaen und Almeria werden die Kleinigkeiten sogar gratis zum Getränk serviert. In anderen Städten haben die Wirte auf die leeren Geldbeutel der Kunden mit Sonderangeboten reagiert. Die Tapa plus kleines Bier gibt es donnerstags, wenn traditionell das spanische Ausgehwochenende beginnt, häufig schon für zwei Euro.

Zu Beginn der Krise blieben die Leute oft zu Hause, seit die Wirte kollektiv Niedrigpreise anbieten, sind die Bars auch donnerstags wieder voll. Die andalusische Franchise-Kette „100 Montaditos“, die in den letzten Jahren groß wurde und in ganz Spanien mittlerweile mehr als 300 Restaurants betreibt, bietet die Tapa mittwochs und sonntags sogar für nur einen Euro an.

"Wenn ich aufs Ausgehen verzichten müsste, würde ich depressiv"

Garnelen mit Knoblauch
Garnelen mit Knoblauch

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Am Tresen in Málagas Markthalle steht Esther Montes, eine kleine, drahtige Frau mit rotgefärbten kurzen Haaren. „Zwei Garnelenspieße!“, ruft sie dem Koch mit dröhnender Stimme zu. „Und zwei kleine Bier!“ Die 39-jährige Sozialarbeiterin ist arbeitslos, seit zwei Jahren schon. Als alleinerziehende Mutter bekommt sie knapp 300 Euro Sozialhilfe. Den ganzen Vormittag hat sie das Internet nach Angeboten durchforstet und nicht mal einen Hilfsarbeiterjob gefunden. Danach wollte sie nicht zu Hause bleiben, in der engen Wohnung ihrer Eltern, wo sie mit ihrem dreijährigen Sohn seit einem Jahr lebt, nachdem sie sich vom Vater getrennt hat. Und weil dieser heute den Jungen aus dem Kindergarten holt, rief sie ihren Kumpel Raimundo Rodriguez an. Der Grafiker, seit drei Jahren arbeitslos, hat fast immer spontan Zeit für ein paar Tapas. Auch er hat sein Arbeitslosengeld schon lange aufgebraucht, Sozialhilfe bekommt er aber nicht. Der 42-Jährige ist ebenfalls zu seinen Eltern gezogen, überlebt mit Hilfe von ein paar Ersparnissen.

Der Kellner stellt Spieße und Bier vor Esther Montes auf den Tresen. Sie prostet Rodriguez zu, einem kräftigen, kleinen Mann mit raspelkurzem Haar. Die beiden lächeln gelöst, plaudern übers Wochenende. Der frustrierende Vormittag? Die Beengtheit des Kinderzimmers? Die Arbeitslosigkeit? Sind erst mal vergessen.

„Ich habe mich jetzt in Südamerika beworben“, erzählt Rodriguez. Er klingt nicht glücklich. Nie würde er seine Heimatstadt verlassen, sagt er, wenn er nur irgendeinen Job finden würde. „Eine Werbeagentur aus Kolumbien hat sich letzte Woche gemeldet, morgen habe ich ein Skypegespräch.“ Er beißt in den rosa-braunen Garnelenspieß. „Wenn die mich wollen, bin ich weg.“ Esther Montes nippt an ihrem Bier. Auch ihr Lächeln ist jetzt verschwunden. „Wäre ich allein, wäre ich schon längst ins Ausland gegangen, dahin, wo es Arbeit gibt.“ Im Sommer hat sie das letzte Mal ein paar Tage gejobbt, fuhr im Hafen Neuwagen vom Frachter, für 4,50 Euro die Stunde.

„Wenn ich aufs Ausgehen verzichten müsste, würde ich depressiv“, sagt Esther Montes später, als sie nach der dritten Runde Pinchos den Markt verlässt. „Ich würde nur noch meine Eltern und meinen Sohn sehen, noch viel mehr über meine Situation grübeln.“ Um Geld zu sparen, ist sie schon aus dem Schwimmverein ausgetreten, joggt nur noch am Strand. Aber mindestens einmal in der Woche leistet sie sich eine Runde Tapas mit Freunden, meist mittags oder am frühen Abend, oft nimmt sie ihren Sohn mit. „Das muss einfach sein. Für meine geistige Gesundheit.“

Arancha Hernández, eine resolute 39-Jährige mit langen braunen Locken, hat die Tapas-Bar „Chikiteo“ kurz nach Ausbruch der Wirtschaftskrise eröffnet. Ein kleines, bunt gefliestes Lokal mit Platz für drei Tische, mitten im weiß getünchten Fischerviertel von Málaga, keine 20 Meter vom Strand entfernt, mit kleiner Terrasse. Auf dem Holztresen thront die Glasvitrine mit Chorizo, Tortilla, Fleischklöpsen und Kroketten. Alles hausgemacht, nach Rezepten von Hernández’ Mutter. Die Spezialität im Chikiteo: „Montaditos“, Tapas im Brot. Ursprünglich war die Bar nur als zusätzliche Einkommensquelle der Familie gedacht und als Beschäftigung für Hernández, die leidenschaftlich gern kocht. 2009, als sie den Laden eröffnete, war ihr Mann noch erfolgreicher Besitzer eines Cateringservices für Filmproduktionen. Doch mit jedem Krisenjahr gingen die Aufträge weiter zurück, vor zwei Jahren musste der Cateringservice schließen. Die Tapas-Bar von Hernández dagegen lief immer besser. Heute arbeitet auch ihr Mann hier.

Viele bleiben stundenlang bei einer Tapa sitzen

Es ist früher Freitagabend, die fünf Aluminiumtische auf der Terrasse des Chikiteo sind voll, obwohl Hernández gerade erst aufgemacht hat. „Wir haben heute viel mehr Gäste als am Anfang, aber wir verdienen nur wenig mehr“, erzählt die Wirtin. „Die Leute bestellen immer weniger. Viele essen eine Tapa und bleiben dann stundenlang sitzen.“ Hernández macht das nichts aus, sie kann mit der Bar ihre Familie ernähren, das reicht ihr.

An einem der Tische sitzt die Rezeptionistin Esther Llanos mit Freunden, Kellnern und Köchen. Vor ihnen steht eine Portion „Papas bravas“, Kartoffelecken mit scharfer Sauce, günstig und sättigend. Die Stimmung ist ausgelassen, die fünf Freunde planen das Wochenende, sie wollen sich am Strand treffen.

Die 38-jährige Llanos – braungebrannt, braune Locken, Reibeisenstimme – arbeitet in der Pension ihrer Familie, vor Arbeitslosigkeit braucht sie sich nicht zu fürchten. Doch vor zwei Jahren musste sie ihr Gehalt um 200 Euro kürzen, Krisenmaßnahme. Sie verdient jetzt kaum mehr als 1000 Euro im Monat. Davon zahlt Llanos die monatliche Hypothekenrate für ihre Wohnung, ihr Essen und das Futter für ihre drei Katzen. Viel bleibt dann nicht übrig. Auch sie sagt: „Als Allerletztes würde ich aufs Ausgehen verzichten.“

Garnelen mit Knoblauch
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Ein paar Tage später sitzt Esther Montes mit Rodriguez und vier Freunden auf der Terrasse des „Pepa y Pepe“, einem alteingesessenen Tapas-Lokal in der Altstadt von Málaga. Gegenüber liegen zwei neue Bars, deren Promoter durch die Straße laufen, um Kunden mit Sonderangeboten zu locken. Die Freunde teilen sich „Pescaitos Fritos“, frittierte Meeresfrüchte. Es gibt was zu feiern: Rodriguez hat die Stelle in Kolumbien bekommen, in einem Monat wird er Málaga verlassen. Und Esther Montes hat einen Aufsichtsjob im Kindergarten gefunden. Anderthalb Stunden vor dem offiziellem Start wird sie auf die Kinder aufpassen, deren Eltern früh zur Arbeit müssen. Sie wird keine 200 Euro im Monat verdienen. Montes hebt ihr Glas, ruft im Spaß: „Dass wir weiter so gut durch die Krise kommen!“

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