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Das wohlschmeckende Geflügelgericht ist das Ergebnis einer 15-jährigen Experimentierphase.

© Alice Epp

Toni Mahoni: Gastmahl des Huhnes

Seine Bücher sind durchzogen vom Duft frischer Rühreier, neuerdings schlachtet er sein Geflügel selbst: Toni Mahoni liebt das gepflegte Gelage. Ein Abend mit Erweckungsgeschichte.

N un wird’s kurz mal andächtig in der Kreuzberger Wohnküche: Mommsen holt die Kasserolle aus dem Backofen und stellt sie mitten auf den Tisch. Es ist heiß, dampft, duftet nach Rosmarin, Knoblauch und fleischiger Knusprigkeit.

„Sieht doch wieder gut aus“, meint Toni Mahoni und bringt sein Besteck in Stellung. Mommsen, der Koch, nickt nachdrücklich und fährt sich mit dem Handrücken über die verschwitzte Stirn. Vor uns steht ein perfekt zerteiltes Ofenhühnchen.

Die Reporterin hat sich nach der Vorspeise – minzigem Couscoussalat – daran gewöhnt, in einer seltsamen Zwischenwelt aus Fiktion und Realität zu Abend zu essen. Toni Mahoni und Mommsen, das sind doch eigentlich Romanfiguren aus „Gebratene Störche“ und dem neuen Buch „Alles wird gut. Und zwar morgen!“. Jetzt sitzen sie aber hier ganz echt am Holztisch, reden wie in den Büchern und prosten sich auch genauso zu.

Toni Mahoni war mal ein schnoddriger Videoblogger auf der Internetplattform „Spreeblick“, wofür er 2006 mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet wurde, er ist Schriftsteller, Radio-Mann und außerdem leidenschaftlicher Sänger und Musiker. Geboren und aufgewachsen in Köpenick – unter den Fittichen seiner Mutter, die sich auf Hausmannskost („Kohlrouladen und Eisbein und Zunge und Innereien“) spezialisiert hatte, und seines kulinarisch eher experimentellen Vaters, der Dosen-Ananas in die Bratkartoffeln tat.

Nach dem Ende der Schulzeit und der DDR zog Mahoni in eine Riesen-WG im Kiez. „Wie viele, die 13 waren, als die Mauer fiel, hab’ ich ein Problem mit Autoritäten“, sagt er. Sein Soziologiestudium brach er zügig ab.

Stattdessen: Aufbruchstimmung, eine Band, ein altes Haus mit riesiger Dachterrasse, die große Freiheit, wozu da denn bitteschön nach Kalifornien? Die tatsächliche Zahl der Mitbewohner kannte keiner.

Es begann die Zeit der Netto-Tiefkühlpizza und des No-Name-Bistrobaguettes. Gegessen wurde nicht bei Hunger, sondern wenn überhaupt etwas da war.

„Zecke“ Mahoni rannte mehr als einmal vor den „Glatzen“ weg. Deshalb kann er heute noch gut beschreiben, wie es sich anfühlt, über die breiten Gehwege der Frankfurter Allee gehetzt zu werden – und wie schmerzhaft Fußtritte sind (im Buch allerdings nicht von Nazis, sondern von Sprösslingen der mallorquinischen Mafia). Wollte er seine Eltern besuchen, rannte er sicherheitshalber gleich von der Straßenbahnhaltestelle nach Hause. Eine Flucht nach vorne.

Wie sehr er den guten Sonntagsbraten und die geregelten Mahlzeiten seiner Eltern vermisste, fiel Mahoni erst auf, als er mit Anfang 20 seinen Freund Mommsen in London besuchte. Auch Mommsen, der „irgendwas mit Geld“ studierte und später in Frankfurt am Main arbeitete, lebte in einer unübersichtlichen WG – zusammen mit Kostas, einem Griechen.

„Die Kombination Rosmarin und Knoblauch“, erklärt Mahoni versonnen und hebt ein Hühnerteil aus der Kasserolle auf seinen Teller, „war mein kulinarisches Erweckungserlebnis.“

Der Mythos „Chicken Greek Style“ (siehe Rezept unten) war geboren. Über 15 Jahre hinweg verfeinerten die Freunde das Gericht, das Huhn wurde zum Ritual. Kostas und sein Chicken machten Toni Mahoni und Mommsen zu leidenschaftlichen Köchen, und es wäre wohl nicht übertrieben zu behaupten, die beiden hätten eine fast schon zärtliche Beziehung zum Geflügel. Von Fertig- und Convenienceprodukten lassen sie seit Kosta die Finger.

„Alles selbst machen, alles verwerten“, lautet ihr erstes Gebot. Und was, wenn man etwas nicht besser machen kann, Sushi zum Beispiel? Ja, natürlich sonst verstehe man nicht, was gutes Sushi vom schlechten unterscheide. „Haben wir doch längst ausprobiert“, sagt Mommsen. „Ich kann besseres Sushi als im Restaurant“, behauptet Mahoni.

Uneinig sind sich die zwei überhaupt nur, was das legendäre „Hühnerhaus 36“ am Görlitzer Park angeht. Mahoni lehnt es ab, zu billiges Fleisch. Mommsen geht ab und zu hin.

Mommsen und Toni Mahoni vor Ceranfeld.
Mommsen und Toni Mahoni vor Ceranfeld.

© Alice Epp

Bezeichnenderweise spielt das Huhn auch in Toni Mahonis neuem Buch eine große Rolle. Da macht sich Romanfigur Mahoni auf eine nicht ganz freiwillige Reise nach Frankreich, das auf seiner inneren Landkarte „irgendwo hinter Magdeburg“ liegt. Er will, er muss, in die Bresse – jenen schmalen Landstrich im Osten des Nachbarlandes, der eines der französischen Nationalheiligtümer hervorgebracht hat: das Bresse-Huhn. Nur dieses Vieh kann Mahonis Haut retten. Mit seinen blauen Beinen, dem weißen Gefieder und dem roten Kamm sieht es aus wie eine Huhn gewordene Trikolore.

Kein Wunder, dass die Franzosen ihr Lieblingsgeflügel so hingebungsvoll hegen und pflegen. Es lebt auf jeden Fall gesünder als Mahoni und Mommsen zu ihren WG-Zeiten – pro Kopf auf mindestens zehn Quadratmeter Freiland, und vorgesetzt bekommt es ausschließlich in der Region angebauten Mais und Buchweizen.

Das Mindestschlachtalter des gepamperten Tiers beträgt vier Monate, ein Umstand, den Mahoni in seiner Geschichte zum Hühnerdieb werden lässt, verkauft werden darf es nur en gros. In Berlin bekommt man es nur fertig ausgenommen – ein Frevel, sagt der Experte.

„Schlimm“ sei die „Riesennachfrage nach Brüsten im Supermarkt“, da sind sich Mahoni und Mommsen einig. Denn was geschieht dann mit dem Rest des Tieres?

Zur Bestätigung drückt er auf das Fühlbuch „mit tollen Soundeffekten“ seines kleinen Sohnes, das auf dem Tisch liegt: „Streichle mich, dann piepse ich“. Und das Küken piepst.

Dass Mahoni es wirklich ernst meint, hat er erst vor drei Wochen bewiesen. Irgendwo in der Uckermark teilt er sich mit Freunden ein einsam gelegenes Haus, das er auch gerne als Schreibexil nutzt. Im Garten dort scharrt jetzt ein Hahn weniger.

„Sicher, man wird sich nicht unbedingt das liebste und schlauste Tier im Stall aussuchen“, sagt er auf die Frage, nach welchen Kriterien er das Opfer ausgewählt hat. „Der Hahn fiel mir leicht, der hat die Hennen immer so aggressiv genervt.“ Er grinst und rollt sich eine Zigarette.

Wären da noch die Eier. Für neuere Moden wie Eggs Benedict hat Mahoni nicht viel übrig. Als er an „Alles wird gut. Und zwar morgen!“ schrieb, holte er jeden Morgen drei Eier aus dem Stall, schlug sie auf und verquirlte sie genau eine Sekunde, bevor er sie in die heiße, gebutterte Pfanne gleiten ließ. Weiß und Gelb sollten eindeutig zu unterscheiden sein, findet der 37-Jährige. Vielleicht wird sein Roman deshalb vom Eier-mit-Speck-Duft durchzogen. Wer bei der Lektüre keinen Appetit bekommt, muss aus Stein sein.

Mommsen sammelt die Teller ein und trägt sie in Mahonis zusammengewürfelte Küche, der man ansieht, dass sie oft und gerne benutzt wird. Die Anrichte gleicht einer Werkbank, ein paar Messer kleben am Magneten und statt des obligatorischen Basilikumtöpfchens liegen Plastiktüten voller Kräuter herum. Mahoni steht am Plattenspieler und zieht den Nachtisch aus der weißen Papierhülle: „Chocolate and Cheese“, das 1994er-Album der Band Ween, überspielt das leise Brummen des Kühlschranks.

War’s das etwa? Nein. „Kann ich deinen Honig schmelzen?“, ruft Mommsen vom Herd – und hat es schon getan. Es gibt griechischen Joghurt mit Erdbeeren und flüssigem Honig, so einfach wie sensationell.

Mahonis Motto hat sich bewahrheitet. Es lautet: „Ich widme mein Leben dem Genuss meiner Erdenzeit und dem Versuch, anderen diese Sicht aufzudrücken.“

„Alles wird gut. Und zwar morgen!“ ist bei Galiani Berlin erschienen (305 S., 14,99 Euro). Buchpremiere: 6. Juni, um 20 Uhr im Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz.

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