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Türkisches Frühstück im "Meyan" in der Schöneber Goltzstraße.

© Thilo Rückeis

Türkisch frühstücken: Sesam öffne dich

Schafskäse, Tomaten, Rührei, Oliven, scharfe Wurst – türkisches Frühstück ist so vielfältig wie deftig. Nun kommen auch die Berliner auf den Geschmack.

Einen Sesamkringel hat bei Edip Selçuk schon lange niemand mehr bestellt. Seine Gäste fragen jetzt nach einem Simit, auch die Deutschen, und Edip Selçuk findet, das sei ein gutes Zeichen. Ein Zeichen dafür, dass auch die Deutschen mittlerweile wissen, dass die türkische Speisekarte mehr zu bieten hat als Döner und Dürüm.

Das Frühstück auf türkische Art hat sich etabliert auf dem Berliner Speiseplan, das zeigt nicht nur die Aufnahme des Simit in den deutschen Wortschatz. Edip Selçuk, 54, Geschäftsführer im La Femme am Kottbusser Damm in Neukölln, sieht es auch an seinen Gästen. Seit sechs Jahren gibt es das Frühstückslokal. Am Anfang kamen fast nur Türken, um mit Simit und Çay, Menemen und Suçuk in den Tag zu starten. Heute, an einem winterlichen Samstagmittag, sitzen im voll besetzten Lokal deutsche Paare neben türkischen Familien und dazwischen Gruppen junger Leute, von denen man gar nicht sagen kann, wer woher kommt.

Der deutsche Gaumen ist wählerisch und manchmal ein bisschen misstrauisch. Selçuk hat das beim Kumpir erlebt, der türkischen Ofenkartoffel, die mit Butter und Käse zu frischem Kartoffelbrei gerührt und mit Beilagen wie Oliven oder scharfer Soße gegessen wird. Zuerst hat Selçuk 27 Zutaten angeboten. Elf hat er mittlerweile von der Karte gestrichen, weil sie nicht ankamen: zu scharf, zu würzig, zu viel Knoblauch. Beim Frühstück ist das anders, obwohl es manchmal auch scharf und würzig ist. Aber die Deutschen hätten keine Berührungsängste, sagt Selçuk. „Sie sind mittlerweile auch ein bisschen orientalisch geworden.“

Ohne Frühstück, das sagt ein türkisches Sprichwort, sollte man nicht auf die Straße gehen. Es ist die wichtigste Mahlzeit des Tages, die man im La Femme in den verschiedensten Variationen bestellen kann. Fast immer dabei: Rührei, serviert mit Käse, mit Schinken vom Rind, mit Suçuk, also scharfer Knoblauchwurst, mit Hackfleisch, mit Kartoffeln und Paprika. In der Türkei arbeiten die Menschen hart, sagt Selçuk, sie brauchen eine gute Grundlage. Und wer nicht hart arbeitet, sondern am Vorabend nur hart feiern war, der kommt eben erst um fünf oder sechs Uhr abends. Frühstück gibt es im La Femme den ganzen Tag, auch an Neujahr übrigens.

Die Gerichte werden in silbernen Pfannen serviert, der Tee in kleinen, bauchigen Gläsern. Kaffee, sagt Selçuk, trinkt man nicht zum Frühstück, sondern erst dann, „wenn man alles erledigt hat“. Das Einzige, was hier nicht so recht passen will zum türkischen Ambiente, ist der Name. Doch auch der hat seine Geschichte. Im ersten La-Femme-Lokal in Berlin – heute gibt es vier davon – kochte nun mal eine Frau, eine Dame mit Vorliebe für die französische Sprache. Im La Femme stehen ausschließlich Frauen in der Küche. Keine gelernten Köchinnen, sondern türkische Hausfrauen. „Keiner kocht besser als Mama“, sagt Selçuk.

Knusprig muss der Kringel sein

Türkisches Frühstück im "Meyan" in der Schöneber Goltzstraße.
Türkisches Frühstück im "Meyan" in der Schöneber Goltzstraße.

© Thilo Rückeis

Doch egal, ob Rührei mit Schinken oder Suçuk – was für Selçuk bei keinem Frühstück fehlen darf, sind Schafskäse, Gurken, Tomaten, Oliven und, natürlich, Simit. Als Kind in Ostanatolien hat er sie noch selbst gebacken. Heute beschäftigt er zwei Bäcker, die den Teig in einer Ecke des Gastraums zu Kringeln formen, in Sesam wälzen und in den Ofen schieben. Jeder kann sich so selbst davon überzeugen, dass die Simit frisch sind.

Am Anfang hat Selçuk das Mehl für den Simit-Teig noch aus der Türkei geholt, aber das Gebäck war zu weich. Ein Simit muss außen knusprig sein. Das türkische Mehl vertrage die Luftfeuchtigkeit in Deutschland nicht, sagt Selçuk. Er hat deshalb auf deutsches Mehl umgestellt und die Zutaten ein bisschen verändert. Wie genau, das will er nicht sagen, sonst könne es ja jeder nachmachen. Denn sein Simit sei nicht nur der beste in Berlin, sondern besser als das Original in der Türkei. Eine kühne Behauptung. Aber wer den Simit im La Femme einmal probiert hat (am besten mit Honig), wird darüber nachdenken, ob Selçuk nicht vielleicht doch recht hat.

Ein etwas anderes türkisches Frühstückserlebnis bietet das Meyan, ein Feinkostlokal mit hohen Backsteinwänden und Wohnzimmeratmosphäre. Çizdem und Ali Yizit haben das „Süßholz“, so die Übersetzung des Namens, vor einem Jahr in der Nähe des Winterfeldtplatzes eröffnet. Das Lokal soll alle ansprechen, die die türkische Küche jenseits des Döners genießen wollen, sagt Çizdem Yizit: nicht zu schwer, ein bisschen raffinierter, feiner, internationaler. Frühstücken kann man hier natürlich trotzdem. Ziemlich gut sogar.

Das liegt vor allem an den selbst gemachten Pasten. Die Joghurtpaste mit Kräutern oder die Dattelpaste mit Chili sind ein Erlebnis, auch wenn sie in der Türkei eigentlich nicht zum Frühstück, sondern als Vorspeise auf den Tisch kommen. Dazu gibt es Walnussbrötchen und Schrippen. Einen Simit bestellt man hier vergeblich. „Der ist kein Muss, auch in der Türkei nicht“, sagt Ali Yizit. „Ein Muss ist für mich Gastfreundschaft, ein Muss ist es, mit den Kunden zu reden und auch mal einen auszugeben.“ Und Schafskäse und Oliven, die sollten immer dabei sein. Nur dass die Oliven im Meyan eben zweisprachig sind, italienisch und türkisch, in einem Schälchen vereint.

Selbstgemachte Apfel-Khaki-Marmelade

Türkisches Frühstück im "Meyan" in der Schöneber Goltzstraße.
Türkisches Frühstück im "Meyan" in der Schöneber Goltzstraße.

© Thilo Rückeis

Ali und Çizdem Yizit kommen eigentlich aus der Kunstbranche. Ali, 49, ist in Istanbul geboren. In der Türkei spielte er in Fernsehserien und im Theater, in Berlin moderierte er sechs Jahre lang die Morning Show des deutschtürkischen Radiosenders Metropol. Çizdem, 45, kommt aus Pforzheim, sie arbeitete 14 Jahre lang als Modedesignerin. Ihre Schwestern betreiben in Berlin einen Verlag, der türkische Gegenwartsliteratur übersetzt. Die Bücher sind im ganzen Lokal verteilt, ab und zu finden im Meyan auch Lesungen statt. Der Kulturtransfer beschränkt sich hier nicht auf die Küche.

„Von Gastronomie hatten wir eigentlich keine Ahnung“, sagt Çizdem Yizit, „vielleicht ist das manchmal gar nicht so schlecht.“ Sie gingen kreativer an die Gerichte heran, experimentierfreudiger. Während Ali Yizit die Möbel für das Lokal zusammenstellte – manches ist selbst gebaut, manches kommt vom Flohmarkt –, reiste Çigdem Yizit mit einem Notizbuch durch die Türkei, auf der Suche nach den besten Rezepten. Und die müssen nicht immer ausgefallen sein: Ein Menemen, die typische türkische Eierspeise, steht auch auf der Karte.

Schön aussehen soll das Essen ebenfalls. Der Tee wird in bunten Bechern serviert, die verschiedenen Kleinigkeiten kommen in verzierten Schälchen auf den Tisch: die köstlichen Pasten, Gurken und Tomaten und selbst gemachte Marmelade-Kreationen wie Apfel-Khaki.

„Das Auge isst mit“, sagt Çizdem Yizit. Natürlich weiß sie auch: Egal, wie appetitlich das Essen angerichtet ist – wenn es nicht schmeckt, dann kommt trotzdem keiner. Da geht es den Yizits nicht anders als Edip Selçuk im La Femme oder jedem italienischen oder äthiopischen Lokal auch. Und dass es nicht schmeckt, diese Gefahr ist beim türkischen Frühstück gering. Egal, ob mit Simit oder ohne.

Paul Munzinger

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