zum Hauptinhalt
Blaubeer-Bourbon-Basilikum-Donut aus der Blue Star-Patisserie in Portland.

© Blue Star

Vom Fast food zum Edelkringel: Donut deluxe

In Großbritannien und den USA gibt es ihn schon, Berlin wartet noch auf ihn: der Gourmet-Donut.

Der Weg zu den Donuts führt nach oben. Und er ist ziemlich rasant. In wenigen Sekunden jagt der gläserne Aufzug an der Hauswand hoch, der Blick in den Abgrund wird immer bestürzender, mit pochendem Herzen steigt man im 40. Stock aus, betritt die Bar und – ist überwältigt: Ganz London liegt einem glitzernd zu Füßen. Die Bar ist voll, die Musik laut, ein Fensterplatz im Restaurantbereich für den Donut reserviert. Im angesagten „Duck and Waffle“ in der City von London, das rund um die Uhr geöffnet hat, kann man ihn morgens, mittags, nachts, am schönsten aber zum Sonnenaufgang verspeisen. Ein knuspriger, kugelrunder und würziger Hefe-Pfannkuchen, mit in Rotwein geschmorter Ochsenbacke gefüllt, in geräuchertem Paprika-Zucker gewälzt, dazu als Kontrast selbst gemachte Aprikosenmarmelade. Die Spezialität des Hauses kann zwar nicht ganz mithalten mit dem Panorama, aber interessant, doch, interessant und pikant ist er schon.

Er hat’s geschafft: Der Donut ist ganz oben angekommen. Aus dem Arbeiterfutter, dem billigen Junk Food vom Straßenrand, ist eine kostbare Delikatesse geworden. In London ebenso wie in New York, in Portland und in Tokio. Nur Berlin hat noch nicht so was Schönes.

Erstaunlich eigentlich, angesichts des kulinarischen Booms an der Spree, dem wir schon andere amerikanische Spezialitäten wie Pulled Pork oder Pastrami verdanken. Stattdessen ist Berlin Deutschlands Dunkin-Donuts-Hauptstadt. An der Spree hat die amerikanische Kette mit weltweit 11 000 Filialen und aggressivem Expansionskurs schon 1999 ihren ersten Ableger eröffnet. Inzwischen sind es 24 Läden. München hat gerade mal vier. Was auch am guten, verwöhnten bayerischen Gaumen liegen mag. „Ekelig, pappsüß, grobschlächtig“, lautet das vernichtende Urteil von Kollege T. über die quietschbunten Exemplare.

Sicher kriegt man in Berlin inzwischen an vielen Ecken Donuts, selbst beim Discounter nebenan. Aber der Industrie-Kringel hat mit einem Gourmet-Exemplar so viel zu tun wie ein Whopper mit einem Neuland-Burger. Der Kringel de luxe, seit zwei, drei Jahren so richtig auf dem Aufstieg, kommt nicht aus der Fabrik, sondern aus der Manufaktur – „von Menschen, nicht von Maschinen gemacht“, wie „Revolution Doughnuts“ aus Georgia wirbt. Chemikalien wie Geschmacksverstärker, Farbstoffe und künstliche Treibstoffe sind tabu, Brioche- oder Sauerteig werden selbst angesetzt, statt mit aromatisiertem Fruchtsirup wird mit frischen Früchten gearbeitet. Anstelle von Billigschokolade nehmen die Bäcker hochprozentige Edelprodukte, die Vanille kommt nicht aus der Tüte, sondern aus der Schote, es gibt sogar mit Chili, Curry oder Zatar gewürzte herzhafte Exemplare. Auch die Präsentation ist first class, gern auf Schiefer oder Holz, von dem sich die bunten Kringel gut abheben. Ziemlich süß und schwer sind sie nach wie vor.

Nur noch selten kommt eer nackt daher. Elaborierte Füllungen wie Crème brûlée oder Salted Caramel sind inzwischen so wichtig wie Glasuren, von Schokolade bis Blaubeer-Bourbon-Basilikum. Und dann die Toppings! Kandierte Orangenstücke oder gehackte Pistazien, Plätzchenkrümel oder frittiertes Huhn. Aus dem harmlosen Kringel wurde eine Bombe.

Die Heilsarmee führte den National Doughnut Day ein

Blaubeer-Bourbon-Basilikum-Donut aus der Blue Star-Patisserie in Portland.
Blaubeer-Bourbon-Basilikum-Donut aus der Blue Star-Patisserie in Portland.

© Blue Star

Was den Erfolg so erstaunlich macht. Denn gerade in der jungen, gebildeten Schicht, die sich jetzt auf ihn stürzt, sind Weißmehl und Zucker verpönt, Kohlehydrate so böse wie Fett. Aber erstens kann man ihn natürlich längst auch vegan und glutenfrei kriegen und in Bio-Supermärkten wie dem edlen Whole Foods kaufen (wenn das Mehl doch Bio ist). Aber vor allem ist der emotionale, sentimentale Gehalt nicht zu unterschätzen. Der Kringel ist das ultimative Comfort Food, vollgestopft mit Zucker, Fett und Erinnerungen: an Kindergeburtstage und Familienfeste und den Sonntagsgottesdienst. Gerade die kleinen Donut-Läden haben etwas sehr Familiäres, sind wie die Stammkneipe oder der Tante-Emma-Laden, man kennt sich, man trifft sich, kauft den Donut, um sich oder anderen was Gutes zu tun: „You deserve a donut“ steht auf der Tüte eines Portlander Ladens.

Und man kauft ihn gern im halben oder ganzen Dutzend, für die Party oder die Runde im Büro, als Stärkung für Geschäftskunden. Er wird zum „Donuts with Dad“-Frühstück in der Schule serviert (um die Väter überhaupt dahin zu locken), bei Hochzeitsempfängen gereicht.

Amerikanischen Polizisten sagt man nach, dass sie sich praktisch nur von Donuts ernähren. Denn im Unterschied zum Cupcake ist er kein ausgesprochenes Mädchenprodukt, im Gegenteil: Bei starken Männern wie Arbeitern und Soldaten ist er seit jeher besonders beliebt. Seinen ersten richtigen Boom erlebte er im Ersten Weltkrieg, der Heilsarmee sei Dank: „Doughnut Dollies“ versorgten Amerikas Jungs in der Ferne mit dem heimischen Gebäck. Die Heilsarmee war es auch, die 1937 den National Doughnut Day einführte, am zweiten Freitag im Juni. (Inzwischen gibt es zusätzlich den Jelly Filled Doughnut Day, den National Cream Filled Doughnut Day und den Buy a Doughnut Day.) 1937 war er schon ein Massenprodukt, der Aufstieg verlief parallel zu dem des Automobils, am Straßenrand entstanden Hütten und Drive-ins. Zum größten Fan und Werbeträger wurde Homer Simpson, der gar nicht genug von dem frittierten Kringel kriegen kann, egal ob in der Hölle oder auf Erden.

Natürlich haben die Amerikaner den Donut so wenig erfunden wie den Hamburger, sie haben ihn nur adaptiert. In Fett gebackene Krapfen kennen viele Kulturen, die Deutschen haben ihre Pfannkuchen, die Spanier ihre Churros, und die Holländer brachten ihre kleinen runden Oliekoeken mit in die Neue Welt, aus denen dann der dough nut (Teignuss) entstand. Die Urform ist meist aus Hefeteig, bequemer ist Rührteig mit Backpulver.

Das Besondere an der amerikanischen Variante ist das Loch, das man sogar gebacken kaufen kann. Das Loch ist kein Muss, aber: „The magic is in the hole“, verkündet Voodoo Doughnut in Portland. Der schrille Laden, 24 Stunden am Tag geöffnet, hat den Donut zum Kult gemacht, ein Muss beim Besuch der Stadt. Jetzt wird expandiert, bis nach Japan. Touristen und Einheimische stehen in Portland hinter rosa Straßengittern Schlange, um den Klassiker mit Ahornsirupglasur und Speck obendrauf zu erstehen. Oder den mit Kaugummipulver bestäubten. Kitsch as Kitsch can.

Hype um den Cronut

Blaubeer-Bourbon-Basilikum-Donut aus der Blue Star-Patisserie in Portland.
Blaubeer-Bourbon-Basilikum-Donut aus der Blue Star-Patisserie in Portland.

© Blue Star

Dabei hat ausgerechnet ein Franzose, Dominique Ansel, zum neuen Boom des Amerikaners beigetragen. Vor zwei Jahren erfand der Patissier in New York den Cronut, einen Zwitter aus Croissant und Donut; die tägliche Auflage limitierte er auf ein paar Hundert. Medien aus aller Welt berichteten über den Hype, den er damit kreierte, über die Menschen, die im Morgengrauen stundenlang anstanden, um einen der zwei, die maximal pro Person abgegeben wurden, zu ergattern. Oder jemanden anstellten, der das für einen tat. Für 35 Dollar die Stunde.

Andrea-Schirmaier-Huber weiß, wie man schneller daran kommt: In ihrem Backbuch „Süße Cronuts“ empfiehlt die Münchener Konditorin einfach ein paar Dosen fertigen Croissant-Teig (Knack & Back) zu nehmen, auszurollen, aufeinanderzustapeln und zu frittieren. Wenn das die Juroren wüssten, die sie 1999 zur Weltmeisterin ihrer Zunft kürten.

In ihrem Büchlein werden nicht nur die Zutaten, sondern auch die Kalorien aufgezählt. Der mit Buttercreme gefüllte Cronut hat satte 940. Bauarbeiterkost. Es ist übrigens nicht das einzige Backbuch, das in Deutschland in letzter Zeit zum Thema erschienen ist, und noch lange nicht das letzte. Für den September hat der Südwest Verlag „Cronuts, Donuts & Co“ angekündigt: „Superkreative Backideen für hippe Schleckermäuler“. Na dann.

Inzwischen kriegt man den Cronut in aller Welt, auch in Schwabing zum Beispiel. Er schmeckt überraschend gut, vor allem wegen seiner blättrigen Konsistenz. Warum hat Kreuzberg so was noch nicht?

Da hilft nur selber machen. Und zur Einführung einen Kurs bei Justin Gellatly zu belegen, jenem Meister, der auch das Brot für die Hochzeit von William und Kate gebacken hat, und der damit wirbt, die besten Donuts der Welt zu produzieren. Seine prallen, üppig gefüllten Ballen versetzen die englischen Kritiker in Verzückung. „Dieser Teig: der Hauch eines zarten Kusses, der die prallsten, unanständig üppigen Füllungen an sich drückt“, säuselt der „Evening Standard“. Allerdings erfordert das Geduld. Bis Oktober sind alle Seminare ausgebucht. Solange hilft nur: Youtube gucken.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false