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Von TISCH zu TISCH: Weiss

Glaciertes Lammbries auf Balsamico-Linsen

Wenn wir den Titel „Reelles Restaurant des Jahres“ zu vergeben hätten, dann käme das „Weiss“ ganz gewiss in die engere Auswahl. Der Küchenchef ist Ewald Weiss, der sich bereits im Restaurant „Am Fasanenplatz“ eine Fangemeinde erkocht hat. Sein neues Restaurant, im früheren „Europa“, ist stilvoll eingerichtet, aber ohne überflüssige Hemmschwellen. Gestärkte Tischwäsche, dezente Lampen, Tulpensträuße, kleine Windlichter, ein paar Freilufttische vor dem Fenster: Es ist alles da, was man braucht, um sich wohlzufühlen, aber nichts Überflüssiges oder Erdrückendes. Die Patronne hat auf eine angenehm unaufdringliche und gleichzeitig tatkräftige Art alles fest im Griff. Sie ist freundlich und schnell und immer zur Stelle, wenn man sie braucht. Aber wenn man sie gerade mal gar nicht brauchen kann, merkt sie das dankenswerterweise auch.

Das Küchenprogramm ist zeitgemäß, deutsch mit schwäbischen Wurzeln. Je mehr Touristen in die Stadt strömen, desto mehr Restaurants kaprizieren sich auf eine moderne deutsche Küche. Man möchte fast sagen, deutsche Tapas sind die neuen Sushi. Es wäre vielleicht eine gute Idee, wenn die Küche die Kleinigkeiten zum Naschen nach spanischem Vorbild ins Programm aufnähme. Man müsste einfach nur die Hauptspeisen und Vorspeisen in Probierportionen anbieten. Dann würden sich vielleicht mehr Gäste auch mal an exotische Spezialitäten wie „Glaciertes Lammbries auf Balsamico-Linsen“ herantrauen. Wer auf der Suche nach fast vergessenen Delikatessen wie Lammzunge oder Kalbsnierchen ist, wird hier schnell fündig.

Zum Auftakt empfahl uns die Patronne einen extratrockenen Winzersekt, einen Trollinger rosé vom Weingut Christel Currle. Dazu gab es schönes Graubrot mit knuspriger Kruste und hausgemachten Quark mit Paprika und Meerrettich. Köstlich war die Kartoffel-Bärlauchsuppe mit Speckstreifen. Da ist es wirklich gelungen, die Konsistenz der Kartoffel herauszuarbeiten, außerdem war es eine vergleichsweise leichte Suppe (6 Euro).

Ganze Artischocken sind eigentlich eine perfekte Alternative zu, sagen wir, Nachos, wenn es um gesundes Naschen geht. Leider sind sie viel zu selten im Angebot. Aber hier. Die Artischocke und der Teller waren beim Auftragen so heiß, dass auch der Boden noch warm war, als wir ihn nach langem Zupfen erreichten. Ein sehr guter Estragon-Dip stand bereit, um den Blättern auch geschmacklich eine angenehme Farbe zu verleihen (7,50 Euro).

Großzügig angerichtet waren die überaus zart gebratenen Stücke von der Entenleber. Dazu passten fruchtige Apfelscheiben ausgezeichnet. Die wilden Salatblätter ließen aus den 80er Jahren grüßen, waren aber nicht sandig und mit exzellentem Essig angemacht (9 Euro).

Sülze vom Tafelspitz enthielt viel zartes Fleisch und reichlich Gemüse, zwei große Scheiben gab es zum Hauptgang und dazu Bratkartoffeln kross und kein bisschen fettig, außerdem neben der vorzüglichen Remoulade noch eine schlanke Dip-Variante, bestehend aus Tomaten und Balsamicoessig (13,50 Euro).

Auch der überbackene Ziegenkäse war gut. Vielleicht hätte er noch ein bisschen wärmer sein können. Aber der Sockel aus Süßkartoffel gefiel uns und passte sehr gut dazu. Eine schöne Abwechslung zum üblichen Crostiniprogramm (8 Euro). Deutsches muss also nicht schwer sein, dieser Botschaft begegnet man auch anderswo immer häufiger, aber hier wird sie besonders gekonnt umgesetzt.

Die Weinkarte trägt sehr zum guten Eindruck bei. Wir begannen mit einem 2009er Grünen Veltliner von Stiegelmar (0,5 l für 10 Euro) und gingen über zu einem Pfälzer Riesling (0,25 l für 5,50 Euro).

Am Dessert gefiel uns der neudeutsche Umgang mit Rhabarber am besten. Großzügige Stücke, nicht weich gekocht, sondern bissfest und säuerlich, mit Erdbeerscheiben gemischt. Am Schluss gab’s noch wahlweise Grappa oder Mirabelle aufs Haus. Wie in den guten alten Zeiten. So ein kleiner Schuss Nostalgie bekommt der neuen Interpretation klassischer Gerichte gar nicht so schlecht. Schade nur, dass es eher leer war.

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