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Panorama: Essstörungen: Auch Männer verfallen der Magersucht

Es trifft auch Männer, und es werden immer mehr: Von einem ausgeprägten Figurbewusstsein schliddern sie direkt in die Esstörung. Schätzungen gehen davon aus, dass fünf Prozent der Magersüchtigen männlichen Geschlechts sind.

Es trifft auch Männer, und es werden immer mehr: Von einem ausgeprägten Figurbewusstsein schliddern sie direkt in die Esstörung. Schätzungen gehen davon aus, dass fünf Prozent der Magersüchtigen männlichen Geschlechts sind. Das Thema Magersuch bei Männern ist vor allem aktuell geworden durch den kürzlichen Tod des deutschen Olympiasiegers Bahne Rabe. In den Nachrufen auf den Ruderer wurde das Thema Magersucht aus Gründen der Pietät gemieden, obwohl der Grund seines Todes bekannt war. Gestern durchbrach "Bild am Sonntag" die Zurückhaltung und brachte die Magersucht des Sportlers als Aufmacher.

Der Trick der Männer

Mediziner beschäftigen sich zunehmend mit Essstörungen bei Männern. Bei Männern ist die Tendenz besonders stark, zum Abnehmen nicht nur zu hungern, sondern auch exzessive körperliche Aktivität zu nutzen. Sie benutzen Leistungssport, um abzunehmen. Ein Widerspruch: Leistungssport führt in der Regel zu Muskelwachstum und Gewichtszunahme. Wenn Männer zusätzlich hungern um abzunehmen, führen sie einen extremen Kampf mit ihrem Körper, der nicht selten in einem langsamen, quälenden Tod endet.

Am häufigsten trifft es die 15- bis 25-jährigen: Etwa ein Prozent der Frauen dieser Altersgruppe leidet an Magersucht. Der deutsche Name ist zutreffender als der von Medizinern gebrauchte lateinische: Anorexia nervosa, was so viel bedeutet wie nervöse Appetitlosigkeit.

Nicht fehlender Appetit, sondern extremes Hungern oder Verleugnen des Hungergefühls führen aber bei Magersüchtigen zur Gewichtsabnahme. Sucht man nach den Gründen, so ist zunächst eine gestörte Wahrnehmung des eigenen Körpers zu nennen: Typisch ist, dass ein junges Mädchen, das zunächst eher pummelig ist, mit einer Diät beginnt, aber mit dem Fasten nicht aufhört, obwohl Familie und Freunde ihr längst signalisiert haben, nun sei es aber genug. Mediziner und Psychologen vermuten inzwischen, dass es einerseits eine genetische Veranlagung für die Essstörung gibt, andererseits aber auch besonders ehrgeizige, perfektionistische Mädchen aus behütenden Elternhäusern dafür anfällig sind. Meist kann außerdem ein schwieriges Lebensproblem als Auslöser dingfest gemacht werden. Die Magersucht muss von der Bulimie unterschieden werden, bei der regelrechte Fressanfälle mit anschließendem gezieltem Erbrechen "ungeschehen" gemacht werden. Menschen mit Ess-Brech-Sucht fallen sozial weniger auf, weil sie meist nicht untergewichtig sind.

Magersucht definieren Mediziner dagegen unter anderem anhand des Körpergewichts: Die Betroffenen haben einen Body-Mass-Index (BMI) von weniger als 17,5. (Um diesen Wert zu errechnen, wird das Gewicht in kg durch die Körpergröße in Quadratmetern geteilt.) Viele Models kommen dieser Grenze gefährlich nahe, weshalb es immer wieder Spekulationen über die Magersucht von Stars gibt. Tatsächlich haben sich die Schlankheitsideale in den letzten 80 Jahren merklich verändert: Lag der BMI amerikanischer Schönheitsköniginnen im Jahr 1920 noch bei 22, so ist er zum Jahrtausendwechsel schon auf unter 18 gesunken. Auf jeden Fall sind Warnungen davor, jungen Mädchen bevorzugt dünne Models als Vorbilder anzubieten, immer wieder laut geworden, seit Ende der 60er in England Twiggy im Minirock Furore machte. In einer Lebensphase, in der Mädchen sich mit ihren wachsenden weiblichen Rundungen erst anfreunden müssen, können solche Idole tatsächlich krank machen.

Den Patienten ernst nehmen

Da bei Männern der Body-Mass-Index höher liegt und durch Training auch Muskelmasse aufgebaut wird, fällt der Gewichtsverlust der Umgebung oft nicht so schnell auf. Entsprechend länger dauert es, bis die Störung therapiert wird, wenn es überhaupt dazu kommt.

Die Münchner Psychologin und Anorexie-Expertin Monika Gerlinghoff legt bei der Behandlung, für die neben Psychotherapie und Schulung der Wahrnehmung des eigenen Körpers auch die Zubereitung der Mahlzeiten auf dem Programm steht, vor allem Wert auf eines: Nichts geht, wenn die Patienten nicht als "Experten der eigenen Krankheit" ernst genommen werden.

Adelheid Müller-Lissner

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