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Inga Anush

© dpa

Eurovision Song Contest: Wieder mal für Deutschland nichts zu holen

Norwegen hat beim Eurovision Song Contest abgeräumt - mit einem herzigen Naturburschen. Deutschland landete trotz viel Gedröhns nur auf Platz 20. Wie sollen wir's beim nächsten Mal versuchen: Irgendwas mit Bauchtanz und Lederhose, Zithergezupf zum Technogehämmer?

Europa hat den Superstar gesucht, und es hat einen herzigen, fiedelnden Naturburschen bekommen, einen in Norwegen aufgewachsenen Weißrussen mit allerhöchstem Schwiegermutterfaktor, dem zum richtigen Zeitpunkt ein flottes Lied eingefallen ist, das auch beim zweiten Hören noch nicht völlig nervt - das hätte entschieden schlimmer kommen können. Alexander Rybak, 23, hat den Eurovision Song Contest 2009 mit 387 Punkten gewonnen, das war am Ende fast doppelt so viel, wie die blonde isländische Elfe Johanna auf Platz zwei zusammenbekam; die Wettbewerbsstatistiker werden uns sagen können, ob es einen solchen Vorsprung schon einmal gegeben hat, es ist auf jeden Fall ein außergewöhnlicher Start-Ziel-Sieg gewesen.

Deutschland kann in diesem Wettbewerb momentan nichts stemmen. Ein 20. Platz mit 35 Gnadenpunkten, die irgendwie nebenbei aus dem alten Westen anstrandeten, aus England, Dänemark, Norwegen, das war der verdiente Lohn für die passable, aber gesichtslose Swingnummer von "Alex swings, Oscar sings" , vor allem aber für den obercleveren Versuch, mit viel Gedröhn eine stark gepuderte Star-Stripperin auftreten zu lassen, die dann nicht strippte, eine Art Show-Derivat, das mehrere zehntausend Euro Honorar im Nichts verschwinden ließ wie ein faules Wertpapier. "Wir sind ein geiles Land", rief Produzent Alex Christensen kurz vor dem Auftritt in die ARD-Kamera, "man sieht, wie toll wir entertainen können", das wird er so wohl nicht wiederholen wollen.

Bitte, auch andere teure Wechsel sind bei der Moskauer Show geplatzt, damit stand Deuschland nicht allein. Weder zog die französische Idee, eine etablierte Chanteuse wie Patricia Kaas einfach auf die Bühne zu stellen und sie das singen zu lassen, was sie ohnehin immer singt, noch hatten die Engländer den ganz großen Erfolg mit dem Versuch, den überlebensgroßen Andrew Lloyd Webber einzuspannen. Der hat mit seinen klebrigen Plaste-Opern schon das ganze Musical-Genre versaut, da mag ihm nicht auch noch den Song Contest schenken, egal, wer seine ausführendes Gesangsorgan ist (es war eine Jade Ewen).

Hüftschwung à la Shakira als Allzweckwaffe

Moskau hat den angeblich 100 Millionen Zuschauern eine perfekte Show geschenkt, das ist wahr. Es hat nie eine größere Bühne für diesen Wettbewerb gegeben und nie mehr Pyrotechnik, es knallte und zischte und dröhnte ohne Unterlass, und das war auch gut so, denn diese Weltklasse-Wundertüte lenkte wunderbar von der wie üblich dürftigen musikalischen Qualität der Veranstaltung ab. Die Contest-Beauftragten der meisten Länder, zumal im Südosten Europas, glauben offensichtlich, dass sie am sichersten mit dem Versuch gehen, hysterische Tanznummern mit viel Hüftschwung à la Shakira zu komponieren und sie dann mit Getrommel und Gefiedel und Geflöte landsmannschaftlich einzufärben. Das Ergebnis klingt meist wie das, was am Schlesischen Tor an der Ampel aus dem tiefergelegten BMW dröhnt, aber bitte, es hat ein paar Mal funktioniert. Aserbaidschan brachte es damit auf den dritten Platz, Hadises "Düm Tek Tek", Bauchtanz aus der Türkei, war auch ganz erfolgreich, erfolgreicher jedenfalls als der moldawische Volkstanz, in dessen Verlauf viel "Hoi, hoi!" gerufen wurde, erfolgreicher auch als die Spanierin Soraya Arnelas, die türkischer als die Türken klang und schon wegen dieser Grenzüberschreitung ziemlich weit hinten endete - aus Spanien erwarten die Leute irgendwas mit Gitarrengeschrammel und knallenden Absätzen, da darf man sich als Kreativer keine Illusionen machen.

Moskau war auch die Rückkehr zur Normalität in stilistisch-geschmacklicher Hinsicht, keine Schockrocker, keine albern-ironische Selbstreflektion, nur Pathos, Pathos, Pathos. Die Albaner stellten ihrer 16jährigen Sangeselfe im Tütü einen grünen Spiderman an die Seite, das war schon der Höhepunkt der Schrägheit, na, vielleicht noch der ukrainische Versuch, der erotisch hochgefönten Sängerin Svetlana Loboda römische Gladiatoren zu spendieren, die sich erst aus einer kardanischen Aufhängung befreien mussten, um sich dann ans Gemächt zu greifen. Die Russen selbst schickten eine regungslose Anastasia auf die Bühne, die eine weiße Gardine um die Schultern trug und um ihre Mama weinte, schriller, immer schriller, bis sie schließlich, um mit Dieter Bohlen zu sprechen, klang wie Kermit, wenn hinten einer drauftritt - das blieb wie die anderen ähnlich konzipierten Nummern irgendwo im Mittelfeld hängen

Nicht mehr mitmachen?

Die gängigen Verschwörungstheorien haben in diesem Jahr kaum neue Nahrung erhalten. Bekanntermaßen stimmen Länder gern für ihre Nachbarländer, zwölf Punkte bekamen Kroatien von Bosnien/Herzegowina von Kroatien, Griechenland von Albanien, Rumänien von Moldawien und so weiter, das ist normal, und es erklärt nicht, warum Norwegen, das Land fast ohne Nachbarn, dann doch von fast allen die meisten Stimmen bekommen hat. Auch Deutschland wurde vor allem aus der Nachbarschaft bedacht, sechs Punkte kamen aus Norwegen, da scheint sich ein Band der Sympathie herüberzuranken, das vielleicht nützlich sein kann, wenn der nächste Contest in Oslo stattfindet. Sämtliche Titel des Jahres 2009 werden dann, wie immer, in Vergessenheit geraten sein, auch das ist gut, und die deutschen Verantwortlichen haben ein Jahr Zeit, neu nachzudenken. Nicht mehr mitmachen? Irgendwas mit Bauchtanz und Lederhose, Zithergezupf zum Technogehämmer? Eine Stripperin, das ist sicher, werden wir in den nächsten hundert Jahren nicht mehr ins Rennen schicken. 

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