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Exorzismus

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Exorzismus: Vom Leibhaftigen besessen

30 Jahre distanzierte sich die Kirche - bis jetzt. Das Bistum Paderborn hat drei Fälle von Exorzismus zugegeben. Ändert die katholische Kirche nun ihre Haltung?

Nicht nur in Italien, Polen und Frankreich, auch in Deutschland glauben immer mehr Menschen, dass sie vom Teufel besessen sind. Vergangenes Jahr hätten sich rund 350 Personen bei ihm gemeldet, sagt der Theologe, Psychotherapeut und Pater Jörg Müller aus Freising. Damit gerät ein Thema in die Schlagzeilen, von dem man dachte, es habe im aufgeklärten Deutschland keinen Platz mehr: der Exorzismus in der katholischen Kirche.

Vor über 30 Jahren starb im fränkischen Klingenberg die 23-jährige Studentin Anneliese Michel nach einer Serie von Exorzismen. Wegen fahrlässiger Tötung wurden die beiden Exorzisten und die Eltern der jungen Frau zu sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Der Schock saß tief. Die Deutsche Bischofskonferenz distanzierte sich danach von der Praxis der Teufelsaustreibung, seitdem wurden keine Fälle von großen Exorzismen in den deutschen Bistümern mehr bekannt.

Am Montag gab nun aber das Erzbistum Paderborn zu, dass es in den vergangenen acht Jahren drei Fälle von kirchlich begleitetem Exorzismus gegeben habe, zuletzt 200. 18 Anfragen seien ernsthaft geprüft worden. Anfang der Woche förderte zudem eine Sendung des Bayerischen Rundfunks und des WDR zutage, dass in den vergangenen Jahren in Bayern immer wieder Exorzismen gebetet wurden, angeblich auch mit Zustimmung von Bischof Walter Mixa, dem früheren Bischof von Eichstätt und heutigen Bischof von Augsburg.

Die Betroffenen seien „seelisch höchst notleidende Menschen“, sagt Ägidius Engel, der Paderborner Bistumssprecher. Mit einem Exorzismus könne ihnen unter Umständen geholfen werden. Die Befreiung vom Bösen gehöre seit 2000 Jahren zur Praxis der Kirche, auch Jesus habe Dämonen ausgetrieben. Die meisten Menschen würden sich aber unter Exorzismus falsche Vorstellungen machen. „Es handelt sich lediglich um eine Abfolge von Gebeten, mit denen der Exorzist Gott um Hilfe und um Befreiung vom Bösen bittet“, sagt Engel. Nur Gott könne vom Teufel befreien, nicht der Exorzist. „Alles andere wäre Aberglaube und Schamanismus.“ Außerdem würden Ärzte und Psychologen konsultiert. Erst wenn sie bescheinigen, dass keine psychische Störung vorliege, erlaube der Bischof den „Befreiungsdienst“, der ebenfalls unter Aufsicht von Ärzten stattfinde.

„99 Prozent derjenigen, die meinen, vom Teufel besessen zu sein, sind psychisch krank“, sagt Jörg Müller aus Freising. Er gehört dem „Münchner Kreis“ an, einer bundesweit einmaligen Anlaufstelle von Theologen, Psychologen und Ärzten, bei denen Menschen Rat suchen können, die meinen, Probleme mit Dämonen zu haben.

Bei vielen, die anfragen, stelle sich heraus, dass sie in der Kindheit sexuell missbraucht worden seien, sagt Müller. Viele spalten die dadurch entstandenen Ängste später ab. In großen Stresssituationen kämen sie wieder hoch, schlechte Stimmung schlage in Stimmen um, die diese Personen dann hören. Manche würden auch aus Bequemlichkeit um einen Exorzismus bitten, weil sie denken, dass sie dadurch ihre Probleme schneller loswerden als mit Hilfe einer langwierigen Psychotherapie. Aber hin und wieder gebe es doch Menschen, die außergewöhnliche Symptome zeigten, sagt Müller und schildert den Fall einer Witwe, die davon überzeugt war, dass ihr verstorbener Mann im Haus spukt. Auch Gäste bestätigten, das es in dem Haus polterte und Gegenstände von den Wänden fielen. Dann aber habe sich herausgestellt, dass nicht etwa der tote Gatte dahintersteckte, sondern dass die Witwe selbst kraft ihrer geistigen Energie diese seltsamen Dinge bewirkt hatte. „Unsere Psyche ist zu unglaublichen Leistungen fähig“, sagt Müller. Jetzt mache die Frau eine Psychotherapie und der Spuk im Haus habe nachgelassen.

Dennoch sagt aber auch Jörg Müller: „Nicht alles auf dieser Welt ist erklärbar. Wir können weder beweisen, dass es Dämonen gibt, noch, dass es keine gibt.“ Jemandem von vornherein zu sagen, du bist bekloppt, so simpel sei es eben nicht. Letztlich bewege man sich in einer Grauzone. Und manchmal könne ein Befreiungsgebet durch einen Priester eben doch helfen.

Die Bistümer Eichstätt, Würzburg und München beeilten sich gestern, klarzustellen, dass sie in den vergangenen Jahren keine großen Exorzismen genehmigt hätten. Bischof Mixas Sprecher verwies auf die Schweigepflicht der Seelsorger. Im Berliner Erzbistum soll es einen Pfarrer geben, der regelmäßig beim Kardinal um die Erlaubnis bitte, Exorzismen beten zu dürfen. Der Kardinal habe das stets abgelehnt, sagte sein Sprecher, und auf die Hilfe von Psychologen verwiesen.

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