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Abora III

© dpa

Expedtition: Mit dem Schilfboot in die Steinzeit

Ein deutsches Team bereitet in den USA eine kühne Atlantik-Überquerung mit einem Schilfboot vor. Die Expedition in Heyerdahl-Tradition fordert die Archäologie heraus: Haben Menschen vor mehr als 10.000 Jahren bereits Seehandel über den Atlantik hinweg betrieben?

Zehn Tonnen Schilf, ein kühner Plan und viel Vertrauen in die Gnade des Wetters: Viel mehr haben Michael Polzin und seine deutschen Abenteurer-Kollegen nicht dabei, wenn sie am Mittwoch vor New Yorks Wolkenkratzerkulisse auf dem Schilfboot "Abora III" zu einer der gewagtesten Atlantik-Überquerungen aller Zeiten aufbrechen. Mit ihrer Fahrt auf der prähistorischen Nussschale wollen die zwölf Seefahrer beweisen, was Fachleute bislang für unmöglich halten: Dass die Menschen der Steinzeit vor mehr als 10.000 Jahren bereits Seehandel über den Atlantik hinweg betrieben. Unter den wissenschaftlichen Ehrgeiz mischt sich Nervenkitzel. "Ein Rest an Sorge bleibt", gibt Bordmechaniker Polzin zu. "Jeder hier hat sie."

Nur zwölf mal drei Meter misst die "Abora III". Ein 60 Quadratmeter großes Leinensegel fängt den Wind auf, der die Abenteurer in etwa sechs Wochen übers offene Meer bis auf die portugiesischen Azoren und dann weiter ans spanische Festland führen soll. Einen Motor gibt es nicht. Nur 14 hölzerne Seitenschwerter sollen dabei helfen, gegen den Wind zu kreuzen und die Richtung zu halten. Organisationschef Michael Grünert macht sich Mut: "Das Boot ist fest geknüpft, es kann weder auseinanderbrechen noch kentern." Grünerts größte Sorge ist ein Zusammenprall mit einem der Kolosse der Ozeane: "Moderne Containerschiffe sind riesengroß, die sehen uns nicht auf ihrem Radar."

14.000 Jahre alte Bilder

Zusammengetrommelt hat das Team der Chemnitzer Botaniker Dominique Görlitz, der sich selbst als "Experimentalarchäologe" bezeichnet. Mit dabei sind unter anderem der Segellehrer Polzin, der Unternehmensberater Grünert, ein Ingenieur, ein Makler und zwei Studenten. "Ich hoffe, den ultimativen Beweis zu erbringen, dass bereits in der Vorzeit eine hoch entwickelte Seefahrt existierte", sagt Görlitz. Er glaubt, auf steinzeitlichen Höhlenmalereien in Spanien und Frankreich Hinweise auf eine transatlantische Handelsroute gefunden zu haben. Auf den Bildern, die bis zu 14.000 Jahre alt sind, entdeckte er auch die Seitenschwerter, deren Funktionstüchtigkeit er nun mit der "Abora III" unter Beweis stellen will.

Wenn es nach Görlitz geht, sollen diese Navigationsbretter die Archäologie revolutionieren: Denn bislang galt es nur als denkbar, dass primitive Schilfboote allenfalls mit dem Wind von Europa nach Amerika gelangen konnten, nicht aber zurück. So segelte der norwegische Abenteurer Thor Heyerdahl 1970 mit dem Papyrusboot "Ra II" über den Atlantik nach Amerika. Heyerdahl ließ sich vom Wind treiben, von den Seitenschwertern auf den Höhlenbildern wusste er nichts. Auf dem Rückweg nach Europa muss aber gegen die vorherrschende Windrichtung gesegelt werden, was Fachleute den Steinzeitseglern nicht zutrauen wollen. Die "Abora III"-Crew will nun den Gegenbeweis antreten.

Transatlantischer Handel vor Kolumbus

Das Team nimmt die Skepsis etablierter Wissenschaftler als Ansporn. "Es hat schon lange vor den Wikingern und Kolumbus transatlantischen Handel gegeben", ist Grünert überzeugt. "Wir wollen unsere Daten den Wissenschaftlern vorlegen und dann sagen: 'So ist es gewesen.'" Fünf Jahre lang bereitete sich das Team vor. Grünert schätzt die Kosten auf 750.000 Euro. Viel davon stamme aus den Taschen der Crew, der größte Teil sei geliehen. Teile des Boots wurden von bolivianischen Indianern am Titicaca-See geknüpft. Dort hatte bereits Heyerdahls Projekt für die legendäre Pazifik-Überquerung mit dem "Kon-Tiki"-Floß im Jahr 1947 seinen Anfang genommen. Das "Abora III"-Team feilt bis zuletzt an dem Boot. "Es gibt Nachtschichten, Stress, Überstunden", berichtet Polzin. "Dieses Abenteuer wollte ich mir aber nicht entgehen lassen."

Peter Wütherich

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