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Die bange Frage nach dem Untergang: Wie viele Menschen haben es nicht geschafft, das sinkende Schiff noch zu verlassen?

© dpa

Update

Fährunglück vor Südkorea: Stellvertretender Schulleiter erhängt sich

Nach dem Untergang der südkoreanischen Fähre "Sewol" wurden bislang 28 Leichen aus dem Wasser geborgen. Der stellvertretende Direktor, der die Schüler begleitete und gerettet wurde, hat sich erhängt.

Der stellvertretende Direktor, der die südkoreanischen Schüler auf ihrer verhängnisvollen Ferienfahrt zur Insel Jeju begleitete, hat sich in der Hafenstadt Jindo vor einer Sporthalle erhängt. Dort halten sich Angehörige von Schülern auf, die auf Nachrichten warten. Der 52-jährige Pädagoge hatte die Katastrophe überlebt. Der Lehrer Kang Min Kyu sei auf der Insel Jindo an einem Baum hängend gefunden worden, berichtete die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap am Freitag. Er habe keinen Abschiedsbrief hinterlassen, teilte die Polizei mit.

Am Wrack des südkoreanischen Fährschiffs „Sewol“ suchen die Rettungsmannschaften unterdessen weiter nach Überlebenden. Zwei Tage nach dem Untergang der „Sewol“ sei es Tauchern am Freitagvormittag (Ortszeit) erstmals gelungen, bis ins Innere des Wracks vorzudringen, berichtete der südkoreanische Rundfunksender KBS unter Berufung auf einen Krisenstab der Regierung. Es sei damit begonnen worden, Luft ins Innere der Fähre zu pumpen. Bisher wurden 28 Leichen aus dem Wasser gezogen.

Vor allem Angehörigen der vermissten Insassen hoffen nach wie vor, dass Überlebende gefunden werden können. Es wird befürchtet, dass im Rumpf der mehrstöckigen Fähre ein Großteil der über 470 Insassen eingeschlossen wurde. Mehr als 300 Passagiere waren Oberschüler auf einem Ausflug. Fast 180 Insassen konnten gerettet werden, 270 Menschen gelten als vermisst.

Einige der Passagiere könnten Experten zufolge den Untergang zunächst in einer Luftblase überlebt haben. Allerdings sei es angesichts der niedrigen Wassertemperatur und des schwindenden Sauerstoffs schwierig, darin mehr als zwei Tage zu überleben. Familien von vermissten Insassen richteten unterdessen schwere Vorwürfe gegen die Regierung. In einer Erklärung warfen sie ihr vor, nicht genug für die Rettung von möglichen Überlebenden zu tun. „Unsere Kinder schreien im eiskalten Wasser nach Hilfe, bitte helft ihnen“, hieß es laut der nationalen Nachrichtenagentur Yonhap in einer Erklärung der Familien. Viele Angehörige befinden sich in der Nähe der Unglücksstelle auf der Insel Chindo. Seit Mittwoch standen mehr als 500 Taucher zum Einsatz bereit. Allerdings waren die Bergungsarbeiten von schlechtem Wetter und der starken Strömung erschwert worden. Auch waren 150 Schiffe und fast 30 Flugzeuge im Einsatz.

Am Freitag wurden zwei riesige Schwimmkräne von Werfthäfen in die Nähe der Unglücksstelle gebracht. Weitere sollen folgen. Experten diskutierten noch darüber, wie das Wrack am besten gehoben werden könnte, berichtete der staatliche Sender Arirang. Auch ein Schwimmdock könnte zur Unglücksstelle gebracht werden. Auch war Kritik an Kapitän und Besatzung der Unglücksfähre laut geworden. Überlebende erklärten, es hätten mehr Passagiere gerettet werden können, wenn das Schiff früher evakuiert worden wäre.

Die harvierte Fähre „Sewol“ wurde Ermittlern zufolge zum Unglückszeitpunkt nicht vom Kapitän, sondern vom Dritten Offizier gesteuert. Kapitän Lee Jun Seok habe die Schiffsführung an den Offizier mit nur einem Jahr Erfahrung übergeben, bevor das Schiff zu sinken begonnen habe, teilte ein Ermittlerteam aus Staatsanwaltschaft und Polizei am Freitag mit. Wo sich Lee zum Unglückszeitpunkt befand, war zunächst unklar.

Gerettete Frauen warten in Wolldecken gehüllt darauf, fortgebracht zu werden.
Gerettete Frauen warten in Wolldecken gehüllt darauf, fortgebracht zu werden.

© AFP

Die Konfusion ist groß auf Jindo, wo der Großteil der Geretteten vorübergehend in einer Turnhalle untergebracht wurde, während Verletzte per Helikopter in nahegelegene Krankenhäuser, wie das Mokpo Hankook Hospital, ausgeflogen wurden. Laut Berichten zählen Knochenbrüche und Verbrennungen zu den häufigsten Verletzungen. An den Rettungs- und Bergungsoperationen beteiligt sind neben der Küstenwache, der Polizei und der Feuerwehr auch Spezialeinheiten der südkoreanischen Marine und der Luftwaffe, so wie eine amphibische Marineeinheit der US-Navy mit zwei Helikoptern, die zufällig zu diesem Zeitpunkt bei einer Routinepatrouille an Südkoreas Westküste unterwegs war.

Über die Unfallursache gibt es bisher nur Spekulationen

Die „Sewol“ war auf dem Weg von Incheon nach Jeju – eine Routinefahrt, die Ausflügler und Urlauber auf die beliebte Ferieninsel Jeju bringen sollte. Auf der Passagierliste stehen mehr als 330 Schüler und Lehrer der Danwon High School aus Ansan, einer Satellitenstadt südwestlich von Seoul. Die Gruppe befand sich auf der Hinreise zu ihrem Schulausflug nach Jeju.

Über die Unfallursache gibt es bisher nur Spekulationen. Es wird vermutet, dass die 146 Meter lange, 22 Meter breite „Sewol“ entweder mit einem Felsen oder einem anderen Schiff kollidierte. Doch diese Theorien werfen viele Fragen auf. Die „Sewol“ war zwar am Dienstagabend in Incheon bei dichtem Nebel gestartet, doch waren die Sichtverhältnisse am Unglücksort wesentlich besser. Experten weisen auch darauf hin, dass es in den Gewässern um die Insel Jindo kein Unterwasserriff gibt.

Das Schiff war nicht von seinem regulären Kurs abgewichen und auch technisches Versagen des 1994 in Japan gebauten Schiffes ist unwahrscheinlich, da die „Sewol“ erst zwei Monate vor dem Unfall einer Sicherheitsprüfung unterzogen worden war und keinerlei Mängel festgestellt werden konnten.

Gefährliche Folgsamkeit

Überlebende berichten, dass sie einen lauten Knall hörten, bevor das Schiff plötzlich kippte. Kritik wird laut an dem Krisenmanagement der Besatzung, denn Durchsagen riefen die Passagiere zunächst auf, Ruhe zu bewahren und das Schiff nicht zu verlassen. Wer diesen Rat befolgte, saß möglicherweise in der Falle und könnte die Folgsamkeit mit dem Leben bezahlt haben. Bisher ist unklar, warum diese Anweisung gegeben wurde. Viele der Vermissten hielten sich zum Unfallzeitpunkt mit größter Wahrscheinlichkeit im unteren Bereich des Schiffes auf, wo sie in den Restaurants frühstückten oder im Unterhaltungsbereich Computerspiele spielten.

Besatzung könnte Situation unterschätzt haben

Beobachter vermuten, dass die Besatzung die Situation unterschätzt und nicht damit gerechnet habe, dass das Schiff innerhalb von nur zwei Stunden sinken würde. Lee Gyeong-og, der Vizeminister für Sicherheit und öffentliche Verwaltung, betonte unterdessen, dass der Schwerpunkt auf den Rettungsoperationen liege und dass Nachforschungen über die genaue Unfallursache stattfinden können, wenn die Rettungsarbeiten abgeschlossen seien. (mit dpa/rtr)

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