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Stilles Gedenken. Eine freiwillige Helferin trauert an einem provisorischen Schrein vor der Schule in Ansan, welche die meisten Opfer des Fährunglücks besuchten.

© AFP

Fährunglück in Südkorea: Eine Nation hilft sich selbst

Bei der Rettung der Passagiere von der Fähre "Sewol" haben Crew, Küstenwache und Feuerwehr versagt. Umso beeindruckender ist die Hilfsbereitschaft vieler Südkoreaner, die von dem Unglück nur mittelbar betroffen sind.

Woo Gyung-tae winkt Autos durch die Trasse und zieht ein ernstes Gesicht. Neben ihm gehen zwei Polizistinnen hin und her, kontrollieren den Zugang zum Gedenkpark. Sie wollen eine Atmosphäre der Sicherheit erzeugen. Dem schlanken Mann mit Basecap gefällt das nicht. Eine Familienangehörige hat er verloren, vor gut zwei Wochen auf der versunkenen Fähre "Sewol" in Südkorea. Wegen dieser Schülerin und wahrscheinlich weiterer rund 300 Todesopfer wurde die Trauerstätte, wo Woo Gyung-tae arbeitet, überhaupt erst errichtet. Sie liegt in Ansan, einem Vorort der Hauptstadt Seoul, wo die meisten Opfer zur Schule gingen. „Was sollen die Polizisten hier?“, flüstert Woo mit fragendem Blick. „Wir Freiwilligen können das alles auch allein. Sieht man doch“, sagt er, als die beiden Damen in gelber Leuchtuniform gerade wegschauen.

Dann verrät er etwas: „Wir Koreaner sind die schlechteste Nation der Welt, wenn es ums Retten und Schützen von Leben geht. Aber wir sind die weltweit besten freiwilligen Helfer.“ Woo Gyoung-tae bekommt kein Geld dafür, dass er schon kurz vor acht Uhr morgens an der Abfahrt einer Schnellstraße steht, um die Autos trauender Koreaner einzuweisen. „Ich will mich nützlich machen, in diesen Tagen der nationalen Trauer brauchen wir das.“ Am 16. April ereilte Südkorea die Tragödie, als die Fähre "Sewol" mit 475 Passagieren sank. Die Schiffscrew und auch die Rettungsdienste um Küstenwache und Feuerwehr erwiesen sich als zu wenig hilfreich, um die im Schiff gefangenen Personen zu retten.

Immer neue Pannen bei der Rettungsaktion werden bekannt

Die Wut der Nation ist riesig. Seit Beginn der Katastrophe, die noch immer nicht ausgestanden ist, weil weiterhin täglich nach Körpern getaucht wird, berichten die Medien rund um die Uhr von traurigen und empörenden Neuigkeiten. Immer wieder kommen auch Nachlässigkeiten der öffentlichen Stellen ans Licht. So war es etwa ein Schüler auf dem Schiff, der noch vor der Crew die Schieflage bemerkte. Aber die Feuerwehr zögerte mit der Weitergabe der Information. Die Küstenwache fragte dann zunächst die Koordinaten des Schiffs ab, worauf der jugendliche Anrufer nichts zu sagen wusste.
Andererseits ist der Umgang der Zivilgesellschaft mit der Katastrophe bemerkenswert. In Jindo, dem größten Ort der gleichnamigen Insel im Süden des Landes, wo sich die Familien der Opfer eingerichtet haben, um wenigstens auf die Körper ihrer Nächsten zu warten, entstand in den ersten Tagen nach dem Unglück eine Siedlung. In der Turnhalle des Ortes schlafen die Hunderten von Angehörigen. Mit ihnen leben ungefähr genauso viele Freiwillige, die für die Leidenden Essen kochen, Blutdruck messen, beten, psychologische Unterstützung anbieten.

Angestellte nehmen sich frei, um beizustehen

20 Kilometer von Jindo entfernt, direkt an der Küste, bietet sich ein ähnliches Bild. Täglich kommen hier Boote von der See an, wo die "Sewol" auf Grund ging, nicht selten bringen sie geborgene Leichen mit. Um die mentale Last für die Familien nicht noch schwerer werden zu lassen, stehen Getränke, warme Gerichte und Süßigkeiten bereit, davon eher zu viel als zu wenig. Helfende Hände sind überall, Ärzte, Krankenschwestern, Studenten. Angestellte haben sich freigenommen, um beizustehen.

Taxifahrer bieten Gratistouren an

Wie auch in Seoul und dem Vorort Ansan, wo im Zehnminutentakt ein Shuttleservice zu den Trauerstätten fährt, kann man auch im Süden gratis zwischen Jindo und der Küste pendeln. Mehrere Taxifahrer haben Menschen sogar von der Hauptstadt Seoul bis in den Süden gebracht, gratis, auf einer Strecke von rund 350 Kilometern. An den Gedenkstätten in Seoul, Ansan und Jindo begleiten zahlreiche Personen die Trauerzüge, verbeugen sich vor den Besuchern aus Dank für das Kommen, obwohl viele von ihnen selbst nicht direkt beteiligt sind. Allein in Seoul kommen 12 000 Menschen pro Tag, um Blumen niederzulegen. „Das einzig Schöne hier ist die Hilfe der Leute“, sagt der Feuerwehrmann Lee Tong-hyun an der Küste im Süden. Seine Aufgabe ist es, verweste Körper in die Heimat zu transportieren. Vor 20 Jahren habe er schon einmal einen Schiffsuntergang begleitet, damals starben 292 Menschen. Durch den vermeidbaren Tod, den die Passagiere hier starben, sei der Untergang der "Sewol" aber die wesentlich schlimmere Tragödie, sagt er.

„Wer wäre sonst hier, wenn nicht wir einfachen Leute?“, fragt Hwang Seonhee, eine Sozialarbeiterin, die an der Küste Essen ausgibt und für ihren Einsatz ihren Urlaub gestrichen hat. „Die Regierung jedenfalls nicht.“ Von mehreren Seiten kommen Rücktrittsforderungen an die Präsidentin Park Geun-hye. Am Dienstag besuchte Park das Trauergeleit im Seouler Vorort Ansan. Nachdem sie dort einen Kranz im Saal niedergelegt hatte, verließ sie die Halle wieder. Und kurz darauf ordneten Angehörige der Verstorbenen an, ihren Kranz zu entfernen. „Die Entschuldigung der Präsidentin ist unangemessen“, sagte eine Vertreterin der Angehörigen. Schließlich habe Park sich nicht einmal persönlich verbeugt, wie es standesgemäß gewesen wäre, sondern bloß eine Stellungnahme schicken lassen. Der Sprecher von Präsidentin Park, Min Kyung-wook, beteuerte postwendend, die Regierungschefin habe ihre Geste ehrlich gemeint.

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