zum Hauptinhalt

Fall Jessica: "Ich habe es nicht geschafft"

Sie spielte nicht mehr mit ihrer Tochter, ging trotz massiver Probleme des Kindes nicht zum Arzt und suchte auch keine Beratungsstelle auf. Die Mutter der kleinen Jessica hat heute die Schuld am Tod der Siebenjährigen eingestanden.

Hamburg (30.08.2005, 16:00 Uhr) - Vor dem Hamburger Landgericht sagte die 36-Jährige auf die Frage des Richters, wo sie ihre Schuld ansiedele und was sie falsch gemacht habe: «Alles». Zuvor hatte die Frau eine jahrelange Vernachlässigung ihrer Tochter zugegeben.

«Es war mir nicht möglich, ich habe es nicht geschafft», meinte sie. Das Kind sei nie in einen Kindergarten gegangen. «Weil es mit der Sprache immer schlimmer wurde, wollte ich sie auch nicht in der Schule anmelden», sagte die Mutter. Jessica habe seit dem Jahr 2003 ihr Aussehen und ihr Verhalten geändert. «Sie hat sich total zurückgezogen und wieder in die Hosen gemacht, aber richtig trocken war sie nie.» Jessica lebte monatelang in einem Zimmer ohne Licht, die Fensterscheiben waren mit Folie zugeklebt, die Rahmen fest verschraubt. Die Kleidung war mit Kabelbindern festgezurrt, weil sich Jessica nach den Worten ihrer Mutter immer ausziehen wollte.

Die Anklage wirft Jessicas Mutter und ihrem Lebensgefährten vor, die gemeinsame Tochter durch böswillige Verletzung der Fürsorgepflicht umgebracht zu haben. Zuletzt wurde das Mädchen ohne ausreichend Nahrung und Wasser in dem verdunkelten Zimmer wie in einem Gefängnis gehalten und starb vor etwa einem halben Jahr. Jessica hatte nach Aussage der Mutter nie allein essen können und musste immer gefüttert werden. Zwei Wochen vor seinem Tod habe das Kind dann «nicht mehr richtig gegessen, das Trinken hat sie total verweigert», sagte die 36-Jährige.

Der ebenfalls angeklagte Vater Jessicas sagte vor Gericht nicht aus. Der Vorsitzende Richter Gerhard Schaberg verlas am Dienstag das Protokoll einer polizeilichen Vernehmung. Damals hatte der 49 Jahre alte Angeklagte gesagt, er habe sich «seit Dezember 2004 um Jessica nicht weiter gekümmert». Sie habe ihn abgelehnt. «Ende Januar 2005 habe ich sie zuletzt lebend gesehen». Das Kind habe auf seinem Bett im Kinderzimmer gelegen. Die Mutter habe auf seine Nachfrage erklärt, Jessica habe eine Grippe.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 49-Jährigen vor, er habe zudem versucht, Jessica mit einer Stromfalle in ihrem verdunkelten Verlies zu töten. Nach Aussage seiner Lebensgefährtin fehlte die Abdeckung am Lichtschalter bereits vier bis fünf Wochen vor dem Tod des Kindes, an einen heraushängenden Draht unter Strom könne sie sich nicht erinnern. «Den Schalter hat Jessica kaputt gemacht», sagte die 36-Jährige. «Es fällt mir sehr schwer, das zu glauben», entgegnete ihr der Richter.

Der Verhandlungstag begann mit Aussagen von Jessicas Mutter zur eigenen Kindheit. Ihren Vater habe sie nie kennen gelernt, die Mutter sei «immer betrunken» gewesen. «Besonders schlimm war, als der Onkel mich angefasst hat», sagte die 36-Jährige. Der Großonkel der Angeklagten und Lebensgefährte der Mutter habe sie erstmals «betatscht» als sie acht Jahre alt war. «Das ging dann zwei, drei Jahre so. Meine Mutter hat dabei zugesehen», schilderte die Frau mit tränenerstickter Stimme.

Seit ihrem 13. Lebensjahr habe sie dann bei einer Tante gelebt. Als sie 21 war, wurde ihr Sohn Andre geboren, den sie später zur Adoption freigab. «Die Schwangerschaft habe ich vier bis fünf Wochen vor der Geburt geheim gehalten. Ich ging erst sehr spät zum Arzt. Ich wollte nicht wissen, dass ich schwanger war.» 1992 wurde der zweite Sohn Philipp geboren, 1994 die Tochter Jacqueline. Bei der Scheidung im Jahr 1996 habe sich der Vater der Kinder «das Sorgerecht erschlichen». Das Jugendamt hatte damals in einem Schreiben an das Familiengericht festgestellt, die Mutter sei mit der Erziehung der Kinder überfordert. (tso)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false