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André Bamberski (r., im Gerichtssaal mit seinem Anwalt) wollte Sühne für den Tod seiner Tochter Kalinka.

© AFP

Fall Kalinka: Milde Strafe für André Bamberski

Ein Gericht im elsässischen Mülhausen verhängt im Justizdrama um den Tod der 14-jährigen Kalinka eine milde Strafe für den leiblichen Vater André Bamberski. Er hatte 2009 den Kardiologen Dieter Krombach nach Frankreich entführen lassen, der dort anschließend zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde.

André Bamberski atmet erleichtert auf. Für den 76-Jährigen mit den weißen Haaren findet nach 32 Jahren eine Kriminalaffäre ein Ende, die zum Drama seines Lebens geworden war. Auch wenn das Urteil, das die Vorsitzende Richterin Françoise Bardoux am Strafgericht der elsässischen Stadt Mülhausen am Mittwoch verkündete, kein Freispruch für ihn ist, so mag er die Bewährungsstrafe von einem Jahr doch als solchen empfinden. Dass Wichtigste habe er erreicht, sagte er beim Verlassen des Justizpalastes. Damit meinte Bamberski die Verurteilung jenes Mannes, den er für den Tod seiner Tochter Kalinka verantwortlich macht. Dass der von der französischen Justiz verurteilte Mörder überhaupt erst vor ein Gericht kam, ist einer Entführung zu verdanken. Für diese Entführung erhielt Bamberski nun die Bewährungsstrafe – die der als „Nebensache“ bezeichnete.

Das Drama, das Bamberski, einen ehemaligen Steuerberater aus Toulouse, 32 Jahre seines Lebens kostete, begann im Sommer 1982. Seine Tochter Kalinka verbrachte damals ihre Ferien bei ihrer Mutter in Lindau, die sich nach der Trennung vom Vater mit Dieter Krombach, einem Kardiologen, verbunden hatte. Eines Tages war Kalinka, ein sportliches, lebensfrohes 14-jähriges Mädchen, mit Kopfschmerzen vom Schwimmen nach Hause gekommen. Krombach verabreichte ihr noch Kopfschmerztabletten. Um drei Uhr in der Nacht starb sie. Obwohl der Körper schon Leichenstarre aufwies, versuchte Krombach am nächsten Morgen, das Mädchen mit Injektionen in Herz und Venen wieder zum Leben zu bringen.

Kalinka starb im Alter von 14 Jahren in Lindau.
Kalinka starb im Alter von 14 Jahren in Lindau.

© dpa

Was sonst noch geschah, wurde niemals eindeutig geklärt. Die Gerichtsmediziner, die den Leichnam erst mit 60-stündiger Verspätung obduzieren konnten, wunderten sich über die vielen Einstiche. Noch größer war ihre Verwunderung über die medizinisch fragwürdigen Handlungen Krombachs. Eine eindeutige Todesursache konnten sie aber nicht feststellen. Im Genitalbereich der Leiche fanden sie einen Einriss und Blutspuren, die jedoch nach ihrer Ansicht erst nach dem Tod entstanden seien. In den Vernehmungen wartete Krombach mit immer anderen Erklärungen für sein Handeln auf. Er habe Kalinka die Eisenlösung gespritzt, weil sie sich über die mangelnde sommerliche Bräunung ihrer Haut beschwert habe. Schließlich nannte er Blutverluste infolge der beginnenden Periode Kalinkas als Grund. Genauere Untersuchungen, die Antworten auf unbeantwortete Fragen hätten bringen können, unterblieben. Die Staatsanwaltschaft in Memmingen nahm eine „vermutlich“ natürliche Todesursache an und stellte die Ermittlungen nach fünf Wochen ein.

Der Tod der Tochter ließ Bamberski keine Ruhe

Auf Betreiben Bamberskis, dem der Tod seiner Tochter keine Ruhe ließ, wurde die Leiche 1983 exhumiert und erneut untersucht. Dabei stellten die Gerichtsmediziner fest, dass die Geschlechtsteile des Mädchens aus dem Körper entfernt worden waren. Sie seien spurlos verschwunden, wurde ihnen mitgeteilt.

1987 wurde Bamberskis Klage gegen Krombach vom Oberlandesgericht München als unbegründet abgewiesen. Doch der Franzose fand sich damit nicht ab. Er strengte ein Verfahren gegen Krombach in Frankreich an, wo dieser 1995 in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft und einem Schadenersatz von 350 000 Francs verurteilt wurde. Vollstreckt werden konnte das Urteil nicht; denn eine Auslieferung Krombachs kam nach deutschem Recht nicht infrage. 2009 fand Bamberski dann einen Weg, den Schwur zu erfüllen, den er am Grab Kalinkas getan hatte: alles zu tun, um den für ihren Tod Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Drei Männer, Anton Krasniqi aus dem Kosovo, Kacha Bablovani aus Georgien und ein Dritter, von dem nur der Name Yvan bekannt ist, überwältigten Krombach vor seinem Haus, zerrten ihn in einen Minibus und transportierten ihn über die Grenze nach Frankreich. In Mülhausen legten sie ihr Opfer gefesselt und mit verbundenen Augen nachts vor dem Justizpalast ab.

Im Jahr 2012 wurde Krombach von einem Pariser Schwurgericht zu 15 Jahren Haft verurteilt. Im Verfahren kamen die Versäumnisse der deutschen Justiz, die Widersprüche Krombachs und dessen nie beanstandetes perverses Verhalten gegenüber weiblichen Patienten zur Sprache. Im April dieses Jahres bestätigte der Kassationshof als oberstes Gericht das Urteil.

Der letzte Akt des Dramas fand dann im Mai vor dem Strafgericht in Mülhausen statt. Neben Bamberski als Auftraggeber der Entführung fanden sich Anton Krasniqi und Kacha Bablovani auf der Anklagebank. Neben ihnen saß Adelheid Rinke, eine deutsche Journalistin, die den Kontakt zwischen Bamberski und den beiden Männern hergestellt hatte. Der dritte Mann, Yvan, war von der Bildfläche verschwunden. Angeklagt wegen gemeinschaftlich begangener Freiheitsberaubung, Entführung und Körperverletzung drohten ihnen Strafen von bis zu zehn Jahren. Doch im Verlauf des Verfahrens wurde bald klar, dass Bamberski Milde erwarten konnte. Seine Tat sei nicht zu akzeptieren, sagte Staatsanwalt Hervé Robin in seinem Plädoyer, aber „menschlich“ verstehe er seinen Kampf. Mit einem Jahr auf Bewährung folgte das Gericht dem Antrag des Staatsanwalts auf eine symbolische Bestrafung Bamberskis. Krasniqi und Bablovani, die sich Bamberski angedient hatten, ohne dafür, wie sie sagten, Geld zu verlangen, erhielten je ein Jahr Gefängnis ohne Bewährung. Die Vermittlerin Adelheid Rinke wurde freigesprochen.

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