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Kevin

© dpa

Fall Kevin: Tödlich verletzt, nicht ermordet

Das Gericht folgt im Urteil gegen den Ziehvater des zweijährigen Kevin aus Bremen der Sicht der Verteidigung. Der Mann muss für zehn Jahre in Haft in einer Drogenentziehungsanstalt.

Der Ziehvater des zu Tode misshandelten zweijährigen Kevin, Bernd K., nimmt das Urteil des Bremer Landgerichts ohne jede Regung entgegen: zehn Jahre Haft und Unterbringung in einer Drogenentziehungsanstalt. Das bedeutete, dass das Gericht den 43-Jährigen wegen Körperverletzung mit Todesfolge sowie Misshandlung Schutzbefohlener bestrafte, nicht aber wegen Mordes, wie der Staatsanwalt es beantragt hatte.

Kevin hatte nach dem Tod seiner Mutter Ende 2005 monatelang bei deren Lebensgefährten Bernd K. bleiben dürfen, obwohl dem Jugendamt diverse Hinweise auf Misshandlungen vorlagen. Als das Kind dann im Oktober 2006 doch noch ins Heim gebracht werden sollte, fanden die Beamten Kevins Leiche in K.s Kühlschrank. Zur Rolle der Behörden sagte der Kammervorsitzende Helmut Kellermann, es habe genug Situationen gegeben, „wo die Katastrophe hätte aufgehalten werden können“. Aber er warnte vor schnellen Schuldzuweisungen. „Mancher Handelnde oder Nichthandelnde mag sich moralisch berechtigte Vorwürfe machen.“ Doch ob sie auch strafrechtlich bedeutsam seien, habe das Gericht nicht zu beurteilen gehabt.

Dass der Angeklagte in seinem Schlusswort Reue gezeigt hatte, glaubten die Richter ihm, nicht aber seine Äußerung, er wisse nicht, wie es zu Kevins Tod gekommen sei. Allerdings konnte auch die Kammer nicht genau ergründen, wie der Ziehvater dem Kind die „mindestens 21 Knochenbrüche“ an Beinen, Armen, Rippen und Schädel sowie die Verletzungen an den Genitalien zugefügt hatte. Die schmerzhaften Misshandlungen hätten wahrscheinlich bereits acht Monate nach der Geburt begonnen.

Nach der Totgeburt von Kevins Bruder und dem Tod von K.s geliebter Lebensgefährtin, also Kevins Mutter, habe sich für K. „sein Traum zerstört vom bürgerlichen Leben“. Er habe danach weitere Übergriffe begangen. Eine „letzte Verletzungsserie“ mit fünf Brüchen habe dann Ende Juni oder Anfang Juli 2006 zu Kevins Tod geführt. Fett aus dem Knochenmark sei in die Lunge geraten, wodurch eine Fettembolie entstanden sei, bis schließlich das Herz versagt habe.

Mit seinem Urteil folgte das Gericht weitgehend dem Plädoyer der Verteidigung, die auf „maximal Körperverletzung mit Todesfolge“ plädiert hatte, ohne ein konkretes Strafmaß vorzuschlagen. Der Staatsanwalt hatte dagegen 13 Jahre Haft wegen Mordes gefordert. Der dafür nötige Tötungsvorsatz war nach Ansicht der Richter aber nicht mit nötiger Sicherheit nachzuweisen. Darüber habe die Kammer „drei Stunden gestritten und gehauen“, sagte der Vorsitzende. Gegen einen Tötungsvorsatz spreche unter anderem, dass kaum jemand wisse, dass Knochenbrüche zum Tod führen könnten.

Im Einvernehmen mit Anklage und Verteidigung schloss das Gericht eine stark verminderte Schuldfähigkeit des Täters nicht aus und verfügte die Einweisung in eine Entziehungsanstalt nach den ersten drei Haftjahren für eine voraussichtlich zweijährige Therapie. Wegen einer Gesetzesänderung von 2007 könnte der Verurteilte dann frühestens nach der Hälfte der Strafzeit, also hier nach fünf Jahren, entlassen werden – aber nur nach erfolgreicher Therapie, wie Kellermann hervorhob.

Als strafmildernd bewertete das Gericht, dass Behördenmitarbeiter „den Zug hätten aufhalten können“. Zum Schluss sprach der Vorsitzende den weitgehend regungslosen Angeklagten persönlich an: „Sie haben das Kind sogar geliebt.“ Aber was er ihm angetan habe, „ist nicht wiedergutzumachen, in keiner Weise“. Die Staatsanwaltschaft will jetzt prüfen, ob sie Revision beim Bundesgerichtshof einlegt. Auch die Verteidigung denkt wegen der Höhe der Strafe darüber nach.

Kevins Amtsvormund und der zuständige Jugendamts-Sachbearbeiter wurden mittlerweile wegen „fahrlässiger Tötung durch Unterlassen“ angeklagt. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss hatte festgestellt, dass Kevin noch leben könnte, wenn die Behörde konsequenter eingeschritten wäre. Nach dem Leichenfund war Sozial- und Jugendsenatorin Karin Röpke (SPD) sofort zurückgetreten.

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