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Fall Marco W.: Die Justiz macht Ferien

Marco W. steht in Antalya vor Gericht. Ein Urteil ist unwahrscheinlich. Eine vorzeitige Entlassung auch

Marco W. muss sich auf einen langen und heißen Sommer in der Türkei einrichten. Zwar wird der Prozess gegen den 17-jährigen Deutschen im südtürkischen Antalya am Freitag fortgesetzt; dass an diesem zweiten Verhandlungstag bereits ein Urteil fallen könnte, gilt nach Angaben aus Justizkreisen in Antalya aber als praktisch ausgeschlossen. Wahrscheinlicher ist, dass das Verfahren nach kurzer Verhandlung erneut vertagt wird. Weil wenig später die Justizferien in der Türkei beginnen, würde der Prozess dann möglicherweise erst im September fortgesetzt. Ein Urteil in dem Prozess, in dem sich der junge Deutsche wegen sexuellen Missbrauchs eines 13jährigen Mädchens aus England verantworten muss, wäre in diesem Fall erst im Herbst zu erwarten. Wenig Aussichten hat auch ein erneuter Antrag der Verteidigung auf vorläufige Freilassung des Angeklagten bis zum Abschluss des Verfahrens, zumindest was eine Ausreise nach Deutschland angeht. Im äußersten Fall könnte Marco W. nach Einschätzung von Experten gegen Auflagen freigelassen werden – darunter die Auflage, Antalya nicht zu verlassen und sich regelmäßig bei der Polizei zu melden. Viel spricht aber dafür, dass das Gericht die Fortdauer der Untersuchungshaft anordnet und Marco W. noch länger hinter Gittern bleibt.

Ein Urteil in dem Verfahren ist am Freitag schon deshalb nicht zu erwarten, weil noch zahlreiche vom Gericht angeforderte Unterlagen ausstehen. Die erste Kammer am Schwurgericht von Antalya unter Vorsitz von Richter Abdullah Yildiz hatte beim ersten Prozesstermin am 8. Juni zunächst den 17-jährigen Angeklagten angehört und dann zusätzliche Informationen angefordert, darunter aus Deutschland ein polizeiliches Führungszeugnis für Marco W. und aus England eine Aussage der 13jährigen Charlotte M.

Weil die Unterlagen auf dem Amtswege über die Außen- und Justizministerien der beteiligten Länder übermittelt und dabei immer wieder hin- und her übersetzt werden müssen, kann es viele Wochen oder gar Monate dauern, bis dem Gericht alle Informationen vorliegen. Dass bis zum zweiten Verhandlungstag an diesem Freitag schon alle Unterlagen eingetroffen sein könnten, erwarten die Richter offenbar nicht. Die zweite Verhandlung war nur deshalb auf den 6. Juli terminiert worden, weil sie nach dem türkischen Gesetz innerhalb von 30 Tagen nach der Prozesseröffnung stattfinden muss, wenn der Angeklagte in Untersuchungshaft sitzt. Charlotte M. selbst wird nach Angaben ihres Anwalts nicht zu dem Prozesstermin in die Türkei kommen.

Unwahrscheinlich ist auch, dass das Gericht die Untersuchungshaft aufhebt und Marco W. bis zum Abschluss des Verfahrens auf freien Fuß setzt. Einen Antrag der Verteidigung auf Haftentlassung hatten die Richter schon beim ersten Prozesstermin abgelehnt, weil die Fluchtgefahr offensichtlich ist – der junge Mann dürfte im Falle eines Schuldspruchs wohl kaum in die Türkei zurückkehren, um seine Strafe anzutreten. Zudem will der Anwalt der Nebenklage, der vom Gericht mit der Wahrung der Interessen der minderjährigen Charlotte M. beauftragt ist, am Freitag ausdrücklich die Fortdauer der Untersuchungshaft beantragen. Dies dürfte nach Einschätzung von Insidern auch die Chancen auf eine Haftentlassung unter Auflagen mindern. Gegen eine vorläufige Freilassung spricht zudem, dass die Vorwürfe gegen Marco W. zumindest nach Angaben des Nebenklage-Anwalts deutlich schwerer sein sollen als bisher öffentlich bekannt.

Die Anklage gegen Marco W. lautet auf sexuellen Missbrauch von Minderjährigen nach dem Paragraphen 103 des türkischen Strafgesetzbuches. Mit einer Haftstrafe von mindestens drei Jahren und höchstens acht Jahren wird danach bestraft, wer eine wie auch immer geartete sexuelle Handlung an einer Person vornimmt, die das fünfzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Das Gesetz war vor drei Jahren im Zuge der Reformen in der Türkei an europäische Normen angeglichen worden.

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