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Antalya

© dpa

Fall Marco W.: „Wir haben die Nase voll von den Schauermärchen“

Der Wirbel um Marco W. verärgert deutsche Urlauber an der türkischen Riviera – die meisten nehmen ihr Gastland in Schutz.

Schon von Amts wegen ist Rainer Korten ein eher zurückhaltender Mann. Doch wenn der katholische Pfarrer, der sich seit einigen Jahren um die stetig wachsende deutsche Kolonie in der Umgebung des südtürkischen Antalya kümmert, auf den Umgang der deutschen Öffentlichkeit mit dem Fall Marco W. angesprochen wird, dann wird er deutlich. „Die Leute hier haben die Nase voll von den Schauermärchen, die über die Türkei erzählt werden“, sagte Korten. „Da ist ein Ärger entstanden, auch bei mir.“

An die zehntausend Bundesbürger haben sich in den vergangenen Jahren an der sonnigen Südküste der Türkei und besonders in der östlich von Antalya gelegenen Stadt Alanya angesiedelt. „Kleindeutschland“ nennen die Türken die Gegend: Es gibt einen deutschen Bäcker, deutsche Zeitungen, deutsche Lokale. Alanya ist die einzige türkische Stadt mit einem Ausländerbeirat. Der Fall Marco W. sorgt in „Kleindeutschland“ für viel Gesprächsstoff. „Es gibt kein anderes Thema mehr“, sagt der aus Elmshorn stammende Ibrahim Fide, in Alanya Chef der „Prima-Immobilien“. Dabei geht es aber nicht so sehr um die Frage, was sich wirklich zwischen dem 17-jährigen Uelzener Schüler und der 13-jährigen Britin Charlotte abgespielt hat: Viele sind der Meinung, dass auch ein deutsches Gericht so gehandelt hätte, wie es die türkische Justiz getan hat.

Für Ärger sorgen unter den Deutschen an der türkischen Riviera vor allem die deutschen Reaktionen auf die Untersuchungshaft für den Schüler Marco. Die Türkei werde in den deutschen Medien als „rückständiges Land“ präsentiert, schimpft Pfarrer Korten. „Dabei haben die Leute, die hier leben, einen ganz anderen Eindruck.“ Immer noch scheine in der Bundesrepublik der Grundsatz zu gelten, „dass am deutschen Wesen alles genesen soll“, sagt der Pfarrer. „Das ist unmöglich.“

Es gibt aber auch andere Stimmen. „Völlig unglaublich, dass ein 17-jähriger wegen so einer Sache eingesperrt werden kann, zumal ja gar nicht bewiesen ist, dass er es getan hat“, sagt Nina Dajcazk, Mitarbeiterin der deutschen Zeitung „Prima Türkei“ in Alanya. Auch eine deutsche Friseurin in der Stadt berichtet, viele ihrer Kundinnen seien nicht einverstanden mit der U-Haft für Marco W. „Ich selbst sehe das anders“, sagt sie. „Wenn man in ein Land reist, muss man sich auch seinen Gesetzen unterwerfen.“Ob sie nun sauer auf die Deutschen oder auf die türkischen Behörden sind – viele Deutsche in Alanya befürchten, dass sich der Fall negativ auf die Besucherzahlen aus Deutschland auswirken werden. Schon machen Gerüchte über Stornierungen von Reisegruppen die Runde.

Während Marco W. sagt, es habe sich um eine heftige Schmuserei mit beiderseitigem Einverständnis die Rede, spricht die Staatsanwaltschaft von Kindesmissbrauch. Ein Gericht in Antalya verhängte jetzt eine Nachrichtensperre, doch ist unklar, welche konkreten Auswirkungen dies haben wird. Türkische Zeitungen berichteten jedenfalls am Freitag weiter über den Fall. Ein Richter am Obersten Berufungsgerichtshof in Ankara warf der Bundesrepublik vor, sie behandele die Türkei wie eine Kolonie.

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