zum Hauptinhalt

Fall "Michelle": Polizei sucht Maulwurf

Nach Berichten über mögliche Ermittlungsdetails

Im Fall der getöteten achtjährigen Michelle aus Leipzig sucht die Polizei zwei Wochen nach dem Fund der Leiche nicht nur weiter fieberhaft den Mörder. Gesucht wird inzwischen auch ein Informationsleck in den eigenen Reihen, nachdem Boulevardblätter ausführlich über Einzelheiten aus den laufenden Ermittlungen und dem Obduktionsbericht berichtet hatten.

Die Staatsanwaltschaft Leipzig teilte am Mittwoch mit, sie habe von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren wegen Geheimnisverrats gegen Unbekannt eingeleitet. Es solle geklärt werden, wer mögliche interne Informationen aus den Ermittlungen an zwei Boulevardzeitungen weitergegeben habe, sagte Sprecher Ricardo Schulz. Zunächst hatte am Dienstag die „Bild“-Zeitung unter Hinweis auf das Obduktionsergebnis berichtet, Michelle sei sexuell missbraucht und anschließend erstickt worden. Nachdem das Blatt „Die schreckliche Wahrheit über Michelles Tod“ verkündet hatte, legte am Mittwoch die „Dresdner Morgenpost“ nach mit einem ausführlichen „Protokoll ihres grausamen Todes“. Die Staatsanwaltschaft prüft nun auch, ob sie auch gegen die Journalisten vorgeht – wegen Beihilfe oder Anstiftung zum Geheimnisverrat.

Unter den Ermittlern herrscht blankes Entsetzen. „Das ist eine Riesensauerei“, sagt der Kriminalbeamte Uwe Voigt von der Leipziger Polizei. „Das tut einfach weh.“ Die Kritik richtet sich gegen die Blätter, aber auch gegen den Maulwurf, der Journalisten mit Informationen versorgte. In jedem Fall sei es gedankenlos, fahrlässig und der Sache nicht dienlich, sagt der Beamte. Ob die Berichte zutreffen, wollen die Ermittler bislang nicht kommentieren. Sie sprechen von Spekulationen und Halbwahrheiten. Es gelte weiterhin die Nachrichtensperre, heißt es. Offiziell wurde bislang nur mitgeteilt, dass Michelle Opfer eines Gewaltverbrechens wurde. Zum Obduktionsergebnis wurden bewusst keine Angaben gemacht. Ob Michelle missbraucht wurde, wurde ebenfalls nicht mitgeteilt. Das Mädchen war vor zweieinhalb Wochen auf dem Heimweg spurlos verschwunden. Spaziergänger fanden wenige Tage später die Leiche in einem Park.

Voigt glaubt, dass niemand aus dem engeren Kreis der Ermittler geplaudert hat. „Jeder, der schon einmal selbst Ermittlungen geleitet hat, weiß, wie verheerend so etwas sein kann.“ Polizeichef Horst Wawrzynski, der die 180-köpfige Sonderkommission „Michelle“ leitet, rief seine Leute nach der Panne eindringlich zur Ordnung auf.

Den Polizeichef treibt noch etwas anderes um: Es ist der Versuch von Rechtsextremisten, aus dem Mordfall politisches Kapital zu schlagen. Am Montag hatten sich rund 280 Rechtsextremisten nahe der Grundschule von Michelle versammelt. An der von „Freien Kräften“ angemeldeten Kundgebung nahmen auch mehrere Kader der rechtsextremistischen NPD teil, darunter der Fraktionschef im Dresdner Landtag, Holger Apfel. Gefordert wurde die „Todesstrafe für Kinderschänder“. Bereits zuvor hatten Rechtsextremisten Gedenkmärsche als Plattform für ihre politischen Zwecke genutzt. Bürgerinitiativen und Lokalpolitiker bezeichneten das Vorgehen als abscheulich. Auch die Linken machen mittlerweile mobil. Rund 100 Teilnehmer einer „Gegendemonstration“ hatten sich ebenfalls am Montag ein paar Straßen weiter versammelt. Um befürchtete Auseinandersetzungen zu verhindern, musste die Polizei mit einem Großaufgebot anrücken. Dies binde natürlich Kräfte und raube Zeit für die eigentliche Arbeit, sagt Voigt.

Lars Rischke[Dresden]

Zur Startseite