zum Hauptinhalt
Ein Glas Mineralwasser.

© Roland Weihrauch/dpa

Fastenzeit: Der große Verzicht - man muss einfach mal anfangen

Ernährung, Konsum, Gewohnheiten: Bis Ostern wird nun wieder überall verzichtet, zumindest ein wenig. Wer die Fastenzeit fantasievoll nutzt, kann einiges erleben – und sparen.

Von Carsten Werner

Jesus soll in der Bergpredigt gesagt haben: „Wenn ihr fastet, macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler!“ Dabei gilt das Fasten im christlichen Glauben als Buße – und dazu scheinen Hunger, Kopfschmerzen, Kreislaufprobleme, Nervosität, Symptome einer „Fastenkrise“ zu Beginn des klassischen Heilfastens, durchaus geeignet. Zehn Tage (fast) nichts essen, nur trinken – das soll das Verdauungssystem regenerieren, die Seele reinigen und die Sinne schärfen – große Vorhaben im mitteleuropäischen Alltag.

Trotzdem erleben Fasten-Rituale in den Tagen zwischen Karneval und Ostern einen kleinen Boom. Auch Politik und PR versuchen, mit der Idee vom Verzicht Menschen zu erreichen – wer einmal zum Nachdenken oder sogar zum persönlichen Experiment motiviert ist, gilt als empfänglich für Botschaften, die damit verbunden werden können. Erfahrung macht schlau.

So wird Autofasten angeregt oder Plastikfasten – das Anfänger auf ein Tütenfasten beschränken oder Hartgesottene zu einem generellen Verpackungsfasten ausbauen könnten. Auch für „40 Tage ohne Zucker“ und zahllose andere Verzichtsexperimente gibt es passende Ratgeber- und Rezeptbücher. Mit Handy- oder Internetfasten kann man die Nutzung des Taschencomputers aufs Notwendige reduzieren, sofern er zum (über)anstrengenden Taktgeber oder zur elektronischen Fessel von Arbeitgebern, Freunden oder zum ewig blubbernden Informationskanal geworden ist.

Es geht beim Fasten ja um Konzentration aufs Eigentliche, die angestrebte „Reinigung“ ist ein „Reset“ des eigenen Empfindens und Erlebens. Sein Bewusstsein zu hinterfragen, kann durchaus Spaß bringen. Wer wochenlang nicht online, sondern bei den Einzelhändlern in der Nachbarschaft einkauft, steigert seine Sozialkontakte, stärkt die lokale Wirtschaft, kommt ins Grübeln über die Objekte seines Begehrens – und spart. Spar-, Körper- und Gesundheitseffekte kann auch kombinieren, wer auf Alkohol-, Zigaretten- oder Zuckerkicks verzichtet.

Einfach mal die Heizung ausschalten

Die evangelische Kirche ruft jedes Jahr ein Fasten-Motto aus. „Sieben Wochen ohne …“ – Lügen zum Beispiel. Ganz? Wo fängt Lügen eigentlich an? Eben. Da beginnen Auseinandersetzung und Erkenntnis schon. Dieses Jahr wird vorgeschlagen: Sieben Wochen ohne „Sofort!“, vor der nächsten impulsgesteuerten Aktion oder alltäglichen Marotte einmal durchatmen, kurz die Gedanken schweifen lassen und dann ... mal sehen, horchen, hirnen, was mit einer E-Mail, einem Wutanfall, einem Hektik-Snickers oder einem Cappuccino to go weniger passiert.

Schon im Frühling auf die Heizung zu verzichten, weckt ein Bewusstsein für unterschiedliche Textilien. Wer einige Wochen zu Fuß geht, statt die Erfindung des Rades zu nutzen, sieht die Stadt ganz anders und mit Sinnen, die mit Fahrrad, Auto, Bus und Bahn zugunsten von Tempo und Sicherheit ausgeblendet sind.

Erhellend können auch selbst gestellte Herausforderungen sein. So hat der Entertainer Wigald Boning mehr als 200 Tage am Stück zu Hause in München und auf allen privaten und beruflichen Reisen in einem kleinen Zelt übernachtet und sich in diesem kargen Heim auf das allernötigste und sinnvollste an Ausstattung beschränkt. Er weiß jetzt alles über die Bodenbeschaffenheiten des deutschsprachigen Raums, Innenraumthermik, Natur, Wetter – und juristisch, dass ein Notbiwak zur Übernachtung fast überall aufgestellt werden darf. Sein Experiment, das er Tag für Tag auf seiner Facebookseite dokumentierte, nennt er so neugierig wie selbstkritisch „Freizeitradikalismus“.

Der Rechtsmediziner, Ethiker und Tierarzt Charles Foster versucht immer wieder, zeitweise ein tierisches Leben zu führen, um seine Instinkte und Sinne zu erkunden und zu schärfen. Als Stadtfuchs ging er auf die Suche und Jagd nach Unterschlupf und Nahrung. Wochenlang lebte er mit seinem achtjährigen Sohn in den walisischen Bergen nach den Regeln eines Dachses. In einer Erdhöhle, auf der Suche nach Würmern und Essensresten erfuhr er den „Geschmack von Laub und Erde“. Foster ist dabei nicht dogmatisch. Den Geruchssinn hat er mit seiner Familie bei Versteckspielen trainiert, andere körperliche Vorteile der Tiere gleicht er durch menschliche Gerätschaften aus, „Aas“ brachte ihm ab und zu ein Bauer in Form von Fischfrikadellen in den Wald.

Foster und Boning erkunden hautnah die Grundlagen ihrer eigenen Körper ebenso wie die der menschlichen Existenz: Essen und Wohnen. Aber auch schon jeden Frühlingstag zwei Minuten dem allmählichen – eigentlich Jahr für Jahr wieder rasanten – Wachstum von Pflanzen im Park oder am Straßenrand zuzuschauen, kann Sinne schärfen und Gedanken beleben. Eine der 50 täglichen Mails oder SMS als analoge Postkarte zu verfassen, kann auf ganz eigene Weise anregend werden. So lässt sich „Fasten“ spielend übers ganze Jahr variieren.

Man muss halt einfach mal anfangen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false