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Panorama: Festgefroren

Wie Autofahrer sechseinhalb Stunden in einem nächtlichen Stau verbrachten – ein Erlebnisbericht

Von Matthias Schlegel

Der plötzlich einsetzende Warnblinker des Vordermanns verheißt nichts Gutes, die Gespräche im Wagen verstummen. Die Abfahrt Groß Köris haben wir soeben passiert, bis nach Mittenwalde sind es 13 Kilometer. Es ist Sonntagabend, der vierte Advent, 19 Uhr. Der Wochenend-Rückreiseverkehr nach Berlin kommt jäh zum Erliegen.

Nach zehn Minuten löschen die Autos ringsherum das Licht, die Motoren verstummen, nur ein Lkw tuckert unverdrossen weiter. Wir zappen die Nachrichten der verschiedenen Sender durch, ob eine Staumeldung kommt. Vergebens. Also kann es wohl nicht so lang dauern.

0 Grad herrschen draußen laut Temperaturanzeige. Eine Stunde später, nachdem wir etwa zweihundert Meter weitergekommen sind, schwindet die Hoffnung auf ein rasches Ende. Wir sind eingekeilt zwischen hunderten Autos. Ein Sender hat uns im Verkehrsbericht inzwischen erwähnt: Wegen spiegelglatter Fahrbahn sind auf der A 13 Richtung Berlin mehrere Autos liegengeblieben. Dahinter hat sich ein kilometerweiter Stau gebildet.

Nach drei Stunden kommt ein Polizeiauto, im Gefolge ein Krankenwagen, durch die mittlere Gasse zwischen den beiden Spuren. Sonst nichts. Draußen herrschen minus 1 Grad. Wieder Motor aus. Die Kälte kriecht an den Kleidungsstücken hoch. Also wieder Motor an. So geht das jede Viertelstunde. Mit dem Frust über vermeintliche Untätigkeit des Winterdienstes und der Polizei steigt die Sorge: Wird der Kraftstoff reichen? Verkraftet der Motor das dauernde Aus und An? Haben die kleinen Kinder im Auto vor uns genug zu essen und zu trinken? Haben sie Decken für den Notfall? Und was essen wir, wenn die Gummibärchen alle sind?

Minus 2 Grad. Nach vier Stunden rufen wir per Handy einen Privatsender an: Wisst ihr etwas Neues? Könnt ihr dem Winterdienst nicht mal Beine machen? Hunderte haben von der A 13 aus schon bei ihm angerufen, sagt der Moderator. Aber es geht eben nichts mehr auf den eisglatten Fahrbahnen. „Richtet euch auf eine lange Nacht ein.“

Minus 3 Grad. Nach fünf Stunden fliegt ein Polizeihubschrauber dicht über uns hinweg. Aus einem Lautsprecher schallen Wortfetzen herunter, vom Rotorgeräusch zerrissen. Wir sollen die Gasse frei lassen, hat die Fahrerin nebenan verstanden. Als die Gasse frei ist, kommt niemand. Männer verrichten immer näher an den Autos ihre Notdurft. Frauen laufen panisch an den Randstreifen entlang. Kein Strauch bietet Deckung. Als es wieder ein paar Meter weitergeht, klaffen große Lücken, weil Fahrer eingeschlafen sind.

Minus 5 Grad. Nach sechseinhalb Stunden rollen wir. Im Schritttempo. Es ist 1Uhr 30. Der Winter hat begonnen.

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