zum Hauptinhalt

Panorama: Fieberhafte Suche nach den Opfern

Die Zahl der Erdbebenopfer in Athen hat sich am Freitagnachmittag auf 100 erhöht, etwa 40 Menschen wurden noch unter den Ruinen vermutet. Obwohl mehr als 72 Stunden nach dem Beben die Chancen, Verschüttete noch lebend bergen zu können, immer geringer wurden, gaben die Suchmannschaften nicht auf.

Die Zahl der Erdbebenopfer in Athen hat sich am Freitagnachmittag auf 100 erhöht, etwa 40 Menschen wurden noch unter den Ruinen vermutet. Obwohl mehr als 72 Stunden nach dem Beben die Chancen, Verschüttete noch lebend bergen zu können, immer geringer wurden, gaben die Suchmannschaften nicht auf. Die griechische Regierung kündigte an, bis zum Freitagabend würden 12 000 Zelte für etwa 70 000 Obdachlose zur Verfügung stehen. Am Freitagnachmittag landeten drei deutsche Transportmaschinen in Athen, die 300 Zelte, 1 500 Betten, 3 000 Decken und weitere Hilfsgüter brachten.

"Die Hoffnung stirbt zuletzt", sagte einer der Männer der griechischen Spezialeinheit EMAK. "Wir suchen weiter, bis der letzte Vermisste gefunden ist, selbst wenn das vier oder fünf Tage dauern sollte", versicherte der Chef der Athener Feuerwehr. Erst wenn alle Opfer geborgen sind, soll schweres Räumgerät eingesetzt werden. Die bisher letzte Überlebende, eine 31-jährige Frau, war am Donnerstag nach 46 Stunden aus den Trümmern befreit worden.

Aber nicht nur ihre eigenen Rettungsmannschaften gelten bei den den Athenern als Helden: Der griechische Präsident Konstantinos Stefanopoulos hat sich am Freitag im Rahmen eines Empfanges in seinem Athener Amtssitz auch bei den türkischen Helfern bedankt. Griechenland hatte nach dem verheerenden Erdbeben in der West-Türkei am 17. August ebenfalls Rettungsmannschaften, Medikamente und Hilfsgüter in die Türkei geschickt. Die beiden Katastrophen haben die zwei Völker, die sich seit Jahrzehnten um Hoheitsrechte in der Ägäis und um die Zypernfrage streiten, näher gebracht.

Das Image des "hässlichen Türken", das die griechischen Medien und manche Politiker in Athen jahrzehntelang kultivierten, wird jetzt von anderen Bildern überlagert: dem des neunjährigen Jungen, den die Griechen im Istanbuler Stadtteil Avcilar retten konnten; oder dem des zehn Jahre alten Tzannis, den die türkischen Helfer in Athen aus den Trümmern befreiten. "Danke Freunde", titelte, auf Griechisch, nach dem Istanbuler Beben die Zeitung Hürriyet. "Perastika Gitona - Gute Besserung, Nachbar!" lautete jetzt die Schlagzeile des türkischen Massenblatts Milliyet.

Zu jenen, die in Athen von dem Erdbeben überrascht wurden, gehörte auch der türkische Sänger Zülfü Livaneli. Er war in die griechische Hauptstadt gekommen, um an einem Benefiz-Konzert für die türkischen Erdbebenopfer teilzunehmen. Wenige Stunden vor der Vorstellung bebte die Erde. "Ich kannte es aus Istanbul: es war jenes Zittern, jenes dumpfe Brausen, als würden sich die Tore der Hölle öffnen", beschrieb Livaneli.

Während Griechen und Türken gemeinsam in den Ruinen nach Verschütteten suchten, trafen am Donnerstag in Athen Diplomaten beider Länder zusammen, um den im Juli in Ankara begonnenen Dialog fortzusetzen. Dabei geht es um Zusammenarbeit im Handel, im Tourismus und bei der Verbrechensbekämpfung. Zusätzlich auf die Tagesordnung kam jetzt, naheliegend, das Thema Katastrophenhilfe. Lange vor den Erdbeben hatten sich die Außenminister beider Länder, Jorgos Papandreou in Athen und Ismail Cem in Ankara, auf diesen Dialog verständigt. Die eigentlichen bilateralen Konflikte sollten dabei bewusst ausgeklammert bleiben. Man wollte zunächst vorsichtig sondieren, ob es Möglichkeiten der Annäherung in unverfänglichen Fragen gibt.

Doch dieser Prozess hat nun eine eigene Dynamik gewonnen. Die griechische Regierung, die seit Jahren die EU-Finanzhilfe für die Türkei blockierte, billigte nicht nur ein Katastrophenhilfe-Paket der Union, sie scheint auch bereit, ihre Obstruktionshaltung gegenüber der Annäherung der Türkei an Europa aufzugeben. Griechenland, so kündigte Außenminister Papandreou an, wolle von nun an die "Lokomotive" sein, die die Türkei in die EU ziehe.

Welch ein Wandel! Noch vor dreieinhalb Jahren gerieten beide Länder über den Streit um zwei Felsinseln in der Ägäis an den Rand eines Krieges. Und erst im Frühjahr geißelte der türkische Präsident Süleyman Demirel Griechenland als "Staat der Gesetzlosen", weil die Athener versucht hatten, den flüchtigen PKK-Chef Abdullah Öcalan in ihrer Botschafterresidenz in Nairobi zu verstecken. Jetzt dagegen reden Diplomaten bereits von der Möglichkeit eines "Durchbruchs".

Gemessen an der Zahl der Todesopfer war dies das folgenschwerste Erdbeben in Griechenland seit 1953. Damals starben bei einem Beben der Stärke 7,2 auf der ionischen Insel Kefallonia 476 Menschen. Das Ausmaß der jetzt in Athen angerichteten Gebäudeschäden geht weit über die ersten Schätzungen hinaus. Bis zum Freitag hatten die vom Bauministerium beauftragten Ingenieure in den am stärksten betroffenen Stadtteilen etwa 14 000 Gebäude begutachtet. 1 700 davon tragen bereits ein mit roter Farbe aufgesprühtes Kreuz. Das heißt: sie sind baufällig und müssen abgerissen werden. Weitere 6 200 Häuser sind mit gelber Farbe gekennzeichnet, was bedeutet, dass sie erst nach einer gründlichen Renovierung wieder bewohnbar sind. Im Durchschnitt sind nur etwa 45 Prozent der bisher untersuchten Gebäude uneingeschränkt nutzbar. In einigen Gegenden der Stadtteile Menidi, Metamorphosi und Ano Liossia sind jedoch bis zu 80 Prozent der Gebäude abbruchreif.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false