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© Berlinale

Film: Rio – am Gestade der Gewalt

Der überragende Christus auf dem Corcovado, der Strand von Copacabana und der Zuckerhut sind die Wahrzeichen von Rio de Janeiro, die jeder Besucher gesehen haben will. Doch die Stimmung in der „wunderschönsten Stadt der Welt“ ist seit Jahren getrübt. Es herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände. Das zeigt auch Brasiliens erfolgreichster Film "Tropa de Elite".

Der überragende Christus auf dem Corcovado, der Strand von Copacabana und der Zuckerhut sind die Wahrzeichen von Rio de Janeiro, die jeder Besucher gesehen haben will. Doch die Stimmung in der „wunderschönsten Stadt der Welt“, wie Rio von seinen Einwohnern, den Cariocas, besungen wird, ist seit Jahren getrübt. Es herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände in den Straßen.

Da bekämpfen sich die Herren der Armutsviertel, die den Drogenhandel kontrollieren und die Polizei mit M16Sturmgewehren, gepanzerten Einsatzwagen und Helicoptern. Immer wieder treffen Querschläger von automatischen Schnellfeuergewehren unbeteiligte Anwohner. Nun ließ Rios Sicherheitschef Jose Mariano Beltrame im Juni eine Einheit von 100 Polizisten in den Favelas Morro da Babilonia („Hügel von Babylon“) und Chapeu da Mangueira („Hut des Mangobaums“) stationieren. Vom Hang des Hügels Babilonia sollen die Ordnungskräfte für Sicherheit sorgen aber auch durch freundliches Auftreten für Vertrauen sorgen. Sie lösen die einmarschierten Sondereinheiten des Bope, eine militärisch organisierte Spezialeinheit, in den beiden Armenvierteln ab.

Diese Spezialeinheit hat in den beiden Vierteln mit brutaler Gewalt die Kriminellen vertrieben und konnte das Gebiet jetzt den gemäßigteren Polizeikräften überlassen. Die Sondereinheit konzentriert sich ab jetzt auf andere Viertel, in denen es für sie noch viel zu tun gibt.

Dieses Kommando ist berühmt geworden durch den Film „Tropa de Elite“, der jetzt in den deutschen Kinos läuft. Er war der erfolgreichste Film des Jahres in Brasilien und wurde auf Raubkopien schon vor dem Start von elf Millionen Brasilianern gesehen. Dass „Tropa de Elite“ auf der Berlinale 2008 den Goldenen Bären bekam, spricht in diesem Fall nicht gegen den Film.

„Tropa de Elite“ von Jose Padilha wurde mitunter vorgeworfen, er sei faschistoid, weil er das militärische Vorgehen der Sonderkommandos gegen Kriminelle in den Armenvierteln positiv darstellt. Dagegen spricht nicht nur, dass der Erfolgsregisseur politisch links steht und die Korruption der regulären Polizeikräfte anprangert. Dagegen spricht auch die Machart des Films, seine formale Unruhe, das Rap-Stakkato der Actionszenen und nicht zuletzt auch das inhaltlich Verstörende.

Entscheidend ist, dass dieser Film die Realität abbildet, die sich leichten Lösungen verschließt. Es geht um Capitao Nascimento, den Chef der Eliteeinheit. Innerlich von der rohen Gewalt um sich herum ausgebrannt, sucht er einen passenden Nachfolger. Die Kampfmethoden der Sondereinheit gleichen denen der Drogenmafia, das gnadenlose Erschießen, das gnadenlose Foltern. Es ist ein grausamer Guerillakrieg um jedes Haus. Der Drogenkonsum der Wohlhabenden und die Korruption der Polizisten machen die ausufernde Gewalt zu einem Teufelskreis. Padilha will, wie er sagte, mit seinem Film den Kollaps der staatlichen Ordnung anprangern. Auf die Frage, wie die Menschen aus dieser Gewaltspirale aussteigen können, findet auch Padilha keine Antwort.

„Tropa de Elite“ ist nicht der einzige Film, der Armut und Gewalt in den Favelas thematisiert. Der bekannteste Film ist „City of God“ von Fernando Meirelles. Darin erzählt Meirelles, wie die Gewalt vom Stadtrand, der Baixada Fluminense, ins Herz der Metropole und an deren berühmte Strände vordrang. Noch in den Sechzigern gab es nur Kleinkriminelle ohne eine größere Bedeutung. Mit dem Verkauf der Drogen an die Jugendlichen der wohlhabenden Schichten bauten die Kriminellen ihren Einfluss mit Waffengewalt in den Innenstadtbezirken aus.

„City of Men“ von Paulo Morelli beschäftigt sich mit dem normalen Leben im täglichen Ausnahmezustand. Zwei Freunde werden erwachsen und suchen nach sich selbst. Sie werden dabei in einen Bandenkrieg zwischen zwei Drogenklans hineingezogen. Meirelles zeigt auf einfühlsame Art und Weise, dass Vertrauen weder mit Geld erkauft, noch mit Waffengewalt erzwungen werden kann. Hier blitzt eine Gesellschaftskritik auf, die durchaus nachzuvollziehen ist und den Teufelskreis der Gewalt womöglich durchbrechen könnte. Die Botschaft Morellis: Es fehlt den Jungen an Vorbildern, an Freundschaft und Liebe. „Tropa de Elite“ kennt dagegen keine Illusionen, nur Action und Gewalt. Vielleicht trifft er damit den Kern. Gerade aber das Fehlen einer positiven Vision stößt auf Kritik. „Padilha stellt die Sondereinheit Bope über das Böse wie das Gute“, sagt BNegao, Funkmusiker und Mitbegründer der brasilianischen Band Planet Hemp den Filmemacher. BNegao muss es wissen, die Hip-Hop-Band wurde für ihre aggressiven Texte über Drogen, Gewalt und Korruption Ende der Neunziger von der Polizei verfolgt. Vor allem die Favelabewohner litten unter dem Kampf zwischen Polizei und Drogenmafia, mahnt der Musiker.

Neben der Besetzung durch Einheiten der Polizei lässt Rios Stadtverwaltung um 13 Favelas drei Meter hohe Mauern ziehen. Für BNegao, der im November seine neue Soloplatte in Brasilien herausbringen wird, sind diese Mauern eine Folge der großen sozialen Ungleichheit in der Stadt. „Die Mauern haben bereits vorher existiert.“ Schon im Kopf beginne diese Abgrenzung. Die Gewalt der Todeskommandos in den Favelas wie der Cidade de Deus („Stadt Gottes“) am Rande der Metropole habe früher niemanden interessiert. „Solange es nicht bei den Reichen ankam, war die Gewalt in den Medien kein Thema.“

Und solange es keinen Film gab, der die Realität zeigt, wie sie ist.

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