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Ägyptens Tourismus schwächt drastisch ab.

© dpa

Flaute im Reiseland: Ägyptens Wirtschaft leidet am ausbleibenden Tourismus

Strand und Sonne: Das ist Ägyptens Reichtum. Aber seit der Revolution bleiben die Gäste aus. Eine wirtschaftliche Katastrophe für das Land. Und jetzt überlegen die Muslimbrüder gar, Alkohol und Bikinis zu verbieten.

An einem kleinen Tisch in der Innenstadt von El Gouna, einer Stadt am Roten Meer, sitzt Ekrami Latif mit ein paar Freunden in der Mittagssonne. Ekrami ist Tauchlehrer, zeigt den Touristen Fische und Korallen, die Unterwasserwelt Ägyptens. Foul und Falafel, ägyptisches Alltagsessen, gibt es für ihn in der Mittagspause, für die meisten Touristen in den benachbarten Luxus-Restaurants ein volles Buffet, Meeresfrüchte. Ekrami, 36, sitzt in kurzer Hose und T-Shirt auf einem Holzstuhl und erinnert sich noch genau an den Moment, als bekannt wurde, dass Mursi der neue ägyptische Präsident ist. Es war ruhig in El Gouna, nur zwei Autos fuhren hupend durch die Innenstadt. Die Mehrzahl der Bewohner hat für Mursis Gegenkandidaten Schafik gestimmt. Mit Mursi fürchten sie, dass die Touristen wegbleiben, auch Ekrami Latif. „Natürlich habe ich Angst um meinen Job“, sagt er. „Die Touristen reisen schnell in andere Länder, wo das Wetter genauso gut ist, aber wo man sich um die Gastfreundschaft keine Sorgen machen muss.“

An Gastfreundschaft fehlte es in El Gouna bisher nicht. Für jeden Geldbeutel gibt es hier das passende Angebot. Tauchen, surfen, segeln – gutes Wetter garantiert. Vor rund 20 Jahren stampfte der ägyptische Milliardär Samih Sawiris El Gouna aus dem Boden. Er baute Haus um Haus, kleine Inseln und Lagunen, Hotel um Hotel. Vor ihm das Meer, im Rücken die Berge der Wüste.

Doch Ekrami Latif hat Angst, dass El Gounas Schätze bald keine Touristen mehr anlocken. Im neuen ägyptischen Parlament diskutierte manch ein Muslimbruder Bikini- und Alkoholverbot. Das wäre fatal für El Gouna und für die anderen Touristenmagnete am Roten Meer. Und es wäre eine Katastrophe für die ohnehin schon am Boden liegende ägyptische Wirtschaft.

Annemarie Bakker aus Veenendaal in Holland war schon vier Mal in Ägypten. In Sharm El Sheikh, Hurghada, es ist ihr zweites Mal in El Gouna. Im knappen Top und kurzen Shorts sitzt sie am Mittagstisch. Im Urlaub gönnt sie sich schon mal ein Bier am frühen Tag, darauf will sie auch in Zukunft nicht verzichten. „Wenn wir keine Bikinis tragen oder keinen Alkohol mehr trinken können, nein, dann komme ich nicht zurück“, sagt sie.

Ob es wirklich zu einem Bikini- und Alkoholverbot kommen wird, ist freilich noch keineswegs gesagt. Der neue Präsident Mursi, der ein Präsident für alle Ägypter sein will, weiß, wie wichtig der Tourismus für sein Land ist. In seinem inoffiziellen Amtseid auf dem Tahrir-Platz wandte er sich extra an die Tourismusbranche, und in seiner Antrittsrede an der Universität Kairo versprach er, sein Bestes zu tun, damit die Tourismusbranche wieder so stark werde, wie sie vor der Revolution war.

Die Branche erholt sich nur langsam

Das nimmt der Tauchlehrer Ekrami Latif ihm nicht ab. Für ihn ist Mursi ein Chamäleon, das seine politische Richtung der aktuellen Stimmung anpasst. Bekäme Mursi Druck von radikaleren Salafisten, dann könnte er sich doch zu touristenunfreundlichen Gesetzen hinreißen lassen.

Adham Mahmoud hingegen vertraut Mursis Worten. Er ist so etwas wie der Bürgermeister von El Gouna. Der Milliardär Samih Sawiris hat ihn eingestellt, um El Gouna zu verwalten. Er entscheidet, welche Farben die Häuser in El Gouna haben, wo Restaurants eröffnen und ob es darin Pommes, Pasta oder Paella gibt. Seit Mursi Präsident ist, gab es in El Gouna deshalb noch keine Stornierungen. Und Adham Mahmoud weiß, Mursi hat Wichtigeres zu tun, als islamische Dogmen durchzusetzen. „Arbeitslosigkeit und Armut – das sind Punkte, die ganz oben auf seiner Liste stehen“, sagt Adham. „Da kann er es sich nicht erlauben, sich mit einem Wirtschaftszweig anzulegen, der viel Potenzial hat.“

Von den Zahlen vor der Revolution ist die Branche im Moment allerdings weit entfernt. Laut dem Tourismusministerium hat Ägypten 2011 rund 30 Prozent weniger Umsatz mit Urlaubern gemacht als im Vorjahr. Kritiker sagen, die Zahlen seien sogar noch geschönt, schätzen den Rückgang auf rund 50 Prozent. Mit Reisewarnungen brach der Tourismus während und direkt nach der Revolution fast ganz zusammen. Seitdem erholt sich die Branche nur langsam. Immer dann, wenn es neue Unruhen in Kairo gibt, bleiben die Urlauber dem Land fern, obwohl die Touristenorte weit von der Hauptstadt entfernt sind und man die Revolution hier nur aus dem Fernsehen kennt. Ägypten ist nicht der Tahrir-Platz. El Gouna und andere Städte am Roten Meer, so scheint es, sind eine andere Welt.

Besonders getroffen hat es die Städte Luxor und Assuan. Denn vor allem die Touristen, die für Kultur und nicht nur für Sonne und Meer kommen, bleiben aus. Nilfahrten – vorbei an Ägyptens Pharaoschätzen, an Tempeln, Pyramiden und archäologischen Stätten – machen nur noch wenige. Eine solche Tour geht oft über Kairo, die Hauptstadt meiden die meisten Touristen.

Mit rund 15 Prozent ist der Tourismus neben Erdöl- und Erdgasexporten und den Einnahmen aus dem Suez-Kanal eine der drei großen Säulen der ägyptischen Wirtschaft. Doch die Wirtschaftskrise im Westen und ein sinkender Rohöl- und Erdgaspreis bringen auch diese Säulen ins Wanken.

Das spüren die Ägypter. Die Arbeitslosigkeit, ein wesentlicher Auslöser der Proteste gegen Mubarak, liegt heute um fast drei Prozent höher als zu der Zeit vor der Revolution. Rund drei Millionen mehr Menschen sind ohne Job, das ist gefährlich und kann schnell Grund für neue Proteste sein. Vor allem im Tourismus wurden Stellen gestrichen, rund ein Drittel der in der Branche Beschäftigten, so schätzen Experten, sind seit der Revolution ohne Job. Davor verdiente jeder sechste Ägypter sein tägliches Brot mit den Urlaubern, arbeitete als Kellner, Busfahrer, auf dem Basar oder eben als Tauchlehrer.

Das Tourismusministerium hat große Ziele

Der Tourismus galt lange als Jobmotor, als der Zweig der Wirtschaft, der am schnellsten wächst. Rund 14,7 Millionen Touristen kamen 2010 nach Ägypten, fast drei Mal so viel wie noch vor zehn Jahren. Damit zählt Ägypten laut der Welt-Tourismus-Organisation UNWTO zu den 20 meistbesuchten Ländern weltweit. Für die 800 000 Jugendlichen, die jährlich auf den Arbeitsmarkt kommen, waren die Urlauber oft die einzige Chance. „Wir müssen dahin zurück- und darüber hinaus kommen“, sagt Hisham Zazou, die rechte Hand des ägyptischen Tourismusministers. „Das ist der Schlüssel, um Ägypten nach vorne zu bringen, um für die Jugendlichen Jobs zu schaffen.“ Wer die Demokratiebewegung unterstützen wolle, der solle jetzt einen Flug nach Ägypten buchen.

Dafür, dass die Branche wieder läuft, schiebt Hisham Zazou Überstunden. Er wirbt weltweit für Sonne und Strände Ägyptens, auch in Deutschland. Im März, auf der Internationalen Tourismus-Börse in Berlin, war Ägypten Partnerland, versuchte, die Besucher von der Sicherheit Ägyptens zu überzeugen. Auch für die Fluggesellschaften schafft Zazou Anreize, weiter nach Ägypten zu fliegen. Für jeden besetzten Sitz im Flugzeug zahlt das ägyptische Tourismusministerium eine Prämie. „Wir setzen alle Hebel in Bewegung, dass die Branche sich erholt“, sagt Hisham Zazou.

Er hat große Ziele. Im Jahr 2017 will er 30 Millionen Touristen nach Ägypten holen, das sind drei Mal so viele wie im vergangenen Jahr. Der Schlüssel dazu sind neue Märkte. Bisher waren es vor allem Russen, Deutsche, Ukrainer und Briten, die Ägyptens Strände bevölkerten, jetzt sollen auch Besucher aus Brasilien, Südafrika und Asien kommen. „Niemand hat unsere Pyramiden, niemand hat unseren Nil und unsere Strände“, sagt Zazou. „Da lohnt es sich, auch von weiter weg anzureisen.“

An eine schnelle Erholung des Tourismus glaubt auch Adham Mahmoud, der ungewählte Bürgermeister. Dass 2012 für El Gouna ein gutes Jahr wird, daran hat er keine Zweifel. Auch deswegen, weil im Oktober hier ein neuer Campus der Technischen Universität Berlin eröffnet. Drei Masterstudiengänge werden angeboten, die Vorbereitungen für das Studium am Meer laufen auf Hochtouren. „Die Studenten werden El Gouna nochmals ordentlich aufmischen“, hofft Adham Mahmoud.

Auch Ekrami Latif freut sich auf neue Gesichter. Die Situation sieht er dennoch nicht so gelassen, denn er hat vor noch etwas Angst. Er ist Christ wie rund die Hälfte der Bevölkerung in El Gouna. Hier arbeiten Kopten und Muslime Hand in Hand wie in kaum einer anderen Stadt in Ägypten. Der kleine Ort hat eine Kirche und eine Moschee. Im Ramadan versuchen die Kopten mehr zu arbeiten, am koptischen Weihnachten springen die Muslime ein. Doch mit einem Muslimbruder als Präsident, so fürchtet Ekrami Latif, könnte auch das bald vorbei sein. „Ich denke, es wird viele Gesetze gegen Christen geben“, sagt er.

Diese Sorge muss Mohammed Mursi den Ägyptern nun nehmen. Es liegt an ihm, seinen Versprechen Taten folgen zu lassen. Nur damit kann er Ekrami Latif und andere Beschäftigte im Tourismus überzeugen.

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