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Panorama: Fliegender Wechsel

Im Pariser Touristenviertel Montmartre wehren sich die alteingesessenen Künstler gegen Konkurrenz aus dem Osten

Das hätte sich Toulouse-Lautrec nicht bieten lassen. Wenn er, der berühmte Maler und Zeichner auf dem Pariser Montmartre, seine Mitgliedschaft in der Künstlergewerkschaft, einen festen Wohnsitz und eine Arbeitsgenehmigung des Bürgermeisteramtes hätte vorweisen müssen, hätte er mit den inzwischen legendären Porträts von Tänzerinnen, Dirnen, Akrobaten und Clowns wahrscheinlich gar nicht erst angefangen.

Ganz unlogisch ist es deshalb nicht, wenn mehr als 100 Jahre später der Sprecher der Montmartre-Porträtisten, Paul Laszlo, wettert: „Wir lassen uns hier nicht vertreiben, wenn es uns nicht gäbe, wäre vom einstigen Charme Montmartres und dem Geist der Bohème gar nichts mehr übrig.“ Recht hat er !, freuen sich die Berufskollegen auf der Place du Tertre neben Sacré-Coeur, wo es auch bei Minustemperaturen von Touristen nur so wimmelt. Im beliebtesten Touristenviertel der französischen Hauptstadt tobt seit Wochen ein Krieg zwischen den alteingessenen Malern und Karikaturisten und denen, die, neu hinzugekommen sind und sich als „fliegende Künstler“ zwischendurch immer mal ein paar Euro verdienen wollen. Die zahlreichen „Neuen“, im Sommer bis zu 300, sind fast alle Einwanderer oder Durchreisende aus Osteuropa und verderben den etwa 280 „Angestammten“, durchweg Franzosen und auf dem berühmten Platz mit Staffeleien, Farbtöpfen und Klappstühlen „fest installiert“, das ohnehin flaue Geschäft.

Gekämpft wird mit harten Bandagen, denn natürlich geht es im Künstlerviertel Montmartre auch um die Ehre. „Die meisten haben vor ihrer Ankunft in Paris noch nie einen Stift oder einen Pinsel in der Hand gehabt“, berichtet hämisch ein Galerist an der Rue Mont-Cenis. Auch von Preiswucher und Betrug ist die Rede. „Die kommen völlig ahnungslos daher und verlangen 100 Euro für einen schlechten Scherenschnitt“, entrüstet sich ein „legaler“ Künstler. Der Konflikt schwelt schon lange, aber nach Inkrafttreten eines drakonisch strengen Ordnungsgesetzes auf Initiative von Innenminister Nicolas Sarkozy, Spitzname „Superpolizist“, wurde zum Jahreswechsel jetzt erstmals durchgegriffen. Danach sind Handel, Prostitution, Betteln und „Herumlungern“ auf öffentlichen Straßen verboten. Nach den Straßenhuren wurden die freiberuflichen Karikaturisten und Zeichner die ersten Opfer. Die Verordnung verbietet den ambulanten Malern den berühmten Touristenplatz sowie angrenzende Straßen und verbannt sie, weitab vom eigentlichen touristischen Geschehen, in kleine Nebenstraßen. „Endlich Schluss mit dem Saustall“, zitiert die Zeitung „Le Parisien“ den zuständigen Polizeikommissar Alain Gibelin. Seine Beamten patrouillieren jeden Tag, teilweise in Zivil, im Touristengewimmel auf der Place de Tertre und kontrollieren, ob sich ein nicht berechtigter „Künstler“ zwischen die Berechtigten geschummelt hat. Wird ein „Fliegender“, wie die Gelegenheitsmaler im französischen Jargon genannt werden, erwischt, hagelt es deftige Strafen, bis zu 760 Euro. Beifall klatschen nicht nur die alteingesessenen Maler, sondern auch die alteingesessenen Geschäftsleute. „Wir hatten ja hier gar nichts mehr zu sagen. Tägliche Aggressionen und Pöbeleien vonseiten des Malergesindels, an manchen Tagen waren sogar die Zugänge zu Restaurants und Boutiquen versperrt, weil sich dort massenhaft Porträtisten platziert hatten“, erklärt ein Sprecher der zuständigen Handelskammer. Die „Fliegenden“ haben jetzt zurückgeschlagen. Bei der Liga der Menschenrechte hat ein Kollektiv der unerwünschten Künstler eine Petition mit rund 60 Unterschriften eingereicht, in der der Polizei „Einschüchterungen, Beleidigungen ausländerfeindlichen Inhalts und Drohungen bis hin zu Gewaltanwendung“ vorgeworfen werden. Außerdem klagten die „Geächteten“ vor dem zuständigen Bezirksgericht, eine Entscheidung steht noch aus.

Vielleicht erhören die Richter ja ein schlagendes Argument der verschmähten Zeichner: „Wir sind es schließlich, die gemeinsam mit den Straßenmusikanten das pittoreske Flair dieses historischen Stadtteils aufrechterhalten und das gefällt den Touristen besser, als das wohlgeordnete Montmartre, das die Polizei durchsetzen will.“ Maler wie Utrillo, van Gogh und Picasso hätten sich schließlich auch auf den Straßen um Sacré-Coeur ausprobiert und seien später berühmt geworden.

Sabine Heimgärtner[Paris]

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