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Dieser Feuerball war über Schwabing München bei der Sprengung einer Weltkriegsbombe zu sehen.

© dpa

Fliegerbomben: Wie gefährlich sind die Weltkriegs-Altlasten?

Bombenfunde wie in München schrecken uns immer wieder auf. Auch heute wird wieder eine Fliegerbombe gesprengt - diesmal in Oranienburg. Wie gefährlich sind die Weltkriegs-Altlasten?

Zwei Bomben sollen am heutigen Donnerstag in Oranienburg unschädlich gemacht werden: Eine erste Bombe soll am frühen Nachmittag entschärft, eine zweite gegen 17 Uhr gesprengt werden. In München brannten am Dienstagabend Häuser, nachdem bei einer vergleichbaren Aktion eine amerikanische Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg kontrolliert gesprengt worden war. In Oranienburg sind Bombenentschärfungen Alltag, die Stadt ist ein deutschlandweit einmaliges Ballungsgebiet der Altlasten. Heute ist - wieder einmal - mit starken Behinderungen für Anwohner, Autofahrer und auch Zugreisende zu rechnen. Aber auch deutschlandweit haben Städte und Gemeinden noch mit den Altlasten des Zweiten Weltkriegs zu kämpfen.

Wie viele Bomben liegen noch im Untergrund?

Was deutschlandweit an nicht explodierten Bomben, Granaten und Minen noch unter der Erde liegt, lässt sich nicht feststellen. „Das kann man nicht seriös sagen“, erklärt Horst Lenz, technischer Leiter des Kampfmittelräumdienstes Rheinland-Pfalz. Es sei völlig unklar, wie viele Bomben die Alliierten abgeworfen haben und welche explodiert sind. Tatsächlich gibt es keine Statistik und genauen Karten zu allen geborgenen Bomben, viele waren gleich nach dem Krieg entschärft worden. Grobe Schätzungen gehen von etwa 100 000 Blindgängern aus.

In Berlin wird erst seit 1947 gezählt. Insgesamt 7300 Bomben mit einem Gewicht von mehr als 50 Kilogramm wurden seither gefunden und dann entschärft oder gesprengt. Der Stadtentwicklungssenat geht von weiteren 3000 Blindgängern aus, darunter sind aber nicht nur Weltkriegsbomben, sondern auch Granaten und andere Munition. Jährlich vier bis acht Bomben werden laut Senatsverwaltung im Schnitt gefunden.

Bildergalerie: Bombensprengung in München

Besonders belastet ist auch das Land Brandenburg, und dort speziell Oranienburg. An keinem anderen Ort in Deutschland ließen die Alliierten so viele Bomben mit chemischem Langzeitzünder fallen. „Nachweislich sind 16170 Bomben gefallen“, sagt Horst Reinhardt, Technischer Leiter des brandenburgischen Kampfmittelbeseitigungsdienstes (KMBD). Noch 300 Blindgänger sollen im Untergrund liegen. Landesweit wurden seit 1991 etwa 73 000 Brandbomben sowie 15 000 Sprengbomben über fünf Kilogramm geborgen und vernichtet.

Video: Bombensprengung verwüstet Häuser

Welche Gefahren gehen von den Blindgängern aus?

Die Bomben mit normalem mechanischem Zünder, der beim Aufschlag die Detonation auslöst, sind weniger gefährlich, sagt Reinhardt. Selbst wenn die Blindgänger unter Bahnanlagen oder stark befahrenen Straße liegen und schweren Erschütterungen ausgesetzt sind. Heikel sind die Bomben mit chemischem Landzeitzünder, wie jene, die am Dienstagabend in München gesprengt werden musste. Sie gelten als unberechenbar. Ursprünglich hatten die Alliierten diese Bomben fallen lassen, um in deutschen Städten Angst und Schrecken zu verbreiten. Je nach Einstellung sollten sie nach zwei bis 24 Stunden explodieren. Beim Aufschlag zerbricht ein Glas mit Aceton. Die Flüssigkeit zersetzt ein Zelluloid-Plättchen, das den mit einer Feder unter Spannung gesetzten Bolzen davon abhält, auf die Sprengladung zu schlagen und die Explosion auszulösen. Bei vielen Bomben versagte dieser Mechanismus – ein Konstruktionsfehler. Das Zelluloid ist inzwischen derart spröde, dass die Experten jederzeit mit Selbstdetonationen rechnen. Seit Ende der 1970er Jahre gab es in Oranienburg fünf. Die Kampfmittelräumdienste haben regelmäßig große Probleme mit derlei Zündern. So gut wie alle tödlichen Unfälle im Zusammenhang mit der Entschärfung oder Sprengung von Fliegerbomben ereigneten sich im Zusammenhang mit Langzeitzündern.

Wird nach den Bomben systematisch gesucht?

7300 Fliegerbomben wurde bisher in Berlin geborgen. Noch 3000 Blindgänger werden im Untergrund vermutet.
7300 Fliegerbomben wurde bisher in Berlin geborgen. Noch 3000 Blindgänger werden im Untergrund vermutet.

© picture alliance / dpa

Woher hat man die Erkenntnisse über die Blindgänger?

Die staatlichen Munitionsbergungsdienste haben sich die Luftbilder der Alliierten besorgt – gegen bares Geld. Darauf lässt sich erkennen, wo die Bomben eingeschlagen sind. In Städten und dichter besiedelten Gebieten sind diese Karten aber weniger aussagefähig, zumal wenn sie dort einen Einschlag neben dem anderen zeigen. Zudem haben sich die Dienste die Befehlspapiere besorgt, in denen aufgelistet ist, wie viele Flieger an welchen Tagen wie viele Bomben auf bestimmte Ziele werfen sollten.

Wird systematisch gesucht und entschärft?

Wo Bomben mit chemischem Langzeitzünder liegen, wird systematisch gesucht, so seit Jahren in Oranienburg, ebenso in Potsdam. Zuerst wird dabei das Gelände von Kindertagesstätten und Schulen unter die Lupe genommen. Allein Brandenburg, wo zehn Prozent der Landesfläche als belastet gelten, gibt dafür im Jahr 315 Millionen Euro aus, in Berlin sind es 1,9 Millionen Euro. Der Bund trägt davon nur den kleinsten Teil, nämlich nur die Kosten für die Bergung von Wehrmachtsmunition. Die Ausgaben für die Beseitigung der Munition der Alliierten tragen die Länder. Brandenburg und Niedersachsen streben deshalb eine Gesetzesänderung an. Der Bundesrat stimmte dem zu, der Bundestag hat sich noch nicht damit befasst. Die Bundesregierung ist gegen eine Änderung.

Bildergalerie: Bombensprengung in München

Die Entschärfungsmethoden wurden in den vergangenen Jahren weiterentwickelt. So verwendet man in Brandenburg und Niedersachsen ferngesteuerte Wasserschneidgeräte, mit denen der Zünder aus dem Stahlmantel herausgeschnitten wird. Die Entschärfung per Hand gilt inzwischen als viel zu gefährlich, denn sie sind mit einer Ausbausperre versehen.

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