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Leichen am Strand von Catania. Die Toten sind Flüchtlinge aus Nordafrika, die mit ihrem Boot kurz vor der sizilianischen Küste kenterten und an Land schwimmen wollten.

© AFP

Flüchtlinge aus Nordafrika: Schlepperboot strandet in Urlaubsparadies

Beim Versuch, an Siziliens Ostküste an Land zu gehen, sterben sechs Menschen. Die Flüchtlinge aus Syrien und Ägypten waren zusammen mit 94 anderen auf einem Fischerboot im Mittelmeer unterwegs.

Drei Kreuzfahrtschiffe mit mehr als zehntausend Urlaubern, ein Fischerboot mit hundert Flüchtlingen – und sechs Leichen am Badestrand. Der Samstag war ein Tag der Extreme für die Stadt Catania am Fuß des Ätna. Den kaufkraftstarken Schiffstourismus anzukurbeln, das ist erst jetzt in nennenswertem Umfang gelungen. Weitab aller Routen lag die ostsizilianische Stadt bis zu diesem Wochenende auch in Bezug auf die Flüchtlinge, die wieder zu Zehntausenden aus Nordafrika nach Europa strömen.

Das Fischerboot mit den Menschen aus Syrien und Ägypten kam am Samstag in der Morgendämmerung an der sizilianischen Küste an. Etwa fünfzehn Meter vor Catanias Strand lief es auf eine Sandbank. Etliche junge Männer sprangen ins Wasser, um – wie Ermittler danach bei ihren Begleitern erfragten – das Ufer zu Fuß zu erreichen. Das Meer war aber tiefer, als sie dachten, und sie konnten nicht schwimmen. Sechs von ihnen ertranken; sie waren zwischen 16 und 24 Jahre alt. Polizei, Feuerwehr und die ersten Badegäste retteten die anderen – unter ihnen mehr als fünfzig Minderjährige und Kleinkinder. Drei Schlepper sollen ins Wasser gesprungen und geflohen sein. Woher das offenbar robuste und funktionstüchtige Boot mit den arabischen Aufschriften wirklich kam, war am Sonntag noch unklar. Die Flüchtlinge behaupteten, sie seien vor einer Woche im ägyptischen Alexandria losgefahren, um sich – in erster Linie die Syrer an Bord – vor dem Bürgerkrieg zu Verwandten in Frankreich zu retten. Die Ermittler halten es aber auch für möglich, dass Schleuser sie auf einem größeren Schiff zuerst bis kurz vor Sizilien geschafft und auf hoher See in kleinere Boote verteilt haben. So haben es in den großen Schmuggelzeiten vor drei, vier Jahrzehnten die Italiener mit ihren Zigarettenladungen gemacht, so machen es professionelle Menschenschmuggler aus Nordafrika heute. Die Tatsache, dass das Schiff nicht die näher an der nordafrikanischen Küste gelegene italienische Insel Lampedusa ansteuerte und an der Küstenwache vorbeikam, deute auf ein organisiertes Netzwerk hin, sagte Staatsanwalt Salvi. Möglicherweise gebe es Verbindungen zu örtlichen Kriminellen wie der sizilianischen Mafia.

1500 Dollar will ein 19-jähriger Syrer an die Organisatoren seiner Überfahrt bezahlt haben: „Nur einmal am Tag gaben sie uns Wasser zu trinken, nur alle 48 Stunden ein Stück Brot“, zitierte ihn am Sonntag die Zeitung „La Repubblica“: „Und – verflucht – dann haben sie mich auch noch in Italien abgesetzt, nicht in Frankreich, wie vereinbart.“ Laut Sprecher der Hafenbehörde, Roberto D’Arrigo, ist es ungewöhnlich, das Flüchtlingsboote die Gegend von Catania erreichen. Sie kämen in der Regel weiter südlich auf Sizilien an oder steuerten die Insel Lampedusa an. Dario Monteforte, der Besitzer der Strandanlage Lido Verde, der die Rettungskräfte alarmierte, schloss für das Wochenende die Pforten. „Dies scheint mir das Mindeste an Respekt zu sein für die Opfer und für die Menschen, die leiden“, sagte er dem Sender Sky TG24.

Italienische Regierungsmitglieder forderten mehr Unterstützung der Europäischen Union bei der Bewältigung des Flüchtlingsansturms auf die italienischen Küsten. Diese markierten „nicht nur nationale Grenzen, sondern auch europäische“, sagte Innenminister Angelino Alfano. Die aus Kongo stammende Integrationsministerin Cécile Kyenge sagte, es müsse mehr Druck auf Brüssel ausgeübt werden, damit Italien mit „diesen dramatischen Situationen“ nicht allein konfrontiert sei.

Jedes Jahr versuchen zehntausende Menschen aus Afrika über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Nach einem starken Rückgang 2012 haben die Flüchtlingszahlen in den ersten sieben Monaten des laufenden Jahres wieder erheblich zugenommen. Nach Angaben der europäischen Grenzschutzbehörde Frontex sind allein auf der Insel Lampedusa mehr als 12<ET>000 Afrikaner und Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Nahen Osten gelandet; im Vergleichszeitraum 2012 waren es knapp siebentausend. Im bisher „historischen“ Spitzenjahr 2011, während des „Arabischen Frühlings“, waren von Januar bis Juli mehr als 50<ET>000 Menschen übers Meer gekommen.
Derzeit sind die Flüchtlingsbewegungen aufgrund der ruhigen Wetterbedingungen besonders intensiv. Fast 90 Bootsflüchtlinge wurden am Samstag zwischen Spanien und Marokko aus Seenot gerettet. Am Vorabend waren bereits 39 Einwanderer in der Meerenge von Gibraltar abgefangen worden. In der Nacht zum Mittwoch waren rund hundert Einwanderer aus Syrien vor der Küste von Kalabrien gerettet worden. Wegen des Bürgerkriegs in ihrem Land mussten bislang fast zwei Millionen Syrer fliehen. mit AFP

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