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Flug-Experte: "Zum Starten reicht ein Triebwerk"

Das schreckliche Flugzeugunglück von Madrid hat 153 Menschen das Leben gekostet. Die Ursachen des tödlichen Unfalls sind noch nicht bekannt. Fest steht, dass der Flieger der Spanair unmittelbar nach dem Start abgestürzt ist, außerdem soll Sekunden zuvor ein Triebwerk in Flammen aufgegangen sein. Flugkenner Clemens Bollinger über die Gefahren von Starts und Landungen, Flugabbruch und das Fliegen mit nur einem Triebwerk.

Beim Flugzeugunglück von Madrid ist die Spanair-Maschine unmittelbar nach dem Start abgestürzt. Die Ursachen stehen noch nicht fest. Was ist generell an Starts und Landungen so problematisch?

Start und Landung sind beides Flugphasen, in denen das Flugzeug extrem langsam unterwegs ist. Das heißt, die Geschwindigkeit der Luftströmung an den Tragflächen ist beim Start und bei der Landung relativ gering, und zusätzlich ist der Erdboden in der Nähe. Mit Hilfe von Start- und Landeklappen wird der Auftrieb erhöht und somit Instabilität ausgeglichen. Diese Tatsache an sich führt aber nicht dazu, dass ein Flugzeug Probleme bekommt, sondern es sind andere Dinge, die bei Start und Landung hinzukommen müssen.

Es gibt viele Möglichkeiten. Ein größerer Vogel, der in ein Triebwerk gerät, kann das Triebwerk zu unrundem Laufen oder gar zum Ausfall bringen. Es können Winde und Böen sein, die ein Flugzeug vom Kurs abbringen. Es können technische Defekte sein. Gibt es einen Absturz, können zahlreiche Faktoren dafür verantwortlich sein. Meist ist es eine Verkettung unglücklicher Umstände.

Der Pilot der Spanair-Maschine soll beim Start Probleme gemeldet haben. Kann man einen Start nicht einfach abbrechen?

Das kommt darauf an, in welcher Phase des Starts sich das Flugzeug gerade befindet. Es gibt für jeden einzelnen Start genau vorgeschriebene und ausgerechnete Entscheidungsgeschwindigkeiten. Bis zum Erreichen dieser Entscheidungsgeschwindigkeit X kann der Pilot den Start abbrechen. Jenseits dieser Geschwindigkeit muss der Pilot den Start durchführen, weil sonst die zur Verfügung stehende Startabbruchstrecke nicht mehr ausreichen würde, sprich, der Pilot könnte nicht mehr schnell genug bremsen.

Und was macht ein Pilot, wenn er über die Entscheidungsgeschwindigkeit bereits hinaus ist und merkt: Es gibt ein Problem?

Er fliegt, er hat keine andere Wahl. Es kommt dann darauf an, herauszufinden, was das Problem ist. Im Cockpit werden nach vorgeschriebener Prozedur die Checklisten gelesen, und es wird versucht, den Fehler einzugrenzen. Am sichersten ist es wohl, an den Ausgangsort zurückzukehren, das heißt, eine Platzrunde zu fliegen und wieder zu landen. Normalerweise ist das problemlos möglich und wird auch immer wieder trainiert.

Vor dem Absturz des Flugzeugs in Madrid soll ein Triebwerk explodiert sein...

... was aber nicht fest steht.

Angenommen, das Triebwerk ist explodiert: Kann das Flugzeug deshalb abgestürzt sein?

Ich kann das im aktuellen Fall wirklich nicht beurteilen. Alles ist noch hochspekulativ. Natürlich könnte theoretisch ein explodiertes Triebwerk für einen Absturz verantwortlich sein. Dann nämlich, wenn es beispielsweise die Steuermechanik hinten im Heck beschädigt hat und das Flugzeug dadurch vom Kurs abkommt. Das wäre denkbar. Aber im Madrider Fall gibt es derzeit noch unendlich viele Möglichkeiten über den Hergang und Ablauf des Unglücks.

Sie sagen, ein explodiertes Triebwerk kann theoretisch Schuld am Absturz sein. Sind intakte Triebwerke denn nicht zwingend erforderlich?

Man muss wissen, dass Flugzeuge nur zugelassen werden, wenn sie unter allen denkbaren Wetterbedingungen auch nur mit einem Triebwerk sicher starten könnten. Auch das in Madrid abgestürzte Flugzeug ist selbstverständlich in der Lage gewesen, auch mit nur einem Triebwerk und voll beladen den Start fortzusetzen. Mit einem Triebwerk kann problemlos geflogen werden. Natürlich nicht mehr so schneidig, wie mit zwei funktionierenden Triebwerken, denn das Flugzeug hat nur noch die Hälfte der Antriebsleistung. Aber es kann steigen und fliegen.

Kippt das Flugzeug nicht, wenn nur ein Triebwerk funktioniert?

Nein, das wird ausgetrimmt. Beim abgestürzten Flieger in Madrid handelt es sich um eine Baureihe, die sogar den Vorteil hat, dass beide Triebwerke praktisch direkt am Rumpf angebracht sind. Das heißt es hat gar nicht dieses Drehmoment wie Flugzeuge, bei denen die Triebwerke unter den Tragflächen rechts und links angebracht sind, wodurch also der asymmetrische Schub beim Ausfall eines Triebwerks deutlicher zu Tage tritt. Aber selbst bei diesen Fliegern wird der Schub problemlos weggetrimmt.

Falls in Madrid also das Triebwerk explodiert sein sollte, muss das nicht automatisch Auslöser des Unglücks sein?

Aus meiner Sicht nicht zwingend. Die Asymmetrie des Schubs bei solchen Flugzeugen ist praktisch gleich null.

Es wurde berichtet, dass ein Temperaturmessgerät vor dem Flug kaputt war, aber noch schnell repariert wurde. Könnte ein kaputtes Messgerät einen Flieger abstürzen lassen?

Ein nicht intaktes Messgerät bringt an sich noch keinen Schaden. Eine andere Frage wäre, was das angeblich defekte Messgerät denn angezeigt hat.

Wird man bald herausfinden, woran es gelegen hat?

Es wird nach Lage der Dinge wohl alles minutiös rekonstruierbar sein. Ich glaube nicht, dass es dieses mal allzu lange dauert. Üblicherweise ist es so, dass solche Untersuchungen bis zum Abschlussbericht Monate, manchmal sogar Jahre dauern können. In Madrid sind die Flugschreiber bereits gefunden und die Auswertungen werden sicher bald beginnen.

Interview von Simone Bartsch

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