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Panorama: Flughafen-Party: Techno Guerillero

Es ist kurz vor zwei Uhr früh im Hangar des Flughafens "El Dorado" von Bogota. 4000 Leute sind gekommen, um den Berliner DJ Christopher Fink (25), zu hören.

Es ist kurz vor zwei Uhr früh im Hangar des Flughafens "El Dorado" von Bogota. 4000 Leute sind gekommen, um den Berliner DJ Christopher Fink (25), zu hören. In wenigen Minuten soll er auflegen, bis morgens um sechs. Unter der Bühne steht wie verabredet eine Sauerstoffflasche. Techno: 2600 Meter über dem Meeresspiegel, auf dem Andenhochplateau Kolumbiens. "Da hat mich die Angst gepackt, ich würde nicht genug Luft bekommen," sagt Fink.

Den Sauerstoff hat er nicht gebraucht, aber Techno im Land von Salsa, Merengue und Tango? "Vielleicht werde ich zum ersten Mal ausgebuht, ich weiß nicht, was die Leute hier mögen", zweifelt Fink noch kurz vor seinem Auftritt. "I have a dream...", die berühmte Rede von Martin Luther King eingerahmt von harten Beats: das Stück "free at last" von Simon. Die Techno-Freaks aus Bogota, sie sind zwischen 18 und 28 Jahre alt und haben umgerechnet 33 Mark für die Eintrittskarte ausgegeben. Jetzt schreien sie ihre Begeisterung einfach raus. Die 40 000-Watt-Anlage hat Mühe gegen diese Stimm-Gewalt anzuwummern. Das gelingt, aber TÜV-tauglich ist die gesamte Technik nicht.

Plattenspieler und Mischpult stehen auf einer Tischplatte, die mit Tauen an der Deckenkonstruktion der Halle hängt. Innerhalb von acht Stunden mußten die Veranstalter "Underground Music" zusammen mit den Berliner Produzenten Fernando Cortes und Andreas Templin umplanen. Die Guerilla-Organisation FARC und kolumbianische Regierungsunterhändler hatten sich kurzerhand zu Verhandlungen auf dem Flughafen verabredet und die Sicherheits-Behörde hatte Bedenken angemeldet. Jetzt ist man, um die Friedensgespräche nicht zu stören, mit der Party in eine etwas abseits gelegene Halle ausgewichen.

Hier mixt DJ Fink die Bässe und seine Silhouette ist auf der großen Videoleinwand im Hintergrund zu sehen. In diesem ohrenbetäubenden Spektakel wirken seine Bewegungen, wenn er den Platten den Groove gibt, anmutig und verletzlich. Ganz anders als die Musik, zu der jetzt eine Videoshow läuft. Fallschirmjäger springen aus einem Flugzeug ab, segeln im Himmel, aus ihnen werden Tänzer. Plötzlich flimmern schwarz-weiß Bilder vom Nachkriegs-Berlin über die Leinwand, gefolgt von Szenen der Stadt, wie sie heute ist. Vertraute Häuser, Fassaden, Fenster in Mitte und Prenzlauer Berg. Dann Sequenzen von Bombenangriffen. Das flackernde Einschlagen der Bomben geht über in das Zucken der Scheinwerfer der Techno-Party. Ein beängstigendes Szenario. Im Rauch der Nebelschwanden dröhnt und schwitzt die Menge.

Was reizt kolumbianische Jugendliche an einem deutschen DJ? Sie wollen vor allem eins, und das ist Techno und der kommt für sie aus Berlin. Viele hier kennen die Bilder der Love Parade. DJ Mateo Castro (26) aus Bogota, Enkel jüdischer Einwanderer, die 1939 aus Österreich nach Kolumbien flohen erklärt es so: "Bogota ist eine Acht-Millionen Stadt. Aber wir haben hier nicht einen Musik-Laden wo man Schallplatten kaufen kann, es gibt überall nur CDs. Die 250 Scheiben Vinyl, die Fink im Gepäck hat, sind da für uns Gold Wert." Es sind neue Sachen aus Berlin und London. "Die kennen wir hier noch nicht" .

Und der deutsche DJ? "Ja, er ist entspannter und trotzdem härter in dem was er spielt. Er setzt mehr Percussion, mehr Melodie ein", sagt der kolumbianische Kollege. Das kommt an? Castro: "Ja wir lieben beides Techno und Salsa. Es gibt hier eine Art Techno-Tropical, der aus der Dominikanischen Republik und Panama kommt. Eine Mischung aus Techno, Merengue, Salsa und Rap. Für uns ist das kein Gegensatz."

Getanzt wird Techno hier ohnehin völlig anders als in Deutschland. Eng umschlungen und mit geschmeidgigem Hüftschwung. Die stets etwas verloren und abwesend wirkenden Techno-Soldaten, die drei Tage und Nächte mit dem selben Gesichtsausdruck stumpf durchtanzen, die gibt es hier nicht. Trotzdem hat Techno aus Berlin einen Ruf. Castro weiter: " Ähnlich wie damals als die Hippie-Kultur alle einte, sehen wir uns als Rave-Nation geprägt von Peace, Love, Unity, Respect." Castro sieht Gemeinsamkeiten zwischen Berlin und Bogota. "Dort die durch die jahrzehntelange Teilung der Stadt geprägten Menschen und hier, wo du manchmal die Maschinengewehrsalven aus den Bergen hörst, mit Entführungen und Drogenkrieg lebst." In beiden Städten wollen die Menschen, jenseits von Politik, seiner Meinung nach nur eins: Leben.

Lebensfreude und Interesse an aller Art von Musik, deutlich wird das in einem der größten Musik-Läden von Bogota, im Centro Commercial bei Tower Records. Hier stellen Nachwuchskünstler ihre Musik live vor. Ganz nebenbei kann man CDs oder auch Bücher kaufen. Die meisten bleiben, wenn sie etwas erstanden haben und ziehen sich mit ihren Büchern oder Zeitungen zurück in das Café, unmittelbar im Laden. Hier kommt man ins Gespräch und trinkt einen wunderbaren kolumbianischen Espresso. Efraim Shaker (50), der Store Manager kam aus dem Libanon nach Bogota. Er berät die jungen Leute die nach Techno fragen genauso gut, wie den alten Mann, der Akkordeon Musik will. Ewig lange sieht man die beiden zwischen den Regalen suchen und gestikulieren. Shaker kennt seine Kundschaft genau und schätzt an ihr die Offenheit, die ständige Suche nach Neuem.

Eduardo Ruiz, (25) hört sich durch einen riesigen Stapel CDs mit afrikanischer Musik. Er leitet eine "modern dance company" und sucht Musik, die sich gut in Bewegungen umsetzen läßt. Er tritt in Bogota und Cartagena auf, unterrichtet Tanz an der Hochschule für moderne Kunst von Bogota, und gibt Stunden an der Universität von Santander. Techno mag er absolut nicht, für ihn ist das keine Musik." Zu viele Wiederholungen, zu langweilig. Nichts zum Tanzen", sagt er.

Susanne Tenhagen

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