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Panorama: Folter: Straßburg nimmt sich des Falls Gäfgen an

Der Gerichtshof für Menschenrechte fordert Deutschland auf, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen

Beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) hat der wegen Entführung und Ermordung Jakob von Metzlers verurteilte Magnus Gäfgen jetzt eine wichtige Hürde genommen. Auf Anfrage bestätigt Rechtsanwalt Michael Heuchemer, dass die III. Kammer die Vorprüfung seiner Beschwerde wegen der Folterdrohung gegenüber seinem Mandanten abgeschlossen und die Bundesrepublik Deutschland zur Stellungnahme aufgefordert habe. Dieser Erfolg sei der bedeutendste Schritt vor einer Entscheidung in der Sache.

Angesichts des konfliktträchtigen, in Deutschland die Gemüter erhitzenden Sachverhalts sprechen Insider von einer mutigen Straßburger Entscheidung. Der weitaus größte Teil der jährlich über 40000 Beschwerden scheitert bereits an der Vorprüfung. Wie der Tagesspiegel weiter erfuhr, hebt der EGMR auf das Landgericht Frankfurt und des Bundesverfassungsgericht ab. Im „Statements of Facts" (Näheres unter www.magnus-gaefgen.de) betont die Kammer mehrfach, dass nach deren Entscheidungen im Fall Gäfgen eine Verletzung des Folterverbots gemäß Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Artikel 1 und 104 des Grundgesetzes vorgelegen habe. In seiner Beschwerdeschrift hatte Heuchemer ausgeführt, dass gegenüber seinem Mandanten das verbürgte Recht auf „faires Verfahren" und „die Garantie des Folterverbots massiv verletzt" worden sei und dies mit der von Frankfurts Polizeivize Wolfgang Daschner angeordneten „Folterdrohung" gegenüber dem Beschuldigten Gäfgen begründet. Daschner hatte 2002 in einem „Vermerk" festgehalten, der Tatverdächtige Jurastudent Gäfgen solle „zur Rettung des Lebens des entführten Kindes" nach „vorheriger Androhung, unter ärztlicher Aufsicht, durch Zufügung von Schmerzen (keine Verletzungen) erneut" befragt werden. Auch von der Beschaffung eines „Wahrheitsserums" war die Rede. Damit konfrontiert, hatte Gäfgen den Fundort von Jakobs Leiche genannt.

Den Straßburger Entscheid wertet Heuchemer schon jetzt als „herausragenden Erfolg für den Schutz der Menschenrechte, ein Stück Rechtsgeschichte". Für ihn hat die Klage „grundsätzliche Bedeutung", da es um die Frage gehe, ob Geständnis und Beweisergebnis „mit der Drohung massiver physischer Schmerzen erpresst werden dürfen". Ausdrücklich betont der Jurist, Gäfgens Vorstoß erfolge nicht mit dem Ziel, eine in solchen Verfahren sonst übliche finanzielle Entschädigung zu erreichen.

Um dies zu unterstreichen, werde der 2003 zu lebenslanger Haft verurteilte Gäfgen zudem den Erlös seines dieser Tage erscheinenden Buches „Allein mit Gott – der Weg zurück" wohltätigen Zwecken stiften. Der Häftling wolle „in materiell fühlbarer Weise zur Wiedergutmachung entstandenen Unrechts beitragen". Die Bundesrepublik Deutschland als Beschwerdegegnerin muss sich nach dem Fahrplan der Straßburger Kammer bis zum 9. Dezember zu den Vorwürfen äußern. Danach kommt es zur weiteren materiellen Prüfung des Falles. In den meist Jahre dauernden Verfahren muss dann auch die Seite Gäfgen erneut Stellung nehmen. Auf das „Lebenslänglich“ für den wegen Mordes verurteilten Gäfgen hätte eine Verurteilung Deutschlands durch Straßburg keine kasatorische, d.h. ändernde Wirkung.

In Deutschland ist der Rechtsweg von ihm ausgeschöpft, auch die für ihn letzte Instanz kann am Schuldspruch nicht mehr rütteln. Sein Klient, so Heuchemer, klage indes mit dem Ziel, für die Zukunft Folter im Strafverfahren durch eine Straßburger „Leitentscheidung" prinzipiell zu verhindern: „Dies ist von weitreichender symbolischer Bedeutung.“

Jürgen Schreiber

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