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Frauen in Pakistan: Es ist eine Schande

Mahik, 24, lebt in Pakistan, einem der Länder, die laut einer Studie für Frauen die gefährlichsten der Welt sind. Sie hat zwei Kinder, aber keinen Mann – und ist so auch ihrer eigenen Familie wenig wert.

Manchmal ist sie sogar zu müde, um den Fernseher anzuschalten. Sie starrt dann einfach ins Leere, und die Zeit verrinnt.

Draußen in der Gasse des Slums von Lahore, Pakistan, spielen ihre beiden Töchter, die acht und fünf Jahre alt sind.

Und irgendwann wird drinnen das Telefon klingeln. Sie wird den Anruf annehmen, eine Adresse genannt bekommen und die notieren. Sie wird sich zurechtmachen und zu der Adresse gehen. Dort wird ein fremder Mann auf sie warten. Ihre Gedanken werden durch die Welt wandern, während ihr Körper auf dem Laken zurückbleibt. Zu Hause wird sie sich danach lange waschen.

Mahik ist 24 Jahre alt, eine junge, blasse Frau, vom Vater ihrer Kinder geschieden. Sie arbeitet als Prostituierte, man nennt das in Pakistan „Business“. Sie tue das, sagt sie, damit ihre Töchter es mal besser haben als sie. Sie tut es aber auch, weil ihre Familie, die Eltern und die beiden jüngeren Brüder, sie dazu gedrängt hat. Weil auch die von ihrer Arbeit leben, für die Mahik von der umgebenden Gesellschaft verachtet wird. Die Nachbarn jedenfalls machen schon lange einen Bogen um sie. Das, was die an ihr sehen, kann sie nicht abwaschen.

Als Muslimin könnte sie wieder heiraten. Als Christin darf sie es nicht.

Man kann Mahik im Büro einer Schule treffen, die sich um Kinder von Frauen wie Mahik kümmert, in einem heruntergekommenen Wohngebiet in der Millionenstadt. Mahik hat ihren besten Salmar Kameez, das traditionelle Hängehemd mit Hose, angezogen. Komal, die jüngere ihrer Töchter, schmiegt sich an sie, während draußen Schulkinder in blauen Uniformen lärmend die Pause verbringen.

Mahik erzählt von ihrem Leben, in dem es kaum je einen selbstbestimmten Moment gegeben habe. Immer haben andere über sie verfügt. Über ihren Körper, ihr Herz, ihre Seele. Nie wurde nach ihrer Meinung gefragt. Obwohl doch die Eltern und die beiden Brüder auf ihre Kosten leben. Jeden Monatsanfang gibt Mahik ihnen Geld. Die Eltern sagen, es tue ihnen leid, wie die Tochter das Geld verdiene. Die Brüder aber – „sie sind nicht gut“, sagt Mahik –, 17 und 19 Jahre alt, drohten sogar, sie und die Töchter auf die Straße zu werfen, wenn sie nicht die Hälfte aller Kosten bestreitet.

Mahik lebt in einem der fünf Länder, die einer Studie der Londoner Thomson-Reuters-Stiftung zufolge für Frauen die gefährlichsten der Welt sind. Während Frauen in Afghanistan und Kongo am meisten von Gewalt und Armut betroffen seien, leiden demnach Pakistanerinnen wie Somalierinnen besonders unter häuslicher Gewalt und wirtschaftlicher Diskriminierung. Und es wächst in Pakistan die Zahl derjenigen Frauen, die im „Business“ einen Ausweg suchen, es sind immer häufiger auch verheiratete.

Lesen Sie auf Seite zwei, wie das Leben als Christin in Pakistan ist.

Mahik ist wie ihre Eltern und ihre Brüder Christin. Etwa zwei bis drei Millionen Christen leben in der Islamischen Republik Pakistan. Ihre Vorfahren waren Dalits, also Unberührbare, die zum Christentum konvertierten, um dem Kastensystem zu entrinnen. Bis heute zählen sie zur untersten Schicht in dem 185-Millionen-Einwohner-Land. Aber Mahiks Geschichte könnte sich auch unter Hindus oder Muslimen zutragen. Nur einen Unterschied gibt es: Als Muslimin könnte sie wieder heiraten. Dieser Weg ist den pakistanischen Christinnen versperrt. Christen nicht: Bei den Männern werden beide Augen zugedrückt. Doch keiner der Christen aus ihrer Gemeinde würde Mahik nehmen.

Und so ist es vielleicht ihr sehnlichster Wunsch, allein zu leben, doch in Pakistan wird der sich niemals erfüllen. Dort braucht eine Frau den Schutz eines Mannes, auch die Töchter wären nicht sicher.

Jeden Sonntag geht die Familie gemeinsam in die Kirche. Die Eltern und die Brüder sitzen dann mit erhobenen Köpfen im vorderen Bereich, und Mahik verdrückt sich in einer der hintersten Bankreihen. Wenn die Leute sie ansehen, senkt sie den Kopf.

In ihren Gebeten, sagt sie, bitte sie Gott um Vergebung. „Ich will nicht dieses Leben in Sünde führen“, erzählt sie ihm. Aber sie zweifelt, dass Gott sie hört. Und ihre Geschichte ist auch keine besondere. Es gibt viele Frauenschicksale in Südasien, in den armen Ländern der Welt, die dem von Mahik ähneln.

In der ärmlichen Schule, ihr Kind im Arm, erzählt sie davon und fängt dabei immer wieder zu schluchzen an. Oft braucht sie Minuten, um weiterzureden, um die Bruchstücke ihres Lebens zu einem Bild zusammenzufügen.

Pakistanerinnen leiden weltweit am meisten unter häuslicher Gewalt

Sie ist 14 Jahre alt, als die Eltern sie an einen zehn Jahre älteren Mann verheiraten. Auch er ein Christ. „Er ist nun dein Ein und Alles“, sagen sie der Tochter. Und die gehorcht. Die Eheleute ziehen, wie in Südasien üblich, zu den Schwiegereltern. „Zwei Jahre hat es gebraucht, bis ich erstmals schwanger wurde“, erzählt sie. Es klingt, als wolle sie sich entschuldigen dafür, dass ihr kindlicher Körper eine Schwangerschaft verweigerte. Die Ehe läuft nicht gut. Ihr Mann ist kaum zu Hause, auch nachts nicht, dafür stellt ihr der Schwiegervater nach. Er bedrängt sie, versucht, sie zu vergewaltigen. Vielleicht hat er es auch getan, aber das würde Mahik nie aussprechen, weil nicht er, sondern sie „beschmutzt“ wäre.

So geht das Leben weiter, sie bekommt ein weiteres Kind, sieht ihren Mann nicht oder wird von ihm geschlagen, wenn sie nach Geld für sich und die Mädchen fragt, und dann kommt der Tag, der ihr den Boden unter den Füßen wegreißt. Eine Nichte erzählt ihr, dass ihr Mann noch eine andere Ehefrau habe, eine, die er vor ihr geheiratet hat. Dort sei er die meiste Zeit, der zahle er Geld, mit der habe er bereits drei Kinder.

Mahik schluckt Tabletten, alle, die sie im Haus finden kann, darunter sind auch Psychopharmaka. Die Schwiegereltern bemerken das, bringen sie aber nicht zum Arzt, sie wollen keinen Skandal. Sie sperren die Schwiegertochter in eine kleine Kammer, geben ihr Wasser und warten ab. Zehn Tage ist Mahik am Rande des Wahnsinns, zerkratzt sich den Körper, schreit stundenlang wie eine Besessene. Dann wird ihr Vater informiert, der die Tochter nach Hause holt.

Da sitzt sie dann. Knapp 20 Jahre alt, mit zwei kleinen Töchtern und ohne Mann. „Geschieden“ – das ist ein Bannstrahl, das Ende aller Hoffnung auf ein ehrenhaftes Leben. Kein guter Christ in Pakistan nimmt „so eine“. Und auch für die eigene Familie ist „so eine“ nicht mehr als eine unbezahlte Magd.

Ein paar Monate arbeitete Mahik als Hausmädchen. 4000 Rupien verdient sie im Monat, 33 Euro, genug für ihre Töchter und sich. Doch die Brüder verlangen, dass sie die Hälfte der Miete zahlt, des Stroms, des Essens. Immer wieder borgt Mahik sich Geld von ihrer Freundin Rabia, damit die Brüder Ruhe geben. Geld, das die im „Business“ verdient hat.

Lesen Sie auf Seite drei, wie Mahik beginnt als Prostituierte zu arbeiten.

„Warum steigst du nicht auch ein“, fragt Rabia eines Tages. Und als Mahik einwilligt, benachrichtigt Rabia die „Madam“, die Zuhälterin. In Pakistan sind es oft Frauen, die die Mädchen vermitteln. 1000 Rupien bekommt die „Madam“ von jedem Kunden, die Hälfte – 500 Rupien – bekommen die Prostituierten. So kommt sie auf 10 000 bis 15 000 Rupien, 80 bis 125 Euro, im Monat. Nun sind ihre Brüder zufrieden.

Der Job der Prostituierten ist gefährlich. Einmal habe die „Madam“ Mahik und Rabia zusammen zu einem Termin geschickt, da warteten statt zwei Männern acht auf sie. „Wir haben ihnen gesagt, dass das körperlich nicht geht, dass wir kaputt gehen. Aber es war ihnen egal“, erzählt Mahik. Am Ende verdankte sie es dem Jüngsten, dass sie einer Gruppenvergewaltigung entgeht. Er hat Mitleid mit den verängstigten Mädchen.

Es sind Momente wie diese, die Mahik in ihrem Gedächtnis aufbewahrt wie Juwelen in einer Schmuckschatulle. Diese seltenen Momente, in denen jemand sie nicht wie ein Tier, sondern wie einen Menschen behandelt.

Auch eine andere Geschichte erzählt sie gerne. Einmal habe sie einen Freier gehabt, der sei auch Christ gewesen. Als er erfahren habe, dass sie keine Muslimin, sondern Christin sei, habe er ihr das Geld gegeben, aber darauf verzichtet, ihren Körper zu benutzen. Manchmal rufe er sie noch heute an, um zu fragen, wie es ihr gehe. Aber helfen könne auch er ihr nicht. Er habe seine eigene Frau und seine Kinder.

Die Ärztin gibt ihr Medizin und einen Rat - den sie nicht annimmt

Zwei Stunden erzählt Mahik von ihrem Leben, oft stockend, oft unter Tränen, und lächelt nur ein einziges Mal. Das ist, als sie von den Seifenopern erzählt, die sie im Fernsehen guckt. Am liebsten mag sie die bunten kitschigen Familiendramen aus Indien. Die Frauen dort tragen schöne Saris. Und alle haben Ehemänner. Scheidung – so etwas kommt in den Serien nicht vor. Prügel auch nicht. Hunger nicht. Und auch keine Krankheiten.

Mahik fühlt sich nicht wohl. „Schon seit acht oder neun Monaten nicht“, sagt sie. Sie hat ständig Schmerzen im Unterleib. Manchmal fühlt sie sich zu erschöpft, um morgens aufzustehen. Sie hat sich irgendetwas eingefangen. Aber ihr fehlt das Geld, um zur Frauenärztin zu gehen. Und sie verdient nun auch immer weniger. Wenn sie blutet, kann sie nicht arbeiten. Mahik weiß, dass es gefährlich ist, ohne Schutz mit Männern zu schlafen. „Aber die Männer entscheiden“, sagt sie. „Sie weigern sich, ein Kondom zu benutzen.“ Sie wiegen sich in Sicherheit, in dem Größenwahn, sie seien vor Krankheiten gefeit.

Einer der Schulmitarbeiter kann sich das vom Schmerz verzerrte Gesicht von Mahik nicht länger ansehen. Er bringt sie zu einer Frauenärztin und bezahlt die von seinem Geld. Die Ärztin untersucht Mahik und gibt ihr mehrere Packungen Antibiotika mit. Sie sagt, dass sie immer mehr Frauen wie Mahik sehe. „Du darfst deinem Mann nicht nahe kommen“, befiehlt die Ärztin, obwohl sie weiß, dass ihre Patientin keinen Mann hat. Es ist ihre Art zu sagen, dass Mahik raus aus dem „Business“ muss. Wenn ihr ihr Leben lieb ist.

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