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"Free Hugs": Kurze weiche Pause im harten Alltag

Juan Mann will in der australischen Metropole Sydney nichts verkaufen: Der 25-Jährige bietet kostenlose Umarmungen für Passanten an. Durch das Internet ist er weltberühmt geworden.

Sydney - Juan Mann bereitet sich auf den Mittagsansturm vor. Seit drei Jahren kommt er jeden Donnerstag in die Pitt Street und hält sein Schild "Free Hugs" (Kostenlose Umarmungen) in die Höhe. Anfangs als schräger Vogel belächelt, ist der hoch gewachsene junge Mann dank Internet inzwischen ein Weltstar. Ein Video auf YouTube inspirierte sogar eine Gruppe Japaner zum Nachahmen.

"Jede Woche kommen Leute zu mir und erzählen mir ihre Geschichte, ihr Leid, ihre Fehler, wie sie sich durchschlagen und wie sie dazugelernt haben", erzählt Mann, der seinen wahren Namen aus Sicherheitsgründen nicht nennt. "Ich kann mich glücklich schätzen mit dieser Aktion, ich kann von den Fehlern anderer lernen wie aus meinen eigenen, ich habe die Perspektive vieler Menschen." So froh war der Mann im lilafarbenen Samtjackett nicht, als er seine Kampagne vor drei Jahren begann. Er war aus Europa in seine australische Heimat zurückgekehrt und fühlte sich nach der Scheidung seiner Eltern sehr einsam. "Ich war ganz allein und ich musste irgendetwas unternehmen", erinnert er sich.

"Gefühlsschwamm" für die Menschen

Als er seine Umarmungen zum ersten Mal anbot, war er alles andere als zuversichtlich. Er ließ sein Portemonnaie zu Hause, damit ihn niemand bestiehlt, und er bat einen Freund, ihn aus einiger Entfernung zu beobachten. "Ich rechnete mit dem Schlimmsten", erinnert Mann sich. Doch nach nur 15 Minuten kam eine Frau zu ihm und berichtete, am Morgen sei ihr Hund gestorben, und das am ersten Jahrestag des Todes ihrer einzigen Tochter. "Diese Frau, das war mehr als nur eine Umarmung, es war wirklich wichtig für sie."

Die traurige Frau war nur der Anfang. Seit im September ein Video über Mann auf der Internetseite YouTube erschien, haben 14 Millionen Menschen den Clip angesehen, der von Shimon Moore, Sänger der Rockband Sick Puppies, aufgenommen wurde. In der ganzen Welt gibt es Nachahmer, die kostenlose Umarmungen anbieten. Ironie des Schickals: In der Schule musste sich Mann anhören, er sei für humanitäre Arbeit ungeeignet. Heute ist er der "Gefühlsschwamm" für die Menschen der größten Stadt Australiens. Über seine Erfahrungen schreibt er gerade ein Buch. Dabei hat er viel aufzuarbeiten, denn nach seinen Schätzungen umarmte er in den vergangenen drei Jahren eine halbe Million Mal.

Petition pfiff Stadtverwaltung zurück

In Japans Hauptstadt Tokio bietet jedes Wochenende eine Gruppe von Studenten Umarmungen an, um die Japaner zu mehr Körperkontakt zu ermuntern. Doch die meisten Menschen reagieren beschämt, vor allem ausländische Passanten lassen sich auf die Aktion ein.

Mann glaubt, dass die Menschen jemanden brauchen, der ihnen zuhört, ohne gleich eine Telefonberatung oder einen Psychologen anrufen zu müssen. "Es gibt einfach keine anonymen Stellen, an denen die Menschen ihre Schuldgefühle, ihr Leid und ihre Ängste loswerden können." Doch Manns Lösung ist nicht unumstritten. Die Stadtverwaltung wollte seine Aktion aus "Sicherheitsgründen" verbieten, bis eine Petition mit 10.000 Unterschriften sie von dem Plan abbrachte. Und auch Morddrohungen hat Mann schon erhalten. "Ich werde jetzt überall in Sydney erkannt und habe mir deswegen schon den Schädel rasiert", sagt der Mann, der auf dem Video mit langen dunklen Haaren und Bart zu sehen ist.

Sein einstiges Aussehen hatte ihm sogar Drohungen von Christen eingebracht, die ihm vorwarfen, er sehe aus wie Jesus. "In New York hat mich ein Mann mit einer Pistole bedroht und gesagt: Wenn ich dich jetzt umbringe, wirst du ewig leben." Doch derartige Erfahrungen bestärken ihn gerade darin, weiterzumachen. Er werde so lange weiter umarmen, "bis niemand mich mehr haben will, bis ich ein dreckiger, alter Mann bin", sagt Mann. "Ich muss es tun, aufzuhören wäre egoistisch", fügt er hinzu und ruft einer Frau, die mit ihrem Mittagsimbiss vorbeieilt, hinterher: "Hätten Sie gerne eine Umarmung zu ihrem Sandwich?"

(Von Madeleine Coorey, AFP)

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