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Panorama: Für Ego und Eros

Eine neue Hose ist wie ein neues Leben? Wie Unterwäsche wirkt

Es gibt einen alten Trick, wie man die Angst vor Autoritätspersonen verlieren kann: „Stell sie dir einfach in Unterwäsche vor.“ Das funktioniert ganz leicht: Chefs in Bärchenshorts und weibliche Führungskräfte in fleischfarbener Miederwäsche. Besser noch: beide unisex in Feinripp – und schon wird das Gehaltsgespräch zum Spaziergang.

Doch diese Strategie hat einen Haken: Glaubt man deutschen Einzelhändlern und Dessousherstellern, stimmt das Klischee schon lange nicht mehr, dass Deutsche es untendrunter vor allem praktisch und waschbar mögen. Zumindest was die weibliche Bevölkerung angeht. Man muss sich deutsche Geschäftsfrauen also in Zukunft wohl eher in schwarzseidenen Hüfthaltern als in weißer Baumwolle vorstellen. Denn: „Erotik ein Wachstumsfeld. Es darf nur nicht Porno sein“ – das ist das Fazit eines Gespräches, das die Textilwirtschaft in dieser Woche mit Einzelhändlern und Einkäufern aus der Wäschebranche führte. Die Rechung, die eine Händlerin aus Stuttgart aufmacht, ist einfach: „Spitze ist langweilig, das ist Blümchensex.“ Immer mehr Kundinnen würden nach verschärfter Erotik fragen.

Da passt es gut, dass das britische Wäschelabel Agent Provocateur kürzlich in ein Berliner Kaufhaus einlud und Models in engen roten Korsagen, kleinen Tüllhöschen und Nippeldeckeln mit Quasten vor der Brust durch das kurzfristig in „Boudoir“ umbenannte Untergeschoss stöckeln ließ.

Vor zwölf Jahren begann der Sohn der britischen Designerin Vivienne Westwood, Joseph Corré, zusammen mit seiner Frau Serena Rees, erotische Dessous zu entwerfen, die nichts mehr mit dem Schmuddelimage eines im Bahnhofsviertel gelegenen Sexshops zu tun haben sollten. Seide und feinste Spitze wurden zu Büstenhebern, Strings und Strapsen verarbeitet. Dazu gibt es Peitschen, Handschellen und Schmuck in StacheldrahtOptik. Das ist alles nicht so ernst gemeint – schließlich steht dem Ehepaar aus London der landestypische „Sense of Humor“ zur Verfügung. „Uns geht es nicht um Sadomaso, sondern um Glamour“, sagt die Designerin Serena Rees. Dass gerade die Deutschen an ihren Produkten so interessiert sind, hat man bei Agent Provocateur wirklich nicht erwartet. Doch irgendwann bemerkte das Designerpaar, dass die deutschen Umsätze im Onlinegeschäft, mit dem Agent Provocateur immerhin 65 Prozent seines Gesamtumsatzes erzielt, gleich nach den britischen und US-amerikanischen kommen.

Dass die Deutschen Geld für Dessous ausgeben, merkt die ganze Branche: Zum ersten Mal seit 2000 ist der Umsatz mit Wäsche im vergangenen Jahr wieder gestiegen – auf insgesamt 3,8 Milliarden Euro, davon zwei Milliarden Euro für Damenwäsche. Das geht mit einigen Veränderungen einher: „Es hat eine starke Polarisierung stattgefunden, der Handel sucht sein Heil im Exklusiven“, sagt Michael Albaum, zuständig für Marketingforschung bei der Textilwirtschaft. Die andere Hälfte dieser Wahrheit: Auch die Billigwäsche ist auf dem Vormarsch.

Viele Deutsche kaufen ihre Dessous inzwischen im Supermarkt zusammen mit dem Abendessen ein. BHs und Slips laufen zum Beispiel bei Tchibo so gut, dass der Hamburger Kaffeeröster im vergangenen Jahr eigene Wäscheläden eröffnete. Laut einer aktuellen Studie kaufen 50 Prozent der Kunden ihre Wäsche spontan: „Die Verführung funktioniert über den Preis“, sagt Michael Albaum. Verliebtheit scheint die Deutschen dagegen nicht zur Investition in neue Dessous zu verleiten – nur ein Prozent der Befragten gab als Kaufgrund einen neuen Partner an.

Dass deutsche Frauen ihre Erotik nicht so offensiv zur Schau stellen, findet Serena Rees sympathisch: „Ich mag die Idee, dass die Trägerin weiß, was sie anhat – und sonst niemand. Und sie entscheidet, ob es jemand erfährt. Ich sehe das als ihre Stärke. Ich denke, die Zeiten sind vorbei, in der Frauen dachten, wenn ich sexy Unterwäsche trage, bin ich ein Objekt. Viele unserer Kundinnen kaufen ihre Unterwäsche nur für sich. Viele haben weder einen Mann noch einen Freund, das macht keinen Unterschied.“

Demnach wäre das Tragen von luxuriöser Wäsche zuallererst ein egoistisches Unterfangen. Und zwar eines, das der Trägerin die Macht ihrer eigenen Sexualität bewusst macht – ob sie diese auch nutzt, ist dann eher nebensächlich. Und im Gegensatz zum Designerkleid ist der sündhaft teure BH 24 Stunden einsetzbar. Niemand muss ihn zu Gesicht bekommen – ob nun an einem Montag im Büro oder an einem Freitagabend.

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