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Gefahren: Mit dem Risiko rechnen

Nach dem Unfall von Thüringens Ministerpräsident Althaus stellt sich die Frage: Wie konnte das passieren? Solche Fragen stellen sich Menschen meistens nach einem Unglück. Der New Yorker Mathematiker Nassim Taleb warnt vor der großen Gefahr des Zufalls.

Von Andreas Oswald

Der Skilift auf der Riesneralm befördert pro Jahr eine Million Menschen. Im Winter vor einem Jahr haben sich auf der Piste 35 Unfälle ereignet, darunter war ein leichter Zusammenstoß. Ein ungefährlicher Spaß, konnten Urlauber bisher denken. Mit dem Unfall von Dieter Althaus, Thüringens Ministerpräsident, hat sich das wahrscheinlich geändert. Er selbst, der aus dem Koma aufgewacht ist, wird vermutlich keine bleibenden körperlichen Schäden davontragen, sein Helm hat ihn gerettet. Die Frau, mit der er kollidierte, ist dagegen tot. Warum sind die beiden auf nahezu freier Piste aufeinandergeprallt? Wie konnte das passieren? Und warum hat es ausgerechnet diese beiden getroffen?

Solche oder ähnliche Fragen stellen sich Menschen meistens nach einem Unglück. Millionen Menschen treiben Pferdesport. Warum traf es ausgerechnet Christopher Reeve? Der berühmte Schauspieler wurde von einem Pferd abgeworfen und war danach querschnittsgelähmt. Madonna hatte dagegen noch Glück. Die Sängerin war bei einem Ausritt in England abgeworfen worden, hatte sich schwer verletzt und ist vollständig genesen. Millionen Menschen rasen in jeder Nacht mehr oder weniger betrunken mit dem Auto über Landstraßen. Warum traf es im Oktober des vergangenen Jahres ausgerechnet den Politiker Jörg Haider? Und Millionen Menschen kaufen sich Aktien, oder lassen sich andere Papiere aufschwatzen und tragen ihr Geld zu Banken, die Traumrenditen versprechen.

Das böse Erwachen kommt hinterher. Und hinterher fragen immer alle: Warum ausgerechnet ich? Warum der?

Nassim Taleb ist Professor für Risikoforschung in New York. Der Sohn einer alten Kaufmannsfamilie aus dem Libanon beschäftigt sich mit der Frage, warum Menschen Risiken eingehen, vor allem, warum sie Risiken verdrängen. Taleb zufolge sind Menschen nahezu blind gegenüber Risiken, vor allem blind gegenüber drohenden Katastrophen. Diese brechen über die Menschen oft herein, obwohl sie sie eigentlich hätten erwarten können. In seinem Buch „Der Schwarze Schwan“ beschreibt Taleb, warum die Risiko-Wahrnehmung oft verzerrt ist. Ein Aspekt ist das Gedankenspiel von dem Truthahn, der vom Menschen gezüchtet, von ihm täglich gefüttert wird und der damit jeden Tag mehr der Überzeugung sein muss, dass es der Mensch gut mit ihm meint. Diese Wahrnehmung endet abrupt mit Thanksgiving.

Der Mensch weise von Natur aus die Tendenz auf, von der Vergangenheit auf die Zukunft zu schließen und irre sich deshalb gewaltig, sagt Taleb. Seine These leuchtet ein. Wer tausend Mal Pisten runtergefahren ist, wer tausend Mal ein Pferd geritten, wer tausend Mal riskant auf der Landstraße überholt hat, ohne dass ein Unglück geschah, muss jedes Mal mehr der Überzeugung sein, dass ihm nichts passieren werde, dass er Herr über das Geschehen sei, dass es seine Fähigkeiten in Wahrnehmung und Können seien, die ihn heil davonkommen lassen.

Irgendwann aber passiert das Unglück. Nicht beim zehntausendsten Mal, vielleicht beim hunderttausendsten, vielleicht aber auch schon beim ersten Mal – oder morgen. Und vielleicht nicht mitten im dichten Verkehr, sondern auf freier Strecke, wo eigentlich gar nichts passieren kann und gerade kein anderer zu sehen ist, mit dem man kollidieren könnte.

Der Zufall macht alles möglich. Beim Roulette kann 20 Mal hintereinander Rot kommen. Die große Macht des Zufalls solle der Mensch nicht unterschätzen, sagt Taleb.

Einen Helm zu tragen, das ist schon einmal ein Fortschritt. Althaus soll sich noch mit anderen über einen Zusammenprall im Salzburgischen unterhalten haben, bei dem zuvor ein Thüringer gestorben war.

Langsamer fahren, Hände weg von Aktien, sich zurücknehmen, das Glück nicht zwingen wollen, Ehrfurcht vor dem, was passieren kann, und etwas Demut, vielleicht kann das helfen.

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