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Gekentertes Schiff: Und traurig blickt die Loreley hinab

Hat der Schiffer die Statue angeschaut, als er havarierte? Eindrücke von den Bergungsarbeiten auf dem Rhein.

Er sieht heute düster aus, der Loreley-Felsen, dieser Schieferfelsen bei St. Goarshausen. Gefährlich steil ragt er über den Rhein, stellt sich wie immer in den Weg des gewaltigen Stroms. Der windet sich in engen Kurven durch das Felsmassiv. Es ist die engste Stelle im Rhein, gerade mal 145 Meter breit. Dazu kommen Untiefen, die Geisenrücken, das sind längs im Fluss verlaufende Felsrippen, die an den Rücken einer Geiß erinnern. Die Durchfahrt ist für die Schiffer gefährlich, und das wissen sie alle, schon seit Jahrhunderten. Uralt sind diese Geschichten von all den Unglücken und dieser Loreley, der Nixe, die dem Felsen den Namen gab. Sie war schön, ein Weib mit goldenen Haaren, das die Schiffer auf dem Rhein ablenkte, ihnen den Kopf verdrehte und sie schließlich ins Verderben stürzte. Heinrich Heine hat die Sage von der schönen Jungfrau weltberühmt gemacht.

Der Rhein ist dunkel an diesem grauen Sonntag, fast schwarz. Dass in diesen Strömungen jahrhundertelang die Schiffer ertranken, kann man sich gut vorstellen. Schon wegen der „Waldhof“, sie liegt direkt unterhalb des Felsens. Wie ein großer toter Fisch liegt das gekenterte Schiff auf der Seite. Vor zehn Tagen ist das passiert. Zwei Besatzungsmitglieder werden seitdem vermisst, vermutlich sind sie tot. Zwei andere konnten schwerverletzt aus dem Rhein geborgen werden. Der 110 Meter lange Tanker war unterwegs nach Antwerpen gewesen, dort sollte er einen Standort des Chemiekonzerns BASF mit Säure beliefern. Das Schiff ist mit 2400 Tonnen Schwefelsäure beladen. Das Schiffswrack liegt direkt vor dem Hafen von Sankt Goarshausen und deutet auf die Statue, die dort sitzt: Die gefährliche Loreley. Sie senkt den Kopf – fast so, als schäme sie sich für das, was sie wieder angerichtet hat.

„Da sitzt sie, die Schiffsmörderin“, sagt einer der Polizisten und deutet mit dem Finger auf sie. Dass das Wrack der „Waldhof“ direkt zu Füßen der Loreley-Statue liegt, sorgt für helle Aufregung unter den Schaulustigen in St. Goarshausen. Die 45-jährige Sandra kann sich kaum beruhigen. Immer wieder zeigt sie auf die Loreley, erzählt die Geschichte. Sie fragt sich, ob der Kapitän von der „Waldhof“ wohl zu der Nixe herübergeschaut habe, als er hier vorbeifahren wollte. Die Frau ist arbeitslos, jeden Morgen geht sie am Rhein spazieren, schaut sich das Unglück an. Immer wieder. Seit das Hochwasser etwas gefallen ist, könne man das Schiff viel besser sehen. Noch zwei Buchstaben fehlten, dann sei auch der Schiffsname wieder komplett lesbar, sagt sie. Vor ein paar Tagen war da gar nichts zu sehen. Sie redet und redet. Sie kann sich überhaupt nicht erklären, wie so etwas passieren konnte.

Die Verkäuferin in der Bäckerei ist fassungslos. Immer wieder passierten hier Unfälle, erzählt sie. Ihr Mann sei bei der Feuerwehr, das sei normal, dass hier immer mal wieder ein Schiff irgendwo dagegenschramme. Nur einmal habe es einen schwereren Unfall gegeben, das war vor sieben Jahren. Da lief ein Ausflugsschiff bei Niedrigwasser auf Grund, mehrere Passagiere wurden dabei verletzt. Aber das hier? So etwas gab es noch nie, eine richtige Katastrophe.

Warum das Unglück passiert ist, weiß keiner. Erst einmal geht es darum, Schlimmeres zu verhindern, das Wrack muss geborgen werden. Seit das Hochwasser endlich gesunken ist, kommen die Bergungsarbeiten voran. Gewappnet hat man sich nun gegen die Katastrophentouristen. Am letzten Wochenende seien die in der Loreleystadt regelrecht eingefallen, berichtet eine Frau, die hier lebt. Durch Vorgärten seien sie getrampelt, sogar über Zäune geklettert, nur um irgendetwas von dem Unglück zu sehen.

„Es war schlimm“, sagt eine alte Frau. So viele Menschen habe sie hier noch niemals gesehen, nicht einmal im Sommer, wenn Touristen aus der ganzen Welt zur Loreley kämen. Die Polizei hat die Bundesstraße 42, die sich hier am Fluss entlangschlängelt, in beide Richtungen gesperrt. Es ist zu gefährlich. Wer etwas sehen will, muss hinter den Absperrgittern bleiben. Weder Autofahrer noch Fußgänger dürfen an der Unglücksstelle vorbei, 250 Meter rund ums Schiff darf sich niemand aufhalten. Es sollen Stahlseile um das Wrack gespannt werden. Wenn die reißen und zum Ufer schnellen, wird es lebensgefährlich, erklärt ein Beamter.

Das niederländische Bergungsunternehmen Mammoet Maritime ist mit drei schweren Schwimmkränen vor Ort. Seit Donnerstag liegen der 200 Tonnen schwere „Grizzly“ und der Kranponton „Atlas“ (300 Tonnen) an der Unglücksstelle. Am Samstag ist der Schwimmkran „Amsterdam“ mit 300 Tonnen Tragfähigkeit eingetroffen. Mit den Stahlseilen, die unter dem Schiffsrumpf durchgezogen werden, soll das Schiff stabilisiert werden. Die Aktion gilt als schwierig, sie soll mehrere Tage in Anspruch nehmen.

„Das kann ja alles noch ewig dauern“, sagt ein Mittvierziger. Er ist mit seinem Hund zur Absperrung gekommen, macht ein paar Fotos mit dem Handy. Die will er seinem Sohn schicken, der ist gerade im Ausland, sagt er. Der Mann macht sich Sorgen wegen der Säure. Die könne zwar nicht explodieren, sagt er, aber gut sei das doch auch nicht für den Rhein, wenn die auslaufe. Er ist froh, dass diese Niederländer da sind, schließlich sind das Spezialisten. Die Experten von Mammoet haben 2001 das russische Atom-U-Boot „Kursk“ aus der Tiefe gehoben. Es war nach Torpedoexplosionen mit mehr als hundert Mann Besatzung in der Barentsee gesunken. Sobald die Seile um das Schiff gelegt worden sind, soll das Schiff gedreht werden. Und dann werden die Bergungsexperten an Bord gehen und die genaue Strategie zur Bergung festlegen. Ein besonderes Problem stellt dabei die Fracht des Unglücksschiffes dar: Um festzustellen, ob in den Hohlräumen Schwefelsäure ausgetreten ist, soll der Schiffsrumpf angebohrt werden. Eine Alternative ist es, die Ladung komplett abzupumpen. Um die Säure aufzunehmen, sind bereits Tankschiffe zur Unglücksstelle unterwegs. Wenn der Havarist richtig gesichert ist, das sollte in spätestens vier Tagen der Fall sein, sollen Taucher in dem Wrack nach den beiden immer noch vermissten Besatzungsmitgliedern suchen. Vor allem das bedrückt die Einwohner von St. Goarshausen sehr. Die Vorstellung, dass die beiden Männer im Schiffswrack geblieben sein könnten.

Während die Männer von Mammoet mit schwerem Gerät auf dem Wrack der „Waldhof“ herumklettern, werden hinter der Unglücksstelle große Frachtkähne vorbeigelotst. Der Stau aus dieser Richtung löst sich langsam auf. Rheinabwärts bleibt der Schiffsverkehr gesperrt, noch mindestens zwei Wochen. Die Angst, dass Schiffe, die in Strömungsrichtung fahren, das notdürftig gesicherte Wrack wegreißen könnten, ist zu groß. 111 Schiffe sind allein am Samstag mithilfe von Schleppern an dem havarierten Tanker vorbeigeführt worden – per „kontrollierter Bergfahrt“ rheinaufwärts. Wie Perlen aufgereiht fahren sie hintereinander her. Und die Loreley schaut jedem von ihnen entgegen.

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