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Panorama: Gelobtes Land

Viele Deutsche suchen im Ausland ihr Glück. Weil dort vieles einfacher ist

Zwei Jahre hatte er auf diesen Vertrag gewartet. Zwei Jahre ohne Arbeit, dafür mit 80 erfolglosen Bewerbungen. Und jetzt lag dieser Vertrag da. Afrika. Gutes Gehalt, eigenes Projekt. Der Stadtplaner Ulf Neupert fand es schwer, „Ja“ zu sagen. Er wusste: „Wenn ich das unterzeichne, brauche ich mich in Deutschland nie mehr zu bewerben.“

Das ist drei Jahre her. Ulf Neupert arbeitet jetzt als Stadtplaner für den Deutschen Entwicklungsdienst in Mosambik. Trotz der Sorge, dass er danach nie wieder eine Arbeit in Deutschland findet. „Chefs finden ungewöhnliche Biografien zwar interessant, aber letztlich nicht passend.“ Das habe ihn seine Bewerbungstour gelehrt. Der Mann aus Berlin-Spandau hat Stadtplanung studiert, in seinem Fach gejobbt, aber nach dem Abschluss keine Stelle gefunden. Er landete als Interviewer in einem Umfragebüro, arbeitete sich in fünf Jahren zum Account Manager hoch. Dann machte die Firma pleite. Er fand keine Arbeit mehr. Bewarb er sich als Stadtplaner, sagten die Chefs: „Aber Sie haben ja fünf Jahre ganz anders gearbeitet“, bewarb er sich als Manager, sagten sie: „Aber Sie haben ja etwas ganz anderes studiert.“ Dass er flexibel ist und etwas aus sich gemacht hat, erkannte keiner als Gütemerkmal. Als Neupert die Chance bekam, im Ausland zu arbeiten, war er 35 Jahre alt. In Deutschland zu bleiben, dafür sprachen Freundschaften, Verwandte, der Wunsch, eine eigene Familie zu gründen. Ein Argument wischte die aber alle weg. Es heißt: „Von Hartz IV kann man sich auch nichts aufbauen.“

Viele denken so wie Neupert. Im vergangenen Jahr sind 144 814 Deutsche ausgewandert, kürzlich warnte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages vor Abwanderung der Qualifizierten. Allerdings kamen 128 052 im gleichen Zeitraum aus dem Ausland wieder nach Deutschland zurück. Die Heimkehrer sind aber nicht nur auswärtig Arbeitende, sondern auch Russlanddeutsche. Von ihnen kehren immer weniger zurück, erklärt das Statistische Bundesamt, vielleicht deshalb der Wanderungsverlust. Deren Zahl sank 2005 auf 30 000 gegenüber 61 000 im Jahre 2003.

Neupert hat die Arbeit, die er immer haben wollte. Sein Chef sitzt 80 Kilometer weiter weg, er kann unbürokratisch entscheiden. Er baut in der Kleinstadt Catandica Straßen in Slums, er steht mit der Dorfautorität am Flussufer, um mit Wein die Flussgeister zu besänftigen, bevor er eine Brücke bauen kann. Es war nie sein Ziel, Entwicklungshilfe, aber er fühlt sich wohl in Mosambik. Ruft man ihn an, zwitschern Vögel und lachen Kinderstimmen durch die Telefonleitung. „Die Nachbarn sind zu Besuch“, sagt er. Sein Haus liegt am Stadtrand, freistehend, vier Zimmer, „zu Hause könnte ich mir das nie leisten“.

Es ist Geld, es ist Arbeit, was Neupert und die anderen suchen, aber vor allem ist es die Bestätigung, dass Leistung honoriert wird. Da ist die Historikerin, die Zeit für ein Forschungsprojekt haben will, deswegen ihren Archivar-Vollzeitjob kündigt, Vertretungen in Büros annimmt und bald auf Verwunderung bei den nächsten Chefs stößt, was das denn sollte, ständig Drei-, Viermonatsjobs, aber keine stetige Festanstellung. In England sei das anders, sagt sie. Sie geht im Februar.

Da ist der Berliner Student, dem alles immer schon zu langsam ging. Der nach der elften Klasse die Schule verließ, eine Ausbildung mit parallelem Fachabitur machte, dann Biochemie studierte. Und nach dem FH-Abschluss keinen Doktor dranhängen konnte, ohne Zusatzqualifikationen zu machen. „Obwohl ich im Institut die gleiche Arbeit wie die Diplomanden gemacht habe“, sagt Karsten Ölkers. Die durften sofort promovieren, er nicht. Gleiche Fähigkeiten, anderer Abschluss, negative Folgen. Ölkers wollte kein Jahr mehr warten. Der 27-Jährige ging nach Australien. Er bekam eine Doktorandenstelle – und ein Stipendium. An seiner Uni in Canberra essen ein Mal wöchentlich Studenten und Dozenten gemeinsam zu Abend. In feiner Garderobe, mit Rotwein und solch renommierten Leuten wie dem Virologen Frank Fenner, der für die WHO die Pocken bekämpfte, und sich 91-jährig noch verpflichtet fühlt, den Wissenschafts-Nachwuchs zu treffen. „Hier wird akademisches Leben gepflegt, das kannte ich nicht“, sagt Ölkers. Finanziell steht er ähnlich da wie in Deutschland, aber sich geschätzt fühlen, das ist neu. Ähnlich erlebte das Christiane Smerling, 28, Doktoranwärterin der Biologie, im britischen Cambridge. Hier fand sie Professoren, die sich interessieren, statt zu sagen: „Je mehr von euch im ersten Semester aufhören, desto besser, ihr seid eh zu viele.“ Wenn ihre Doktorarbeit beendet ist, würde sie gern zurück. Ihre Eltern sind über 70, sie wäre gern in deren Nähe. „Das Problem ist, irgendeinen Job zu finden, der meiner Qualifikation entspricht.“

Im Niederländisch-Unterricht bei Esther Bouma sitzen die, die wegwollen. Es sind Dachdecker, Architekten, Gartenbau-Studenten, 20-Jährige, die irgendeinen Job suchen. Esther Bouma ist Dozentin an der Volkshochschule, besonders beliebt sind ihre Intensivkurse: zweieinhalb Stunden in der Woche plus Samstagstermine. Schnelles Lerntempo, ideal für Entschlossene, deren Hauptgrund die einfachere Arbeitssuche ist, „durch die privaten Vermittlungsbüros ist das dort unkompliziert“. Die Lehrerin ist selbst Niederländerin, 34 Jahre alt und seit 13 Jahren in Berlin. Sie möchte nicht zurück. Das Niederlande-Bild ihrer Schüler sei oft zu positiv. Sie müsse oft an die schlechten Seiten erinnern: „Das teure Studium, 4000 Euro im Jahr, die teure Kinderbetreuung, bis zu 1000 Euro im Monat. Wohnungen sind oft knapp, Jobs sind schlecht bezahlt.“

Was den Auswanderern bleibt, ist die Perspektive und das Heimweh. Der Doktorand in Australien erkundigt sich nach dem Wetter in Berlin. Er vermisst gutes Brot, Zeitunglesen in der U-Bahn. Die Wissenschaftlerin aus Cambridge wünscht sich deutsche Badezimmer mit modernen Armaturen. Vergangenes Jahr lief der Vertrag des Stadtplaners aus Mosambik aus. Er fragte deutsche Kollegen: „Wie sieht’s aus, auf eurem Arbeitsmarkt?“ Sie antworteten: „Bleib bloß, wenn du Arbeit hast.“ Neupert verlängerte. Jeden Tag beginnt er damit, deutsche Zeitungen im Internet zu lesen.

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